von Adrian Lobe

Hashtag-Aktivismus zwischen Kampagne und Kommerz

Ob #BlackLivesMatter oder #ChallengeAccepted: Früher oder später wird die ursprüngliche Botschaft von Hashtag-Kampagnen verwässert, weil auch Trittbrettfahrer den Trend für sich entdecken. Über die Ambivalenz des digitalen Protests mit dem Doppelkreuz.

Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA ging der Hashtag #BlackLivesMatter viral. Auf der ganzen Welt solidarisierten sich Millionen Menschen im Netz mit der Protestbewegung. Auf Instagram posteten Nutzer schwarze Fotos. Der Hashtag entwickelte sich auf allen grossen Social-Media-Plattformen zu einem Trend. Fast 50 Millionen Mal wurde #BlackLivesMatter in Beiträgen allein zwischen dem 26. Mai bis 7. Juni 2020 verwendet.

Seitdem der Produktentwickler Chris Messina im August 2007 den ersten Hashtag auf Twitter setzte, um Themen zu verschlagworten, hat es eine ganze Reihe solcher Kampagnen gegeben. #TakeAKnee zum Beispiel, eine Solidaritätsbekundung für den in Ungnade gefallenen American-Football-Spieler Colin Kaepernick, der bei der amerikanischen Nationalhymne kniete. Die Occupy-Bewegung. Oder #BringBackOurGirls, ein globaler Aufruf, die in Nigeria von islamistischen Terroristen entführten Schulkinder zu befreien. #MeToo, #Aufschrei oder #Ferguson sind nur einige weitere prominente Beispiele. Das Doppelkreuz ist zur Chiffre für eine neue Protestkultur im Netz geworden – einer Einwahltaste in die digitale Öffentlichkeit: Es ermöglicht Interessen zu aggregieren und aufs politische Tapet zu heben.

«Die Narrative, die um Twitter-Hashtags entstehen, entwickeln sich schneller als in traditionellen Medien, und deshalb ist Twitter zu einem der Hauptwerkzeuge für die Verbreitung von Informationen in der Öffentlichkeit geworden», schreiben die Autoren Sarah J. Jackson, Moya Bailey und Brooke Foucault Welles in ihrem gerade erschienenen Buch «#HashtagActivism: Networks of Race and Gender Justice». Wenn sich die Schlagwörter zum medialen Massenphänomen entwickeln, springen alle auf.

Dieser «Corporate-Hashtag-Aktivismus» gefällt nicht allen. Von «Heuchelei» war die Rede. Beobachter kritisierten, die Aktion sei scheinheilig.

So haben sich zahlreiche Firmen und Grosskonzerne wie Levis, H&M oder Gap das Motto «Black Lives Matter» als Zeichen der Solidarität auf die Fahnen und #BlackLivesMatter als Hashtag auf ihre Accounts geschrieben. Doch dieser «Corporate-Hashtag-Aktivismus» gefällt nicht allen. Von «Heuchelei» war die Rede. Beobachter kritisierten, die Aktion sei scheinheilig, weil Konzerne wie Nike oder Adidas keinen einzigen Afroamerikaner in ihren Vorständen hatten. «Wenn schwarze Leben zählen, wo sind dann die schwarzen Vorstandsmitglieder?», fragte Mark Ritson in der Fachzeitschrift «Marketing Week». Nachdem sich Amazon auf seiner Webseite mit einem grossen Banner mit Black Lives Matter solidarisierte, erhielt Unternehmenschef Jeff Bezos eine Reihe von Hassmails, die er auf seinem Instagram-Profil öffentlich machte.

Für Konzerne ist die öffentliche Parteinahme eine Gratwanderung. Auf der einen Seite wird von Marken und ihren Botschaftern von der kritischen Öffentlichkeit immer öfter eine dezidiert politische Haltung erwartet (Stichwort Corporate Social Responsibility). Gemäss einer Studie sind 71 Prozent aller erwachsenen US-Bürger der Meinung, dass Marken auf die rassistische Ungleichheit und Polizeigewalt antworten müssen. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen ihren Aktivismus wohldosieren, weil ihr Engagement (etwa im Bereich des Umweltschutzes) im Verdacht der Imagepflege steht. Kurz: Die Unternehmen dürfen nicht schweigen, aber auch nicht trommeln.

