von Nick Lüthi

«Auch in den nächsten zehn Jahren wird das Massenmedium Fernsehen als Leuchtturm strahlen»

Das Fernsehen, und besonders das Regionalfernsehen, sei kein Auslaufmodell. Davon ist Marc Friedli fest überzeugt. Als ehemaliger Chef zweier Regionalsender, langjähriger Sportreporter und amtierender Geschäftsführer des Verbands Telesuisse kennt Friedli das Metier à fond. Ein Gespräch über den Zustand des schweizerischen TV-Markts.

Das Fernsehen ist in Bewegung: CH Media will die SRG herausfordern und schnappt als Tatbeweis dem Platzhirsch gleich mal die Rechte an der Fussball-Champions-League weg. CNN Money Switzerland stellt den Betrieb nach drei Jahren schon wieder ein. Das Schweizer Fernsehen SRF krempelt das ganze Unternehmen um und setzt auf «digital first». Die Regionalsender hoffen auf zusätzliche Gebühren, die das Überleben sichern sollen. Was geht da vor sich? Was kommt noch? Fragen wir einen, der sich auskennt.

Als Marc Friedli (54) zum Gespräch erscheint, wirkt er gut gelaunt und entspannt. Das mag auch daher rühren, dass er keine geschäftliche Verantwortung mehr trägt in der Fernsehbranche. Friedli ist aber weiterhin nah dran. Unter anderem als Geschäftsführer des Regionalfernsehverbands Telesuisse.

Auch in einer bewegten und sich verändernden Medienlandschaft sieht Friedli weiterhin einen festen Platz für regionales Fernsehen. Von «digital first», wie es Schweizer Fernsehen SRF nun praktizieren will, hält Friedli nicht viel. Fernsehen bleibt Fernsehen. Er sagt: «Auch in den nächsten zehn Jahren wird das Massenmedium Fernsehen als Leuchtturm strahlen.»

MEDIENWOCHE:

Marc Friedli, Sie kennen das Fernsehgeschäft in der Schweiz – SRG und Private – seit über 30 Jahren aus eigener Berufserfahrung. Von welcher TV-Zukunft gingen Sie Anfang der 1990er-Jahre aus?

Marc Friedli:

Ich war damals total im Hier und Jetzt der Fernsehwelt. Für mich war der Sprung vom Lokalradio zum Schweizer Fernsehen ein gigantischer Schritt. Ich hatte das Gefühl, das ist Gegenwart und Zukunft und alles zusammen. Fernsehen war für mich damals so gross, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass private oder regionale Unternehmen je in dieser Welt bestehen könnten.



MEDIENWOCHE:

Nach fünf Jahren als Sportreporter beim Schweizer Fernsehen DRS gingen Sie zurück zum Privatradio. Heute ist es ein üblicher Schritt, von der SRG zu den Privaten zu wechseln. Wie sah man das damals?

Friedli:

Dieser Schritt war sicher ungewöhnlich. Ich hatte mich selbst auch einigermassen schwergetan damit. Ich hatte beim Fernsehen einen Traumjob, ich konnte moderieren, ich habe Beiträge gemacht, Live kommentiert, war viel im Ausland, drei Olympische Spiele, eine Fussball-WM – eine wunderbare Zeit. Es war dann ein rein familiär begründeter Schritt. Mein Sohn kam damals in die Schule. Jedes Wochenende arbeiten, im Schnitt sechs Monate im Ausland, das ging einfach nicht mehr auf.

MEDIENWOCHE:

Sportreporter sind Sie bis heute geblieben. Für den CH-Media-Sender TV24 kommentieren Sie regelmässig internationale Fussballspiele. Ich nehme an, das machen Sie allein vor dem Bildschirm im Studio und nicht vor Ort im Stadion.

Friedli:

In den luxuriösen SRG-Zeiten war ich natürlich immer vor Ort. Jetzt bin ich allein im kleinen Kämmerlein vor einem Monitor. Aber ich muss sagen, es macht auch so nach dreissig Jahren immer noch wahnsinnigen Spass. Es ist eine alte Leidenschaft, jetzt kann ich das mit einer gewissen Gelassenheit und Unbeschwertheit machen. Wenn das Spiel fertig ist, ist die Geschichte erledigt und der Job erfüllt. Das macht mir sehr viel Freude.

«Am Leutschenbach musste der Eine oder Andere vom hohen Ross heruntersteigen.»

