von Lisa Schwaiger

Studie: Die Jugend ist für den Journalismus nicht verloren

Jugendliche interessieren sich durchaus für das Weltgeschehen. Nur informieren sie sich dazu nicht in erster Linie in journalistischen Medien. Was braucht ein Medienangebot, um junge Menschen anzusprechen? Eine Studie von Schweizer Hochschulen kommt zu aufschlussreichen Befunden, verpasste es aber, an entscheidenden Stellen weiterzufragen.

Etwa die Hälfte der jungen Leute in der Schweiz gelten als sogenannte «News-Deprivierte» (fög, 2020). Deren Hauptcharakteristika: Unterdurchschnittlicher Newskonsum mit starkem Fokus auf soziale Medien. Bei der Nutzung von Social Media werden News allerdings – wenn überhaupt – nur häppchenweise, situativ und häufig nebenbei konsumiert. Nachrichten erreichen die Nutzer:innen basierend auf deren persönlichen Interessen, Nachrichtenangebote von TV, Radio und Presse verlieren so an Bedeutung.

Das stellt den professionellen Journalismus vor Fragen und Schwierigkeiten: Welche Rolle spielen News für junge Leute überhaupt noch? Und wie lassen sich diese animieren, informationsjournalistische Angebote wieder verstärkt zu nutzen, insbesondere in Zeiten, in denen der professionelle Journalismus generell zu kämpfen hat?

Auf diese Fragen suchten Forscher:innen der ZHAW, der Universität Lugano und der Universität Lausanne Antworten. Ihre qualitative Studie «Schweizer Digital Natives mit Nachrichten erreichen» entstand im Auftrag und mit Geldern vom Bundesamt für Kommunikation BAKOM. Sie nutzten ein multimethodisches Design mit Interviews, Fokusgruppendiskussionen und Medientagebüchern. Insgesamt nahmen 66 Jugendliche im Alter von 12 bis 20 Jahren aus den drei Schweizer Sprachregionen an der Studie teil. Die Haupterkenntnisse der Studie:

Jugendliche haben durchaus Interesse am Weltgeschehen. Um die jungen Leute zu erreichen, braucht es aber neue Formate.

Eines vorweg: Unkritisch sind die jungen Leute ganz und gar nicht. Gemäss Selbsteinschätzung betrachten schon die 12- bis 15-Jährigen das Fernsehen als Nachrichtenkanal vertrauenswürdiger, da es hier «komplexe Produktionsprozesse» gebe, während sich auf Social Media alle Inhalte verbreiten können. Das Problem: TV nutzen die Jungen meist nur in Anwesenheit der Eltern, für die das Fernsehen noch eher zur täglichen Routine zählt. Bei der älteren Gruppe der bis 20-Jährigen ist die Skepsis hinsichtlich News auf Social Media sogar noch ausgeprägter. «Fake News» ist den Jugendlichen nicht nur ein Begriff, sondern sogar ein besorgniserregendes Thema. So weit, dass sie angeben, selbständig «Fact-Checking» zu betreiben, indem sie unterschiedliche Quellen (am liebsten auf Google) miteinander vergleichen.

So ist die Studie entstanden

Im Gegensatz zu quantifizierenden Studien, die in diesem Forschungsbereich gerne eingesetzt werden, geht der hier gewählte Ansatz stärker in die Tiefe. Er nutzt dafür ein multimethodisches Design mit Interviews, Fokusgruppendiskussionen und Medientagebüchern.

Dargestellt werden die Ergebnisse einerseits über ein «Audience Modell», das die unterschiedlichen Nachrichtenroutinen und Medienkompetenzen der Altersgruppen 12 bis 14, 15 bis 17 und 18 bis 20 illustriert. Zudem werden mittels eines «Persona»-Ansatzes beispielhafte Idealtypen aus unterschiedlichen Altersgruppen beschrieben.

Insgesamt wurden 66 Jugendliche im Alter von 12 bis 20 Jahren aus den drei Schweizer Sprachregionen für die Studienteilnahme gewonnen, dabei achteten die Forscher:innen auf eine Balance hinsichtlich Geschlecht, Bildung und sozialer wie auch geographischer Herkunft.

Während die Erhebung der Daten ausführlich beschrieben ist, fehlen in der Studie konkretere Informationen zur Auswertungsmethode und -strategie, um die Nachvollziehbarkeit der Resultate zu stärken.


Dieser Befund erfreut nicht nur Medienschaffende und -wissenschafter:innen, sondern ist auch ein gutes Zeichen für moderne Demokratien. Inwieweit die Antworten der Jugendlichen tatsächlich der Realität entsprechen, bleibt in der Studie allerdings ungeklärt. Nicht untersucht hat die Studie beispielsweise, ob die jungen Leute Falschnachrichten überhaupt als solche identifizieren können. Aktuelle Befunde der PISA-Studie zeigen, dass 15-Jährige in der Schweiz aufgrund mangelnder Lesekompetenz Falschnachrichten nicht ausreichend einordnen können.

Durch das omnipräsente Smartphone haben viele das Nichtstun verlernt.

Langeweile oder Wartesituationen im Alltag werden mit dem Handy überbrückt, besonders die 12- bis 15-Jährigen machen das so. Dabei sind es vor allem unterhaltsame Beiträge, am besten audiovisuell aufbereitet, welche die junge Zielgruppe nebenbei nutzt und bevorzugt.