War es im Sinne der Initiatoren, dass ihr Slogan #BlackLivesMatter neben einer Sportmarke steht? Wird das eigentliche Anliegen banalisiert und kommerzialisiert?

Für den aussenstehenden Betrachter mutet es dennoch etwas seltsam an, wenn sich grosse Marken wie Coca Cola oder Ben & Jerry’s einen Hashtag wie #BlackLivesMatter ans Revers heften und damit vorgeben, mit den Aktivisten gemeinsame Sache zu machen. So etwas wirkt dann schnell beliebig und opportunistisch. War es im Sinne der Initiatoren, dass ihr Slogan #BlackLivesMatter neben einer Sportmarke steht? Wird das eigentliche Anliegen banalisiert und kommerzialisiert? Sind die Aktivisten auf der Strasse bloss die Stichwortgeber der PR-Abteilungen grosser Konzerne? Oder dient es am Ende doch der Sache, wenn sich kampagnenstarke Organisationen zum Sprachrohr für Gleichberechtigung machen?

Wie doppelbödig die Anzeigenpolitik von Unternehmen ist, macht ein Beispiel aus der US-Medienlandschaft deutlich. Die Vice Media Group («Vice») stellte fest, dass Artikel über den Tod von George Floyd 57 Prozent weniger Geld durch Werbung einspielten als andere Nachrichten-Artikel. Eine Werbeagentur, die ein grosses Unterhaltungskonzern repräsentiert, soll dem Vernehmen nach «Vice» eine Blockliste mit verbotenen Wörtern wie «schwarze Menschen» oder «Black Lives Matter» zugesendet haben. Das Black-Lives-Matter-Label schreibt man sich gerne auf die Fahnen. Neben Polizeigewalt will man aber offensichtlich nicht werben. Ein Konzern kann sich sein Werbeumfeld aussuchen. Ein Aktivist nicht.

Als die Fluggesellschaft Qantas ihre Kunden dazu aufrief, unter dem Hashtag #qantasluxury Reiseträume über den Wolken zu teilen, posteten Nutzer Bilder von unappetitlichen Bordmenüs.

Man kann nicht verhindern, dass Unternehmen ihr Fähnchen in den Wind hängen und zu Trittbrettfahrern werden. Ein Hashtag ist gemeinfrei; jeder kann ihn nutzen. Genau das ermöglicht aber einen offenen politischen Wettbewerb. So haben 2014 Aktivisten den McDonald’s-Hashtag «#CheersToSochi» gekapert, um im Vorfeld der Olympischen Winterspiele gegen die Anti-Homosexuellen-Gesetze in Russland zu protestieren. Eine besonders subversive Form des Guerilla-Marketings. Nicht immer bewegen sich die Diskussionen also in die intendierte Richtung. Als die Fluggesellschaft Qantas 2011 ihre Kunden dazu aufrief, unter dem Hashtag #qantasluxury Reiseträume über den Wolken zu teilen, posteten Nutzer Bilder von unappetitlichen Bordmenüs. Statt Werbung machten die Nutzer Anti-Werbung. Ein PR-Gau.

Wie rasch sich solche Codierungen ändern können, beweist auch der Hashtag #WhiteLivesMatter. Anfangs verbreiteten – vor allem US-amerikanische – Rechtsextreme darunter rassistische Inhalte. Dann fluteten südkoreanische K-Pop-Fans den Hashtag mit Memes (etwa einer Regenbogenflagge) – und neutralisierten damit die ursprüngliche rassistische Intention.

Der Journalist und Kulturwissenschaftler Andreas Bernard argumentiert in seinem Buch «Das Diktat des Hashtags» (2018), dass der Hashtag Wörtern selbst eine «Warenform» verleihe: «Jeder Beitrag, der mit dem gleichen Hashtag gekennzeichnet ist – ungeachtet seines intendierten Inhalts, seines primären Kontexts – tritt in Beziehung zu allen andern, mit ihm vernetzbaren. Für die Perspektiven des Marketings ist diese Konstellation ideal, weil es nur einer mit dem Doppelkreuz versehenen Buchstabenfolge bedarf, um eine glamouröse Region der Twitter- oder Instagram-Sphäre, eine Spitzenposition der ‹trending topics› anzuzapfen und womöglich davon zu profitieren.»