MEDIENWOCHE:

CH Media avancierte mit der Übernahme der 3+-Gruppe zum grössten privaten Fernsehunternehmen in der Schweiz. Reicht das, um neben der grossen SRG zu bestehen?

Friedli:

Ich hätte es lange nicht für möglich gehalten, dass es eine solche Entwicklung geben könnte. Ich nehme das jetzt schon fast als Duopol wahr und sehe die CH-Media-Sender als Konkurrenz zur SRG. Der Sport ist das beste Beispiel. Mit dem Verlust der Rechte an der Champions League musste im Leutschenbach schon der Eine oder Andere vom hohen Ross heruntersteigen.

MEDIENWOCHE:

Sie kennen das Fernsehgeschäft von CH Media sehr gut als ehemaliger Geschäftsführer von TeleBärn und Tele M1. Wann haben Sie realisiert, dass Peter Wanner so grosse Ambitionen hegt im Fernsehgeschäft?

Friedli:

Ich spürte immer und wusste es auch, dass Peter Wanner davon träumt, im TV-Geschäft gross mitmischen zu können. Ich mag mich erinnern, in meinen Anfangszeiten bei den AZ-Medien, es muss um 2010 gewesen sein, war ich mal mit Peter Wanner an einem Verlegerkongress. Danach schauten wir bei ihm im Ferienhaus ein Fussballspiel der Champions League. Da sagte mir Peter Wanner, er träume davon, einmal ein Champions-League-Final auf einem seiner Sender zeigen zu können. Wir fanden natürlich immer, er denke drei Nummern zu gross. Damit haben wir ihn auch aufgezogen. Aber gleichzeitig spürten wir auch, dass er es ernst meinte damit, der SRG einmal Paroli bieten zu können. Dass er es dann auch tatsächlich gemacht hat und finanzieren konnte, das hätten ihm die meisten aber ehrlich gesagt nicht zugetraut.

«Wenn du ein Nischenprodukt lancierst, sollte die Community doch immerhin so gross sein, dass ein Erfolg realistisch erscheint.»

MEDIENWOCHE:

Ein anderes ambitioniertes Projekt im Schweizer TV-Markt ist kürzlich gescheitert. «CNN Money Switzerland» meldete nach knapp drei Jahren auf Sendung Konkurs an. Hat Sie das überrascht?

Friedli:

Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich glaube, die haben vergessen, wie klein die Schweiz ist. Wenn du ein Nischenprodukt lancierst, sollte die Community doch immerhin so gross sein, dass ein Erfolg realistisch erscheint. Bei «CNN Money Switzerland» war das von Anfang an nicht der Fall. Sie haben aus meiner Sicht zudem den strategischen Fehler gemacht, dass sie keine deutschsprachigen Programme angeboten haben oder zumindest Programme mit deutschsprachigen Untertiteln.

MEDIENWOCHE:

Bedeutet das Scheitern von «CNN Money Switzerland» auch, dass es neben der SRG in der Schweiz keinen Markt für Nachrichten-TV gibt?

Friedli:

Das Learning ist wahrscheinlich schon, das nationale und internationale Nachrichten im Fernsehen so nicht bestehen können. Ich kenne auch keine Bestrebungen, der SRG in dem Bereich Konkurrenz machen zu wollen. Regional sieht es aber anders aus. Ich finde, die Regionalsender machen einen wirklich guten und wichtigen Job mit Fernsehnachrichten in der Region. Eine Aufgabenteilung zwischen national und regional halte ich weiterhin für sinnvoll. Das heisst aber konsequenterweise auch, dass die SRG von gewissen Nicht-Service-public-Formaten Abstand nehmen müsste.

MEDIENWOCHE:

Im Sport hat das jetzt der Markt geregelt.

Friedli:

Das ist für mich eine Momentaufnahme. Da würde ich mich noch nicht getrauen, eine längerfristige Prognose abzugeben, wie sich das entwickelt. Die SRG hat lange Zeit die Spielregeln auf dem Markt diktiert aus einer Position von Dominanz und Sicherheit heraus. So wollte die SRG einst die privaten Sender aus dem Fussballstadion verbannen, also nicht einmal mehr einen Kamera-Access gewähren. Wir mussten uns den Zugang bis vor Bundesgericht erstreiten. Dass das nun ins Wanken geraten ist und der SRG-Elfenbeinturm etwas eingebrochen ist, finde ich sehr positiv – für den Werbemarkt, für den Arbeitsmarkt – und natürlich vor allem für die Zuschauerinnen und Zuschauer.

