«Play Suisse»: Das SRG-Flaggschiff als Ruderboot
Seit einem halben Jahr betreibt die SRG «Play Suisse». Das mehrsprachige Streaming-Angebot wächst langsam und stetig, fristet aber noch ein Nischendasein neben den grossen Plattformen von SRF & Co. Eine Zwischenbilanz.
Vor lauter negativer Schlagzeilen ging fast vergessen, dass die SRG auch Positives zu melden hätte. Und das Unternehmen bemüht sich durchaus, die erfreulichen Botschaften angemessen zu vermitteln. So glich der kürzlich veröffentlichte Geschäftsbericht für das vergangene Jahr einer Werbebroschüre für «Play Suisse» – über fünfzig Mal wird darin das neue Videoportal erwähnt und ein eigenes Kapitel rekapituliert den Entstehungsprozess, inklusive Gründungslegende. Generaldirektor Gilles Marchand habe eines Tages einen Einfall gehabt: «Ich war überzeugt, dass die Schweiz eine Plattform braucht, die einheimische Serien, Filme und Dokumentationen aus allen Landesteilen an einem Ort vereint». Er habe die Idee aufgeschrieben – nicht auf einen Bierdeckel – sondern auf ein A4-Blatt und sie Bakel Walden geschickt, dem Leiter der Direktion Entwicklung und Angebot.
Drei Jahre nach dieser Skizze und ein halbes Jahr nach dem Start von «Play Suisse» zeigt sich Walden grundsätzlich zufrieden mit dem bisher Erreichten. Ja, mehr noch: «Play Suisse ist für die SRG weiterhin eine Erfolgsgeschichte», bilanziert der Entwicklungschef auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Er macht dies vor allem an einem Wert fest: Bis heute steigt die Zahl der angemeldeten Nutzer:innen auf der neuen Plattform. Mitte Mai waren es 260’000 Personen, die ein persönliches Login erstellt hatten. Ob das viel sind, bleibt Ansichtssache:
In den Wochen nach dem Start im letzten November meldeten sich 130’000 Personen an. Danach dauerte es fast ein halbes Jahr bis zur Verdoppelung.
Über die Nutzung des Filmangebots sagt die Zahl der Anmeldungen indes nichts aus. Man kann sich auch registrieren, ohne danach regelmässig Filme und Serien zu schauen. Doch die Zahlen zur Nutzungsdauer bleiben vorerst ein Betriebsgeheimnis. Die Stunde der Wahrheit schlägt erst Ende Jahr. Dann will der Medienforschungsdienst Mediapulse erstmals Zahlen zu «Play Suisse» veröffentlichen. Der einzige Kennwert, der jetzt schon zu erfahren ist, sind die monatlichen Besuche auf der Website playsuisse.ch. In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres verzeichnete die SRG durchschnittlich rund 400’000 Visits pro Monat. Das ist sehr wenig im Vergleich zur Website von Schweizer Radio und Fernsehen: Sie wurde auch im schlechtesten Monat des vergangenen Jahres noch 200 Mal öfter besucht. Allerdings finde auf der Website nur knapp die Hälfte der Nutzung statt, gibt Bakel Walden zu bedenken. «Die mobile App und insbesondere die TV-App sind sehr wichtige Ausspielplattformen für uns, sowohl in Bezug auf Nutzungsfrequenz als auch -dauer», so Walden. Was das genau heisst, verrät er aber nicht.
Nach einem halben Jahr Betriebszeit steht fest, dass «Play Suisse» kein Instant-Erfolg war. Das wissen auch die Verantwortlichen: «Es braucht viel Engagement und Fokus, um Play Suisse dauerhaft zu etablieren», so Bakel Walden. Entscheidend für den angestrebten Erfolg sind die Filme und Serien, welche die SRG auf der neuen Plattform bereitstellt. Nach einem Startfeuerwerk und einem ersten Peak gegen Ende Jahr dank zahlreichen Premieren von Produktionen in allen vier Landessprachen («Frieden», «Cellule de Crise», «Advent, Advent», «Meta da fein», «Bâtards») flacht die Nutzung seither ab. Um die Kurve auch in Zeiten mit allgemein geringerer Bewegtbildnutzung, wie im Frühling und Sommer, stabil zu halten, baut die SRG das Angebot fortlaufen aus. Quasi als Plattform auf der Plattform fungiert die «European Collection», welche die SRG zusammen mit ARTE, ARD, ZDF und «France Télévisions» lanciert hat. Diese Kollektion bietet Dokumentarfilme und Reportagen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen, die Europa bewegen. Der Katalog umfasst heute mehr als 2000 Titel, die alle dreisprachig zur Verfügung stehen. Ein Drittel der Inhalte wird mit Untertiteln genutzt.
Doch das attraktivste Angebot allein bringt nicht automatische den gewünschten Erfolg.
Zum einen muss das Publikum wissen, dass es eine neue Plattform gibt, zum anderen muss es sich dann dort auch zurechtfinden. Beides sei bis jetzt noch ungenügend gelöst, findet Thomas Tribolet, der als Sekretär und Konsulent der Filmproduzentenverbände der MEDIENWOCHE Auskunft gibt. «Wir würden es begrüssen, wenn die Plattform stärker kuratiert und auch intensiver in der Öffentlichkeit bewirtschaftet würde. Nach wie vor kennen nur relativ wenige Personen das Angebot, was doch schade ist.» Den Vorwurf der mangelhaften Kuration lässt man bei der SRG nicht gelten. Neben Personal der Sender in den vier Sprachregionen kümmerten sich auch Fachleute direkt bei «Play Suisse» um Auswahl und Aufbereitung des Angebots. «Die Plattform ist bereits jetzt stark kuratiert», hält Bakel Walden fest.
Was die Werbung angeht, ist Tribolet mit seinem Eindruck nicht allein. Es gibt weiterhin zu viele Leute, die «Play Suisse» nicht kennen und die das Angebot eigentlich kennen sollten. Auch Beobachtungen im Umfeld des Autors zeigen immer wieder Unkenntnis beim potenziellen Zielpublikum, etwa älteren kultur- und filminteressierten Personen. Da mag daher rühren, dass diese Kreise die Anzeigen für «Play Suisse» auf Instagram und Facebook nicht sehen, wo die SRG sehr intensiv für die neue Plattform wirbt. Im zweiten Halbjahr unternehme man verstärkt Anstrengungen, um das Angebot weiter bekanntzumachen, heisst es bei der SRG.
Eine andere Kritik aus der Filmbrache, die auch schon vor dem Start von «Play Suisse» geäussert wurde, betrifft den kostenlosen Zugang. Gratis ist die Plattform natürlich nicht. Sie ist aus der Medienabgabe finanziert, welche die Schweizer Haushalte zahlen müssen. Aber im Gegensatz zu kommerziellen Streamingdiensten wie Netflix fallen für die Nutzung keine weiteren Kosten an. Mit Sicht auf den Service-public-Auftrag der SRG sei das verständlich, findet Thomas Tribolet. Dennoch fordert er namens der Produzentenverbände:
«Wir sind allerdings der Auffassung, dass einzelne neuere Filme auch als Bezahlangebot zugänglich gemacht werden könnten, das würde das Angebot noch vielfältiger machen.»
Um (mehr) Geld für den Film geht es auch in der Reaktion von Daniel Fuchs von Swiss Films, der Promotionsagentur des Schweizer Filmschaffens. «Solange sich Schweizer Produzentinnen und Produzenten mit einer Auswertung im Kino oder auf anderen Plattformen mehr Einnahmen versprechen, werden sie sich prioritär für eine Auswertung auf diesen Kanälen entscheiden.» Bakel Walden schliesst nicht a priori aus, dass es dereinst auf «Play Suisse» auch Filme und Serien geben könnte, für die das Publikum zahlen müsste. Die Bedürfnisse von Produzentinnen und Produzenten nehme man ernst und sei «sehr offen für nächste Schritte».
Dass der Weg von «Play Suisse» kein leichter sein würde, wusste die SRG von Anfang an.
Ein Streaming-Portal zu etablieren, auf das niemand gewartet hat, schafft man nur mit einer gewissen Wasserverdrängung.