Die Gefahr besteht darin, dass ein politischer Protest popkulturell verflacht wird und zur blossen Mode verkommt.

Seit einigen Tagen trendet der Hashtag #ChallengeAccepted, eine Aktion, bei der Frauen Schwarz-Weiss-Bilder auf Instagram posten, um sich für Frauenrechte stark zu machen. Wie bei jeder Challenge nominiert man dabei eine andere Person. Stars wie Cindy Crawford, Jennifer Lopez und Reese Witherspoon haben sich an der Aktion schon beteiligt. Wo die Kampagne ihren Ursprung hat, ist nicht klar. Manche vermuten, dass einige Frauenrechtlerinnen in der Türkei damit begannen, um ein Bewusstsein für Femizide in ihrem Land zu schaffen. Eine andere Theorie besagt, dass eine brasilianische Journalistin den Stein ins Rollen brachte. Kritische Stimmen geben zu bedenken, dass das Posten schöner Bilder die Emanzipation der Frau eher abträglich sei. «Wie kann es für andere Frauen ermächtigend sein, ein Selfie zu posten?», fragte etwa die US-Sängerin Emmy Rossum.

Natürlich spricht nichts dagegen, wenn sich TV-Sternchen in der Öffentlichkeit für Frauenrechte einsetzen. Doch letztlich reduzieren sich Frauen hier auf Ihr Äusseres, auf ihre Selbstdarstellung, was sie ja immer als strukturelles Problem anklagen. Und letztlich biedern sie sich mit dem Format auch der Instagram-Ästhetik an, wo es bekanntlich nicht um Frauenrechte, sondern um schöne Bilder und Profit geht. Die Gefahr besteht darin, dass ein politischer Protest popkulturell verflacht wird und zur blossen Mode verkommt. Wenn man sich auf Instagram die Fotos, die unter dem Hashtag #challengeaccepted gepostet werden, anschaut, wirkt das ganze wie ein Modekatalog. Protest als Konsum.

Die Kommerzialisierung des Hashtags ist in gewisser Weise schon in seiner Natur als «Label» angelegt.

Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard schreibt in seinem Buch: «Unter den Bedingungen der digitalen Kultur hat sich offenbar eine stärkere Verbindung von politischem Engagement und Strategien der Selbstanpreisung und Selbsterfassung etabliert. Der Kampf gegen ethnische und sexuelle Diskriminierung oder gegen das Ungleichgewicht wirtschaftlicher Verteilung steht heute im Einklang mit Verfahren der Eigendarstellung, die sich über Techniken und im Vokabular des Marketings vollziehen.»

Die Kommerzialisierung des Hashtags ist in gewisser Weise schon in seiner Natur als «Label» angelegt. Man braucht in einer marktförmigen Netzgesellschaft eine griffige Selbstbeschreibung, einen Werbeslogan, um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Das gilt für soziale Bewegungen genauso wie für Konzerne. Insofern hat der Kommunikationswissenschaftler Nathan Rambukkana völlig recht, wenn er schreibt, dass durch den Hashtag «Neoliberalismus und Aktivismus die gleiche Sprache sprechen – wenngleich natürlich mit ganz unterschiedlichen Intentionen».

Wer die Sprache der Werbung spricht, darf sich nicht wundern, wenn einem Unternehmen nach dem Mund reden.

Unter Afroamerikanern ist die Sorge verbreitet, mit einem Hashtag objektiviert zu werden. So macht in sozialen Netzwerken der Schlachtruf «We’re all one bullet away from being a hashtag» die Runde: «Wir sind nur eine Kugel davon entfernt, ein Hashtag zu werden.» Darin schwingt auch Verbitterung mit: Es muss erst jemand sterben, bis man mit seinem Anliegen Gehör findet. Und wenn man dann mit einem Hashtag zum Gesprächsthema wird, hat man das Narrativ auch nicht mehr in der Hand.

Genau darin liegt die die Ambivalenz des Hashtags: Aktivisten können mit einer wirkungsvollen Kampagne im Netz eine Gegenöffentlichkeit herstellen und zu einer sozialen Bewegung erstarken. Sie müssen aber auch damit rechnen, dass ihre politischen Slogans zu einem kommerziellen Claim umcodiert werden. Wer die Sprache der Werbung spricht, darf sich nicht wundern, wenn einem Unternehmen nach dem Mund reden.