Das schliesst aber nicht aus, dass es die meisten Studienteilnehmer:innen gleichzeitig als wichtig erachten, informiert zu sein: Um mitreden zu können, wenn aktuelle Themen im Freundeskreis aufkommen, so beispielsweise zu Klima- und Umweltschutz. Um auf dem Laufenden zu bleiben bei Themen, die sie persönlich interessieren oder individuell betreffen. Politisch informiert zu sein, spielt jedoch erst bei den über 18-Jährigen eine wichtige Rolle. Diese Altersgruppe würde sich gemäss Studie gerne kompetenter fühlen für politische Entscheidungsprozesse. Das Problem: Politische Nachrichten erscheinen den meisten Befragten zu komplex. Die jüngsten Studienteilnehmer:innen können diese ohne Unterstützung der Eltern oder der Schule kaum einordnen.

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Die Funktion des Journalismus für die politische Entscheidungsfindung und seine Bedeutung für die Demokratie reflektieren Jugendliche deutlich weniger, und wenn, dann tun es die ältesten Befragten. Hier hätte die Studie noch genauer nachfragen können. Offen bleibt beispielsweise die Frage, ob an diesem Punkt nicht auch Bildungsunterschiede zum Tragen kommen. Und um einen Sprung aus dem Elfenbeinturm politisch interessierter Erwachsener zu wagen:

Wie bewusst war uns als 15-Jährige der Zusammenhang zwischen Nachrichtennutzung und einer funktionierenden Demokratie?

Im Übrigen sind es nicht nur die jüngsten Bürger:innen, die von einer «News-Deprivation» betroffen sind: 37 Prozent der Schweizer Bevölkerung gelten als mit Nachrichten unterversorgt (fög, 2020). Entsprechend kritisch müsste hinterfragt werden, ob die Eltern ihrer Vorbildfunktion bei der Mediennutzung überhaupt noch nachkommen können.

Robin (15) nutzt vor allem Newsfeeds über Apps, interessiert sich für Klima und bezieht Nachrichten auch über Influencer:innen. Robin ist eine von vier genderneutralen «Superpersonas», die von den Autor:innen als fiktive Beispiele für unterschiedliches Nutzungsverhalten, Einstellungen und Motivationen hinsichtlich des Newskonsums skizziert wurden. Mithilfe dieser Methode versuchen die Forscher:innen Anhaltspunkte darüber zu geben, wie sich Jugendliche in der Schweiz für Nachrichten gewinnen lassen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem die 15- bis 17-Jährigen mit neuen Nachrichtenformaten gewonnen werden könnten, da sie erst ihre persönlichen Newskonsum-Routinen entwickeln.

Anders als bei den unter 15-Jährigen spielen Eltern und Schule bei den älteren Jugendlichen eine geringere Rolle bei der Wahl der Medien. Die Autor:innen halten fest, dass es vor allem disruptive Lebensphasen sind, in denen 15- bis 17-Jährige mit neuen Formaten erreicht werden können. Das kann beispielsweise ein Schulwechsel oder ein Umzug sein, wenn neue Freund:innen gewonnen werden und schliesslich neue Themen und Interessen aufkommen, über die man diskutieren will. Wie sich der professionelle Journalismus solche Lebensphasen zunutze machen kann und mit welchen Formaten konkret junge Zielgruppen erreicht werden können, bleibt in der Studie vage.

Wenn die Studienteilnehmer:innen gefragt werden, was sie sich zukünftig vom professionellen Informationsjournalismus wünschen, sind sie sich relativ einig. Über alle Altersgruppen hinweg überzeugen am meisten audiovisuelle Formate, die Nachrichten zusammenfassen, wie sie es von Social-Media-Plattformen wie Instagram und YouTube kennen. Die Studienteilnehmer:innen ab 16 Jahren wünschen sich Apps oder Online-Magazine, die die «wichtigsten aktuellen Nachrichten» zusammenfassen. Unter Nachrichten fassen die Jungen in diesem Zusammenhang «alles, was gerade in der Welt passiert und wichtig in ihrem Leben ist». Damit meinen sie aber nicht nur Nachrichten von gesellschaftlicher Relevanz, sondern auch Wetterberichte oder ÖV-Fahrpläne. An diesem Punkt wären detaillierte Aussagen der Teilnehmenden spannend gewesen – gerade auch mit Blick auf die jüngeren Befragten, die den Wunsch nach personalisierten Beiträgen äussern, die den eigenen Interessen entsprechen. Den Nachrichtenbegriff können die jüngeren Befragten noch weniger fassen als die älteren. Die in der Studie festgestellten Erwartungen von Jugendlichen an den Journalismus decken sich mit jenen der 20- bis 25-Jährigen (Schwaiger, 2020).

Zukünftige Forschung muss eine personalisierte Selektion von Nachrichtenbeiträgen, wie sie sich Jugendliche wünschen, kritisch reflektieren.

Die Funktion des Journalismus, dass sich Bürger:innen ein umfassendes Bild der Gesellschaft machen können, gerät an diesem Punkt ins Wanken. Insbesondere dann, wenn Beiträge algorithmisch selektiert werden.

Klar ist: Der professionelle Journalismus muss Angebote schaffen, die für die Smartphone-sozialisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen überhaupt noch in Frage kommen. Wie müsste aber nun ein solches Medienangebot aussehen, das den Bedürfnissen der untersuchten Altersgruppen gerecht wird? Die Studie bleibt bei dieser Frage leider unspezifisch. Das ist nicht zuletzt aufgrund des umfangreichen methodischen Designs der Studie schade. Die Autor:innen halten zwar fest, dass audiovisuelle Social-Media-Beiträge wie Instagram-Storys, Memes oder Youtube-Content besonders populär sind unter den Jungen. Welche konkreten Formate das leisten, lassen sie leider offen.

Die Kommunikationswissenschaft hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag: Den Medienwandel nicht nur zu beobachten, sondern ihre Analysen auch in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dieser Artikel ist Teil einer Serie zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung.