Für jede Weltanschauung eine eigene Plattform
Nachdem Twitter und Facebook die Gangart gegen Hetzer und Faktenverdreher verschärft haben, wandern rechte Nutzer zu alternativen Plattformen wie Parler ab. Von der Zersplitterung der digitalen Öffentlichkeit profitieren Populisten wie Donald Trump.
Der Journalist Nick Bilton schrieb vor exakt vier Jahren in der «Vanity Fair» einen Artikel unter der Überschrift «How Silicon Valley Created Donald Trump». Darin legte er dar, wie die Social-Media-Konzerne eine Plattform für Populisten schufen. Trump, so der Tenor des Textes, sei ein Geschöpf des Silicon Valley. Doch dieses Geschöpf wendet sich längst gegen seine Schöpfer: Es sät Hass und Hetze, wiegelt die Massen auf und erodiert die Diskursstandards. Die Plattformen bekunden grosse Mühe, den Poltergeist wieder einzufangen.
Twitter hat nach langem Zögern im Mai erstmals einen Tweet von Donald Trump mit einem Warnhinweis versehen. Facebook, das bei Politikern auch Fake-News durchlässt, hat im Juni eine Wahlanzeige von Trump mit einem Nazisymbol gelöscht.Was für das linksliberale Lager längst überfällig war, war für die Konservativen eine Provokation.
Trump geiferte, Twitter unterdrücke die Meinungsfreiheit und mische sich in den Wahlkampf ein. Damit wiederholte er nicht nur das Opfernarrativ der Neuen Rechten von der angeblichen Meinungszensur und Linkslastigkeit sozialer Netzwerke, sondern heizte den Zorn abermals an. Auch die Forumsplattform Reddit, die lange einen «Hands-off»-Ansatz verfolgte, hat kürzlich ein Pro-Trump-Forum gesperrt – sehr zum Ärger der Community, die sich dort austauschte. Zwar hat Trump noch immer über 80 Millionen Follower auf Twitter. Doch seine Anhänger fühlen sich auf Twitter und Facebook zunehmend marginalisiert – und wandern zu anderen Plattformen ab.
Parler wirbt mit dem Versprechen von freier Rede, «unverzerrten» Algorithmen sowie einem Verzicht auf den Verkauf von Nutzerdaten.
Zum Beispiel zu Parler. Die Social-Media-App ist in den vergangenen Wochen zu einer Art Überlaufbecken frustrierter Trump-Anhänger avanciert. Namhafte Politiker wie der republikanische Senator Ted Cruz und sein Parteifreund Devin Nunes haben dort ebenso Konten wie der libertäre Senator Rand Paul. Auch der ehemalige «Breitbart»-Journalist und Blogger Milo Yiannopoulos, der von Twitter gesperrt wurde, ist auf Parler aktiv, was dem Netzwerk so etwas wie den Nimbus einer Art Twitter-Opposition verleiht. Parler wirbt mit dem Versprechen von freier Rede, «unverzerrten» Algorithmen sowie einem Verzicht auf den Verkauf von Nutzerdaten – also genau das Gegenteil, was Plattformen wie Twitter oder Facebook aus der Sicht ihrer Gegner repräsentieren.
Parler funktioniert im Grunde ähnlich wie Twitter. Statt Tweets posten die Nutzer «Parleys», und statt Retweets gibt es Echos. Medien wie «Breitbart» und «Epoch Times» sind dort mit eigenen Accounts vertreten. Die App erreicht 1,5 Millionen Nutzer, was verglichen mit den über 300 Millionen Nutzern von Twittern zwar ein recht kleines Publikum ist, aber doch ein ausgewähltes, weil sich dort vor allem konservative Wähler tummeln.
Parler fühle sich wie eine Trump-Wahlkampfveranstaltung an, sagen Beobachter. Gründer John Matze ist darum bemüht, auch liberalere Nutzer zu gewinnen, um eine breitere und heterogenere Nutzerbasis zu haben. «Wir sind ein offener Marktplatz ohne Zensur», sagte Matze in einem Interview mit dem Fernsehsender CNBC, und brachte seinen Diskursansatz auf die griffige Formel: «Wenn du es auf der Strasse von New York sagen kannst, kannst du es auch auf Parler sagen.» Donald Trump sagte einmal: «Ich könnte mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschiessen, ich würde trotzdem keine Wähler verlieren.» Das sagt viel aus über das Meinungsklima, in der der Präsident Medien öffentlich als «Volksfeinde» denunziert.
Wird dies die Polarisierung der Öffentlichkeit verstärken? Wird sich die Meinungslandschaft weiter zersplittern?
Doch wie verändert sich die Diskurslandschaft insgesamt, wenn eine politische Gruppe, in dem Fall rechtskonservative und rechtsextreme Nutzer, Twitter und Facebook den Rücken kehren und sich in kleinere Debattenclubs zurückziehen? Wird dies die Polarisierung der Öffentlichkeit verstärken? Wird sich die Meinungslandschaft weiter zersplittern? Wird es künftig für jede Weltanschauung ein eigenes Netzwerk geben?