Noch gleicht das Service-public-Flaggschiff einem Ruderboot. Das ist zwar auf Kurs, aber langsam und klein. Dass «Play Suisse» nicht von Beginn weg stärker unterwegs ist, liegt möglicherweise auch an zwei strategischen Entscheidungen der SRG.
So wie die SRG in anderen Bereichen mit privaten Medien zusammenarbeitet, war auch angedacht, die neue Plattform für Kooperationen zu öffnen, ja gar schon bei der Entwicklung mit anderen Medienunternehmen zusammenzuspannen. Interesse zeigte insbesondere CH Media, das seit dem Kauf der 3-Plus-Gruppe und mit seinen Regionalsendern über ein grosses TV-Portfolio verfügt.
Man sei offen für Partnerschaften und Kooperationen mit Dritten, hiess es bei der SRG noch Anfang 2020, ein knappes Jahr vor dem Start von «Play Suisse».
Gleichzeitig war aber auch schon klar, dass die SRG das Projekt alleine aufbauen wollte. Die möglichen Partner tauschten sich aber weiter aus. «Die Gespräche waren konstruktiv, doch die SRG war zum damaligen Zeitpunkt nicht bereit, auf unsere Interessen einzugehen», erklärte Roger Elsener, Geschäftsführer Entertainment von CH Media, im April gegenüber persoenlich.com. Darum entschied sich das grösste private Schweizer TV-Unternehmen für den Alleingang und kündigte diesen März die Lancierung einer eigenen Streaming-Plattform an. OnePlus soll im kommenden Herbst starten. Das inhaltliche Profil ist jenem von «Play Suisse» zum Verwechseln ähnlich: «Im Kern sind es unsere Schweizer Inhalte, die den Unterschied ausmachen. Wir werden auf der Plattform viele Schweizer Spielfilme sowie eigene Produktionen und Originals anbieten.» Nun ist der «Bachelor» keine «Sternstunde», aber das Publikumssegment, das gerne beide Sendungen schaut, dürfte grösser sein als die Zahl jener Zuschauer:innen, die nasenrümpfend die Plattform verlassen, weil sie sich durch die schiere Präsenz des Reality-Trashformats gestört fühlen.
Die Bedenken auf Seiten der SRG, ob das CH-Media-Format «Bachelor» auf einer gemeinsamen Plattform stattfinden solle oder nicht, waren natürlich nicht der ausschlaggebende Grund, dass es mit der Kooperation nicht klappte. Bakel Walden gibt zu bedenken, wie komplex die Projektorganisation nur schon innerhalb der SRG gewesen sei. «Das Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichen Zielen der beiden Unternehmen hätte den Aufbau der Plattform deutlich erschwert.»
Die zweite – möglicherweise – verpasste Chance für mehr Punch ist der Entscheid, die neue Streaming-Plattform zusätzlich zu den bestehenden sprachregionalen Portalen srf.ch, rsi.ch oder rts.ch aufzubauen.
Innerhalb der SRG gab es Stimmen, die es für sinnvoller gehalten hätten, den grossen Schritt zu wagen und eine einzige grosses Plattform zu schaffen, eine zentrale Mediathek mit allen SRG-Inhalten.
Dass man sich dagegen entschieden habe, räche sich nun, sagen Insider, welche diese Lösung favorisiert hätten. Der Parallelbetrieb koste viel Geld und verwirre nur die Nutzer:innen, weil sie nicht wüssten, welche Inhalte sie wo finden. Dabei wird es vorerst bleiben. Eine Zusammenlegung sei nicht geplant, teilt Bakel Walden mit. «Play Suisse» und die sprachregionalen Plattformen würden sich doch stark voneinander unterscheiden mit unterschiedlichen Inhalten und auch Audio-Angeboten, die es auf der nationalen Streamingplattform nicht gebe.
Die SRG hast sich für einen Weg entscheiden, mit dem sie den Erfolg sucht. Ob sie ihn auch findet, weiss niemand. Klar ist nur: «Es gibt noch enorm viel zu tun, zu verbessern und zu entwickeln», so die wahren Worte Waldens.