von Eva Hirschi

«Heidi.news»: Nach starkem Start vor ungewisser Zukunft

Mit den «Tamedia Papers» machte «Heidi.news» Ende 2020 in der Deutschschweiz von sich reden; nicht zum ersten Mal. Nun spannt das junge Online-Magazin aus Genf mit der Tageszeitung «Le Temps» zusammen. Eine finanzkräftige Stiftung hat die beiden Medien gekauft.

Es ist die umfassendste Recherche zur Geschichte des grössten Schweizer Medienhauses, die in den letzten Jahren publiziert wurde: Mit den «Tamedia Papers» hat das unabhängige Westschweizer Online-Portal «Heidi.news» eine 12-teilige Serie über Einfluss, Macht und Geld des Zürcher Medienkonzerns Tamedia (heute TX Group) auf die Schweizer Medienlandschaft veröffentlicht. Daran mitgearbeitet hat auch das Online-Magazin «Republik», das die Serie auf Deutsch publiziert hat.

Viel Neues erfahren Branchenkenner in dem Bericht allerdings nicht. Viel eher trägt er ausführlich bereits vorhandenen Fakten zusammen und reichert sie durch zahlreiche Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitenden und Brancheninsidern an. Dennoch ist es das erste Mal, dass ein Medium so offensiv ein ganzes Medienhaus an den Pranger stellt. Ausgerechnet die Westschweiz wehrt sich gegen die Zürcher Dominanz – aus gutem Grund: In der Romandie gehören 70 Prozent der grossen Nachrichtenmedien Tamedia; in der Deutschschweiz sind es 40 Prozent.

Eine Folge der «Tamedia Papers» sorgte für besondere Furore: Unter den angeblichen Opfern der erdrückenden Tamedia-Dampfwalze wird auch der Geschäftsmann und Milliardär Frederik Paulsen erwähnt, der sich gerichtlich gegen Artikel der Tamedia-Titel zur Wehr setzte. Der gleiche Paulsen überwies «Heidi.news» eine Spende von 250’000 Franken. «Heidi.news» wurde Parteilichkeit vorgeworfen. Die Spende ist im Artikel jedoch transparent erwähnt, das stellt auch «Heidi»-Mitbegründer Serge Michel in seiner Replik im «Klein Report» klar. Den Vorwurf der Befangenheit weist er dezidiert zurück.

Für eine achtteilige Serie zu Corona-Verschwörungstheorien musste «Heidi.news» viel Kritik einstecken.

Es ist nicht die erste Recherche, mit der das erst im Mai 2019 lancierte Online-Portal «Heidi.news» von sich reden macht. Für eine achtteilige Serie zu Corona-Verschwörungstheorien musste «Heidi.news» viel Kritik einstecken – jedoch weniger zu deren Inhalt als viel mehr zur Machart: Der Journalist Sami Zaïbi unterwanderte während zwei Monaten eine Gruppierung aus sogenannten Verschwörungstheoretikern, die gegen die SwissCovid-App mobil machte und Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen des Bundes organisierte. Während einige Stimmen die Recherche lobten, kritisierten andere unlautere Undercover-Methode.

Doch das war nicht alles: Zahlreiche Hassnachrichten und Bedrohungen erreichten «Heidi.news» und den Autor der Serie. Selbst «Reporter ohne Grenzen» äusserte Sorge über die «nicht tolerierbaren rassistischen Kommentare». Möglich, dass die Artikelserie ein Nachspiel haben wird: Eine im Bericht prominent vorgestellte Lehrerin reichte eine Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Das tat ebenso der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor, auch er ein Kämpfer gegen die SwissCovid-App. Noch ist offen, ob der Presserat auf die Beschwerden eingehen wird.

Gerade in Journalistenkreisen hat «Heidi.news» somit immerhin rasch an Bekanntheit gewonnen – vielleicht auch, weil in den letzten Jahren kaum von neuen Medienprojekten in der Romandie zu lesen war. Ein Projekt wie «Bon pour la tête», das nach der Einstellung von L’Hebdo gegründet, hat es nicht geschafft, grössere Aufmerksamkeit zu erlangen oder sich breit zu etablieren.

Anders bei «Heidi.news»: Innert 20 Monaten hat das Online-Magazin über 6’000 Abonnements verkauft, das Break-even-Ziel liegt bei 15’000 Abonnements bis Ende 2023. Zum Vergleich: Die «Republik» – ebenfalls als unabhängiges Start-up gegründetes Online-Bezahlmedium ohne Werbung – hatte nach zwei Geschäftsjahren 18’000 Mitgliedschaften und Abonnements erreicht und den Break-even von 25’000 Mitgliedern und Abos im Juni 2020 überschritten – im bedeutend grösseren Deutschschweizer Markt. «Heidi.news» schneidet also nicht schlecht ab.

Insbesondere bei der Berichterstattung zur Gesundheit kann «Heidi.news» mit spezialisierten Journalistinnen und Journalisten punkten.

Neben langen Recherchen überzeugt «Heidi.news» vor allem mit innovativen (kostenlosen) Newslettern aus verschiedenen Teilen der Welt sowie der Berichterstattung in ihren Schwerpunktbereichen. Anders als Tagesmedien setzt «Heidi.news» nämlich nicht auf die üblichen Ressorts, sondern hat sich auf eine Anzahl thematische Feeds («les flux») spezialisiert, zurzeit zu Gesundheit, Wissenschaft, Klima, Wirtschaft, Innovation, Kultur und Bildung.

Insbesondere bei der Berichterstattung zur Gesundheit, die von vielen Medien lange vernachlässigt wurde, nun aber wegen Covid-19 neuen Aufwind erhalten hat, kann «Heidi.news» mit spezialisierten Journalistinnen und Journalisten punkten. Ein pensionierter Epidemiologe sagt gegenüber der MEDIENWOCHE, «Heidi.news» liefere in der Westschweiz als einziges Medium seriöse, verifizierte Informationen zum Coronavirus – für ihn ausschlaggebend für sein Abonnement.

Dennoch: Während sich «Heidi.news» langsam bei einer an Qualitätsjournalismus interessierten Leserschaft mit hohem Bildungsgrad einen Namen macht, ist das Magazin bei der breiten Bevölkerung noch längst nicht angekommen. Wohl auch aus dem Grund, dass «Heidi.news» keinen News- und Tagesjournalismus bietet und stärker das grosse Ganze als kleine Lokalthemen anschaut. Trotz des Erfolgs bleibt «Heidi.news» (noch) ein Nischenprodukt. Die Zusammenarbeit mit «Le Temps» könnte das ändern.

Es stellt sich die Frage, wie es mit «Heidi.news» weitergehen soll, wird doch die Redaktion mit jener von «Le Temps» zusammengelegt.

Letzten November wurde bekannt, dass die Stiftung Aventinus sowohl die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» als auch das Online-Portal «Heidi.news» kaufen wird. Finanziell bringt dies somit vorerst etwas Entspannung. Dennoch stellt sich die Frage, wie es mit «Heidi.news» weitergehen soll, werden doch die beiden Redaktionen zusammengelegt. Für das kleine Online-Portal bedeutet dies ein grösseres Risiko als für «Le Temps» – das achtzigköpfige Redaktionsteam der etablierten Tageszeitung wird kaum das Dutzend Medienschaffende von «Heidi.news» verdrängen.

Die Herausforderung für «Heidi.news» wird darin bestehen, eine komplementäre Funktion zu «Le Temps» zu finden. Denn die Zielgruppen sind ähnlich, im Moment sind die beiden Medien eher Konkurrenten, und «Le Temps» kann auf eine bereits vorhandene treue Leserschaft zählen. Möglich wäre eine noch stärkere Spezialisierung von «Heidi.news», etwa im Bereich der Gesundheit.

Wie genau die inhaltliche Ausrichtung der beiden Medien in Zukunft aussehen soll, dazu will sich noch niemand äussern. Sowohl die neue Chefredaktorin von «Le Temps», Madeleine von Holzen, als auch der Redaktionsleiter von «Heidi.news», Serge Michel (der Teil der erweiterten sechsköpfigen stellvertretenden Chefredaktion der beiden Titel wird), sagen, man warte den effektiven Kauf durch die Stiftung Aventinus ab – der voraussichtlich nicht vor April stattfindet. Die Identität der beiden Titel solle aber fortbestehen.