von Nick Lüthi

Der grosse Personalaustausch: SRF im Reformtaumel

Bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF findet derzeit die grösste Personalumschichtung in der Geschichte des Unternehmens statt. Wohin das führen soll, ist vielen Angestellten nicht klar. Momentaufnahme eines Monsterprojekts.

Als Anfang Dezember zwei SRF-Angestellte einen Brief aufsetzten, wussten sie zwar, dass sie nicht alleine sind mit ihren Fragen an die Chefinnen und Chefs. Dass aber am Ende über 460 Kolleginnen und Kollegen das Schreiben mitunterzeichnen würden, kam dann doch etwas überraschend. Wenn fast ein Fünftel des gesamten SRF-Personals «dringend mehr Transparenz und ehrliche Kommunikation» fordert, dann läuft etwas nicht rund. Dabei sollten gerade jetzt die Zahnräder ineinandergreifen.

Schweizer Radio und Fernsehen befindet sich mitten in einem tiefgreifenden Reformprozess. Bis 2024 will sich das Medienunternehmen neu aufstellen und seine Arbeit den veränderten Nutzungsgewohnheiten anpassen: mehr Internet, weniger Radio und Fernsehen. Das erfordert neue Abläufe und neues Personal. Im Gegenzug streicht SRF Sendungen aus dem Programm und baut Stellen ab. Die Transformation werde «ambitioniert angegangen», lässt sich SRF-Direktorin Nathalie Wappler im Intranet zitieren.

Aber: «Wohin geht die Transformation?» Das fragen 466 Angestellte in ihrem Brief. Anders als Aussenstehende vielleicht vermuten würden, versteht auch ein Grossteil des SRF-Personals bisher getroffene Entscheidungen nicht. «Warum schafft ihr Sendungen ab mit Marken-Charakter (…)?» Etwa die Literatursendung «52 beste Bücher» oder das Wirtschaftsmagazin «Eco». Das wirft die nächste Grundsatzfrage auf: «Wie sollen wir mitdenken und mitreden können, wenn wir eure Überlegungen nicht verstehen?»

«Mir war bewusst, dass die Kommunikation anspruchsvoll werden würde.»
Andrea Hemmi, Leiterin Kommunikation SRF

Direkt angesprochen fühlt sich Andrea Hemmi. Die Leiterin Kommunikation von SRF sagt: «Mir war bewusst, dass die Kommunikation anspruchsvoll werden würde. Corona und Homeoffice machen es auch nicht einfacher.» Etwas ratlos sei sie aber schon gewesen, als sie den Brief gesehen hatte. Schliesslich betrifft die Kritik ihre Arbeit sehr direkt. «Wir haben versucht, mit verschiedenen Kommunikationsformen die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse zu befriedigen», erklärt Hemmi. Offenbar mit bisher beschränktem Erfolg. Vielleicht sei es aber auch zu viel Information. Sie habe aber weiterhin den Anspruch, alle mitzunehmen. Wobei das eine heikle Botschaft ist, wenn – im wörtlichen Sinn – klar ist, dass nicht alle mitgenommen werden können. Wie viele Personen bis Ende Jahr tatsächlich entlassen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab und lässt sich darum heute noch nicht beziffern.

Klar ist heute so viel: Ende Jahr soll der Personalbestand von SRF 115 Vollzeitstellen weniger zählen und so das Budget entlasten. Schliesslich handelt SRF auch unter Spardruck. Der erste Abbauschritt erfolgt in diesen Tagen, ein zweiter im Herbst. In der ersten Welle entlässt SRF weniger Leute als ursprünglich angenommen – aber nur deshalb, weil mehr als doppelt so viele Mitarbeitende sich für einen freiwilligen Abgang entschieden haben. Das sei «inmitten einer Medienkrise nicht gerade ein Ruhmesblatt für den öffentlich-rechtlichen Sender», kommentiert die Mediengewerkschaft SSM, die das SRF-Personal unterstützt. Andere werden gegangen, wie jener langjährige Literaturredaktor, dem quasi Knall auf Fall laufende Aufträge entzogen wurden, weil «Pensionierte gemäss Beschluss der Geschäftsleitung grundsätzlich keine Aufträge mehr bekämen», wie der Journalist auf Facebook schreibt. SRF bestätigt diese Regelung auf Anfrage.