Der Ansatz von Twitter und Facebook war ja zunächst ein sehr liberaler, am Ende vielleicht zu liberaler, der grundsätzlich alle Stimmen zu Wort kommen lassen wollte. Daher war Twitter auch anfänglich so zögerlich, seinen Edelnutzer Donald Trump in die Schranken zu weisen, obwohl intern und auch in der Öffentlichkeit die Forderung laut wurde, seinen Account ganz zu sperren.
Einerseits wollte das Unternehmen Fake-News und Hetze nicht unkommentiert lassen. Andererseits wollte es Trump auch nicht zensieren, gerade, um damit nicht dem Verdachts eines tendenziösen Meinungsmediums auszusetzen. So rau der Ton oft auf Twitter war, so vielfältig war die Nutzerbasis. Es gab nicht nur die wohlmeinenden Journalisten aus den Metropolen, sondern auch die Wutbürger aus den Vororten.
Obwohl das Facebook-Management den Demokraten zugeneigt ist, hat es den Republikanern Zugeständnisse gemacht.
Ein so vielstimmiger und kakofoner Chor kann für eine Plattform durchaus vitalisierend wirken, gerade weil sich Akteure auf Augenhöhe und ohne Zutrittshürde begegnen, wie das nirgendwo sonst möglich ist. Daher ist Parler-Chef Matze auch bemüht, andere Stimmen in sein Netzwerk zu holen. Auch Facebooks Chef-Lobbyist, der ehemalige Bush-Berater Joel Kaplan, drängte bereits 2016 darauf, konservative Nutzer nicht zu vergraulen – vordergründig aus ökonomischen Motiven, um Anzeigenerlöse aus Politwerbung zu generieren, aber auch aus taktischen Gründen, um die Balance zwischen den beiden politischen Lagern zu wahren.
Obwohl das Facebook-Management in grosser Mehrheit den Demokraten zugeneigt ist, hat es den Republikanern in der Vergangenheit einige Zugeständnisse gemacht. So hat das Unternehmen – entgegen seiner rigiden Anti-Nacktheits-Regeln – auf Druck von Abtreibungsgegnern Fotos stillender Mütter zugelassen und die rechte Nachrichtenseite «Breitbart» als «vertrauenswürdige Quelle» in seinen Newsdienst integriert. Ein Schritt, der für viel Kritik sorgte. Facebook-Chef Mark Zuckerberg begründete die Entscheidung damit, eine «Diversität von Ansichten» haben zu wollen.
Facebook muss Nutzer von der Plattform ausschliessen, um keinen grösseren Imageschaden zu riskieren.
Ein solcher Meinungspluralismus ist für eine Plattform aber auf Dauer nur aufrechtzuerhalten, wenn man Regeln setzt und Grenzen zieht. Zum Beispiel dazu, wo Meinungsfreiheit aufhört und Verschwörungstheorie anfängt. Facebook hat sich lange um klare Grenzziehungen gedrückt. Möglicherweise auch, um mit Hass noch ein paar Werbedollar mehr zu verdienen – so ein viel gehörter Vorwurf.
Doch jetzt, da namhafte Anzeigenkunden abspringen und mit der Kampagne #StopHateforProfit zum Boykott aufrufen, dämmert es auch den Facebook-Verantwortlichen, dass Hass eine Gefahr für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens bedeutet. Das Unternehmen muss Nutzer von der Plattform ausschliessen, um keinen grösseren Imageschaden zu riskieren. Das Problem ist damit freilich nicht behoben – das Hass sucht sich andere Räume im Netz.
Diese Entwicklung führt letztlich dazu, dass die Öffentlichkeit in Teil- und Nebenöffentlichkeiten zersplittert und immer fragmentierter wird. Die Social-Media-Welt ähnelt immer mehr einem Archipel aus versprengten, ideologisierten Inselchen, die untereinander kaum noch kommunizieren.
Auf Twitter kommt man selbst in seiner eigenen Filterblase irgendwann mit einem Verschwörungstheoretiker oder Alt-Right-Fanatiker in Kontakt. Und selbst wenn man ihn blockiert, ist das zumindest noch eine Form der sozialen Interaktion. In hermetischen Zirkeln wie Parler oder 8chan kommt man dagegen mit anderen Meinungen schon gar nicht mehr in Berührung. Man schmort nur noch im eigenen Saft. Das ist genau das Gegenteil einer deliberativen Öffentlichkeit, wo ein Ringen um die besten Argumente möglich ist.
Sollte sich diese Entwicklung weiter verstärken, dann heisst das auch, dass die grossen gesellschaftlichen Fragen nur noch in privaten Clubs und Foren hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Auf Twitter und Facebook wird es zwar gesitteter zugehen, wenn die Krawallmacher verbannt werden. Aber man ist dann unter sich in einer heilen Scheinwelt.
Von solcher Insularisierung oder Balkanisierung der Meinungslandschaft profitieren Populisten wie Donald Trump. Sie können ungefiltert und weitgehend unbeobachtet ihre Anhängerschaft aufhetzen. Und um Fakten brauchen sie sich erst gar nicht mehr zu kümmern, weil es niemanden mehr gibt, der sie richtigstellt.