The Good, The Bad & The Ugly XIV
20 Minuten, SRF 3, CH Media
The Good – «20 Minuten» übernimmt Verantwortung
Bei Berichterstattung über Suizid ist grundsätzlich äusserste Zurückhaltung geboten. Bei «20 Minuten» finden Leser*innen seit 2016 am Ende des Textes eine Servicebox, wenn es um Suizid geht. Dort gibt es Informationen zu verschiedenen Hilfsangeboten für Menschen, die entweder selber suizidgefährdet sind oder etwa eine nahestende Person durch Suizid verloren haben.
Neu werden diese Serviceboxen auch bei Artikeln zu Themen wie Essstörungen, Stalking, Mobbing oder Rassismus eingesetzt – in Zusammenarbeit mit verschiedenen NGOs, Verbänden und Fachstellen. Verantwortlich für das Projekt ist unter anderem Remo Schraner, der 2019 seine Anstellung als Redaktor bei «20 Minuten» vorübergehend aufgegeben hatte, um sich seinem Blog «Der Volpe» zu widmen. Dort schreibt Schraner über seine eigene Depression.
Gaudenz Looser lässt sich in der Medienmitteilung hoffnungsvoll zitieren: «Wir möchten unsere soziale Verantwortung wahrnehmen und unsere Leserinnen und Leser in schwierigen Lebenssituationen bestmöglich unterstützen.» Noch ein bisschen schöner wäre, wenn die «20 Minuten»-Redaktion diese soziale Verantwortung auch bei der Artikel selber flächendeckend wahrnehmen würde. Aber das ist eine andere Geschichte.
The Bad – SRF 3 ruft zur Belästigung auf
Dieses Jahr wird Weihnachten covid-bedingt etwas anders ausfallen. Dass deshalb das eine oder andere berufliche Weihnachtsessen abgesagt wird, reut mich persönlich nicht. Oder wie sollen Weihnachtsessen im Home-Office aussehen? Die Frage birgt humoristisches Potenzial – dachte man sich bei der Redaktion von Radio SRF 3. Das satirische Kuchendiagramm, das diese Anfang Woche geteilt hat, greift aber daneben: «Unangemessene Bilder an die Praktikantin schicken», heisst dort eine Kategorie. Haha.
Ha.
Dieser «Witz» ist ein Aufruf zu sexualisierter Belästigung.
Das Meme löste auf Twitter und Instagram einen Shitstorm aus. Die Redaktion krebste daraufhin zurück und ging sowohl öffentlich als auch in privaten Instagram-Nachrichten in die Defensive: Man habe auf humorvolle Weise auf noch immer geltende Missstände aufmerksam machen wollen, sei sich aber bewusst, dass man danebengegriffen habe. Die Redaktion gelobt Besserung. Das wäre schön, denn all I want for christmas is: Endlich keinen Sexismus mehr in Schweizer Redaktionen.
The Ugly – CH Media übernimmt keine Verantwortung
Als Reaktion auf die «Magglingen-Protokolle» in «Das Magazin» veröffentlichten die CH-Media-Zeitungen den Gastbeitrag «Was darf eine Trainerin einem Athleten antun?» vom ehemaligen Paralympics-Champion Lukas Christen.
Was genau in Magglingen geschehen sei, schreibt Christen, wisse er nicht. Dennoch fühlt er sich dazu berufen, Folgendes zu kommentieren: «Dass man auf gewisse Gefühle im Nachhinein mit Verzweiflung und Gram reagiert, ist sehr menschlich. […] Jedoch warne ich davor, das öffentlich zu tun». Korrekte Menschlichkeit und Spitzensport vertrügen sich schlecht, das müsse jede Athletin bedenken, so Christen.
Ein Schlag ins Gesicht der acht Frauen, die den Mut hatten, an die Öffentlichkeit zu treten. «Es handelt sich um einen externen Meinungsbeitrag, er wird auch klar als Gastbeitrag deklariert», schreibt CH-Media-Chefredaktor Patrik Müller auf Anfrage der MEDIENWOCHE. «Der Autor bringt breite Erfahrung als aktiver und sehr erfolgreicher Behindertensportler mit und im Sinne der Meinungsvielfalt soll und darf er seine Sicht der Dinge darlegen». Eine (wohlwollender) Kommentar zur Recherche des «Magazin» habe man bereits einen Tag nach Erscheinen der Reportage publiziert.
Bloss: In einer Welt, in der es für Betroffene von sexualisierter Gewalt noch immer wahnsinnig viel Mut braucht, öffentlich darüber zu sprechen, ist das ein Nullargument. Journalismus bedeutet Verantwortung – und in diesem konkreten Fall hätte das Bedürfnis nach vielfältiger Meinung dieser Verantwortung untergeordnet werden müssen.