«Die Regionalsender haben ihr wirtschaftliches Potenzial noch nicht restlos ausgeschöpft»

MEDIENWOCHE:

In der medienpolitischen Debatte stehen derzeit vor allem Zeitungen und Online-Medien im Fokus. Eine Anpassung der TV-Gesetzgebung ist für später geplant. Wie dringend ist her der Reformbedarf?

Friedli:

Der Leidensdruck ist natürlich auch bei den Regionalsendern gross. Aber im Moment läuft immerhin eine Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes, die meiner Meinung nach in eine gute Richtung zeigt. Die geplante Erhöhung des Gebührenanteils von sechs auf acht Prozent wäre ein wichtiger Schritt für uns.

MEDIENWOCHE:

Die acht Prozent vom Gebührenkuchen würden dann wie lange reichen?

Friedli:

Ich komme aus einer Welt, wo man gelernt hat, mit dem zu leben, was man hat und nicht von irgendwelchen Goldschätzen zu träumen, die in unerreichbarer Ferne liegen. Mit dem zusätzlichen Betrag kann man die Sender am Leben erhalten. Trotz der schwierigen Lage auf dem Werbemarkt haben die Regionalsender ihr Standing verbessern können. Darum glaube ich daran, dass sie mittelfristig wirtschaftlich bestehen können. Die Regionalsender haben ihr wirtschaftliches Potenzial noch nicht restlos ausgeschöpft.

MEDIENWOCHE:

Neben zusätzlichen Gebührenmillionen profitieren die Regionalsender auch von einer Art Heimatschutz: Heute ist die Schweiz in 13 Zonen aufgeteilt, wo je ein Sender mit Gebührengeldern am Leben erhalten wird. Ist das gut für die Medienvielfalt?

Friedli:

Ich halte das auch für die Zukunft für ein sinnvolles Modell. Es stellt in der föderalistischen Schweiz eine flächendeckende Abdeckung sicher. Die gleiche Logik gibt es ja auch national, wo es nur eine SRG gibt. Wenn man in jeder Region zwei Konzessionen finanzieren könnte, wäre das natürlich wunderbar. Aber das ist völlig unrealistisch. Darum sage ich: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die flächendeckende Versorgung im föderalistischen Sinn ist für mich sehr etwas Wichtiges. Im Entwurf zu einem neuen Mediengesetz von Bundesrätin Leuthard war dieser Ansatz komplett weg. Das war auch einer der Gründe, warum das Mediengesetz Schiffbruch erlitten hat.

MEDIENWOCHE:

Gemessen an der Leistung von Lokalzeitungen, die längst auch Videos zeigen, ist das Angebot der Regionalsender doch eher bescheiden. Braucht es die überhaupt noch?

Friedli:

Die Konkurrenz in den Regionen zeigt ja gerade, dass sich die Regionalsender weiss Gott nicht in einem Monopol befinden. Im regionalen Markt steht man in einem immensen Konkurrenzkampf mit Zeitungen, Online-Portalen und Radiosendern. Und es gibt auch da eine sinnvolle Arbeitsteilung. Das sieht man gut, wenn Zeitungsredaktionen Online-Videos machen. Fernsehmachen ist halt schon mehr als nur das Handy draufhalten. Leservideos können für bestimmte Ereignisse spannend sein. Aber das ist nicht die Essenz des Fernsehens. Das ist weiterhin eine Kunst und ein Handwerk, etwas Eigenständiges. Dort zeigen die Regionalsender, was sie können.

MEDIENWOCHE:

Aber die Jungen scheint das nicht zu interessieren. Der Grossteil des Publikums ist über 60 oder gar über 70 Jahre alt. Was tun die Sender für eine jüngere Zuschauerschaft?

Friedli:

Die Regionalsender haben tatsächlich ein demographisch sehr ähnliches Publikum wie das Schweizer Fernsehen. Das ist aber relativ stabil und hat sich auch nicht gross gegen oben verschoben. Es gibt aber Unterschiede. In der französischen Schweiz ist das Durchschnittspublikum bei den Regionalsendern fast zehn Jahre jünger als in der Deutschschweiz. Aber immer noch 50 plus. Es gibt keine Dynamik – weder in die eine noch in die andere Richtung.

MEDIENWOCHE:

Aber wie finden die Sender zu einem jüngeren Publikum?