Abgebaut werden Stellen bei der klassischen Inhalte-Produktion, also bei Kultur, Unterhaltung und den Redaktionen von Radio und Fernsehen.

Die schiere Dimension des Reformvorhabens, das SRF noch über Jahre beschäftigen wird, lässt sich heute erst an seinen äusseren Konturen erkennen. So will SRF seine Inhalte künftig aktiver bewirtschaften und gezielter auf den passenden Plattformen zu den zuvor identifizierten Zielpublika bringen. Für die damit verbundenen Aufgaben werden mehrere Dutzend neuer Stellen geschaffen. Zusätzliche Fachleute braucht es zudem in den Bereichen Technologie und Online-News. Abgebaut werden Stellen bei der klassischen Inhalte-Produktion, also bei Kultur, Unterhaltung und den Redaktionen von Radio und Fernsehen. SRF wird demnach künftig weniger Inhalte auf mehr Kanälen und Plattformen verteilen.

Inzwischen hat der Aufschrei der 466 Angestellten auch die Chefetage erreicht. Die Geschäftsleitung von SRF traf sich am 12. Januar mit dem Initianten und der Initiantin des Briefs zu einer Video-Konferenz. Der Austausch verlief aus Personalsicht positiv. Sie hätten den Eindruck, «dass sie unser Anliegen ernst nehmen», schreiben die beiden SRF-Angestellten in einer Mail an die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefs. Zu konkreten Massnahmen mochten sich die Chefinnen und Chefs allerdings nicht durchringen. So steht weiterhin die unerfüllte Forderung im Raum, dass ein Mitglied der Personaldelegation an den Sitzungen der Geschäftsleitung teilnehmen und dort mitreden könnte. Auch die geforderte Transparenz über die Projektkosten gibt es bisher nicht.

Was sich nicht vermitteln lässt, muss vielleicht noch einmal überdacht werden.

Die gestörte Verhältnis zwischen einem grossen Teil des Personals und der SRF-Spitze bietet keine idealen Voraussetzungen für den weiteren Verlauf des Reformprojekts. Den Grund dafür muss man aber nicht nur bei der Kommunikation suchen, sondern auch beim Projekt an sich. Was sich nicht vermitteln lässt, sollte vielleicht noch einmal überdacht werden.

Dass Grossprojekte ungeplante und unerfreuliche Wendungen nehmen können, weiss SRF nur allzu gut. Die Um- und Ausbauten am Studiostandort Leutschenbach und die Einführung eines neuen Schnittsystems für die Fernsehproduktion stehen unter keinem guten Stern. Aber das sind andere Baustellen.

Bild: Daniele Levis Pelusi auf Unsplash

Leserbeiträge

Hans Felix Mohr 22. Januar 2021, 13:26

Wohin der „Reformtaumel“ der SRF führen soll, ist wohl nicht nur den betroffenen Angestellten, son dern auch dem Radio-und Fernsehkonsumenten nicht klar. Wir tragen via Serafe mit der Radio-und Fernsehabgabe zur Finanzierung von SRF bei und möchten eigentlich wissen, wie die Programme nach dem Abschluss des „Reformtaumels“ aussehen werden. Wir können ja bereits heute viele Programme im Internet abrufen – so wir wollen. Aenderungen in der Programmstruktur hat es ja auch früher schon gegeben. Versteckt sich die Programmleitung und die Leiterin Kommunikation hinter unklaren Formulierungen („Sprachblasen“), weil sie selbst noch nicht wissen, was sie eigentlich wollen? Ausser sparen.

Ruedi Beglinger 22. Januar 2021, 15:16

Wenn SRF weniger Inhalte produziert und dafür mehr Kanäle dafür will, machen die Verantwortlichen das Falsche. Es müsste heissen: Mehr und bessere Inhalte. Die saichte Unterhaltung gibt’s auf jedem Privatsender.