Friedli:

Ich glaube, dass man in den Medienkonsum hineinwächst, wie bei den Kleidern. Das sehe ich an meiner eigenen Entwicklung. Heute höre ich Radio SRF 1. Vor 30 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, DRS 1 zu hören. Aber es ist ein schwieriges Thema. Ich glaube nicht, dass das Fernsehen ausstirbt. Das hat sein Publikum und behält sein Publikum, weil jüngere Leute da wie gesagt reinwachsen, wenn sie älter werden. Es kommt aber schon auch darauf an, was dort läuft und wie es aufbereitet wird. Eine riesige Herausforderung stellt auch die zunehmende Fragmentierung des Marktes dar. Wenn es statt fünf plötzlich 500 Angebote gibt, dann ist auch klar, dass es jeder einzelne schwer hat, gewisse Zuschauergruppen zu erreichen.

«Die Strategie, die Frau Wappler kürzlich für SRF verkündet hat, wird wohl noch viel politischen Nachhall haben.»

MEDIENWOCHE:

Die Schweizer Fernsehen SRF setzt vermehrt auf Online-Angebote um die Jungen zu erreichen. Ist das auch der Weg, den die Privatsender gehen müssen?

Friedli:

Ich tue mich sehr schwer mit dem neuen Kurs von SRF. Ich bin der Meinung, dass die Strategie nicht der Konzession entspricht und auch nicht dem Verfassungsauftrag. Die SRG hat den Auftrag, wie es der Name schon sagt, zuerst einmal Radio und Fernsehen zu machen. Aus dem klassischen Broadcast heraus können sie digitale Formate generieren. Mal abgesehen davon, was man noch alles gerne machen würde oder sollte oder könnte, geht es nicht an, dass die SRG ihren Auftrag selbständig und ohne politische Diskussion so radikal auf den Kopf stellt. Die Strategie, die Frau Wappler kürzlich für SRF verkündet hat, wird wohl noch viel politischen Nachhall haben.

MEDIENWOCHE:

Aber auch unabhängig davon, was die SRG macht, stellt sich für die Regionalsender die Frage, was sie online tun.

Friedli:

Ich bin weiterhin felsenfest davon überzeugt, dass «Broadcast first» für das Fernsehen immer noch das bessere Verkaufsargument ist als «digital first». Ein spannendes Produkt entsteht durch die Marke und den Leuchtturm, den man in der Broadcast-Welt aufbauen kann. Der «Bachelor», um ein richtiges Privatfernseh-Beispiel zu nennen, ist ein klassisches Broadcastformat und generiert wunderbare digitale kleine Häppchen daraus heraus. Aber der Leuchtturm bleibt die Fernsehproduktion. Auch in den nächsten zehn Jahren wird das Massenmedium Fernsehen als Leuchtturm strahlen.

MEDIENWOCHE:

Das mag auf ein paar wenige Programme zutreffen. Aber sicher nicht auf Regionalnachrichten.

Friedli:

Wieso nicht? Gute und glaubwürdige Regional-News sind exklusiv und enorm wertvoll. Aber klar, die Regionalsender werden sich natürlich auch Gedanken machen müssen. Einfach um 18 Uhr mal was auf den Sender bringen und denn bis am nächsten Abend 24 Mal wiederholen, das wird wahrscheinlich nicht mehr lange in der Form funktionieren können. Da müssen die Sender aktueller werden und sie müsse den Live-Charakter stärken.

MEDIENWOCHE:

Aber das braucht mehr Personal und kostet Geld.

Friedli:

Bei den Kosten kommt die technische Entwicklung den Sendern entgegen. Noch vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, gewisse Live-Schaltungen zu machen. Heute geht man mit dem Handy oder einem Übertragungsrucksack irgendwohin und sendet. So kann man im redaktionellen Bereich Ressourcen freispielen. Ich sehe Sender, die stark in diese Richtung arbeiten. Das sind auch diejenigen, die im Newsbereich am meisten Erfolg haben. Ein gutes Beispiel ist Tele M1. Der Sender ist unglaublich präsent mit neuen Inhalten in den stündlichen News, aber auch mit Live-Schaltungen. So kann der Sender seine Zuschauerzahlen in den News seit Jahren kontinuierlich steigern. Regionale TV-Nachrichten sind überhaupt kein Auslaufmodell im Zuschauermarkt – aber man muss sie gut machen!

Leserbeiträge

Robert Weingart 01. September 2020, 20:23

„Leuchtturm“? Fernsehen in der Schweiz? Dass ich nicht lache.