von Nick Lüthi

SRF als Service Youtube

Die Videoplattform von Google spielt für Schweizer Radio und Fernsehen SRF eine immer wichtigere Rolle: Youtube ist das neue Fernsehen. Damit spart man zwar Geld, schafft aber heikle Abhängigkeiten.

Was früher der Sendestart war, ist heute die Plattformpremiere. Wenn Schweizer Radio und Fernsehen SRF eine neue Eigenproduktion an den Start bringt, dann findet die Erstausstrahlung vermehrt auf Youtube statt. Aktuell etwa bei der zweiten Staffel von «Bleisch & Bossart», einem philosophischen Gesprächsformat aus der Abteilung Kultur. Einen Sendetermin im linearen Programm gibt es nicht mehr. Ausser auf Youtube kann man die Sendung auch auf Play SRF anschauen. Allerdings gibt es dort keine Möglichkeit, die einzelnen Folgen zu kommentieren und mit Barbara Bleisch und Yves Bossart zu diskutieren. Die Community pflegt SRF nur auf Youtube.

Neue Formate für ein jüngeres Publikum entwickelt SRF heute zunehmend mit Blick auf deren Verwertbarkeit auf Drittplattformen wie Youtube oder Instagram. Mit «SRF Kultur» und «SRF DOK» verfügt Schweizer Radio und Fernsehen über zwei reichweitenstarke Kanäle auf Youtube, die 140’000 respektive 184’000 Personen abonniert haben.

Dort präsentiert SRF vor allem «Longseller», Videos mit einer langen Lebenserwartung, wie Dokumentationen, Gespräche und andere Hintergrundformate. Aktuell stehen auf den beiden Kanälen über 3000 Filmbeiträge aus 13 Jahren SRF-Produktion bereit, und es kommen immer mehr dazu. Tagesaktuelle Nachrichten verbreitet SRF hingegen auf den eigenen Plattformen, mit Ausnahme vom Sport, wo SRF auch kürzere Clips mit Zusammenfassungen aktueller Sportereignisse auf einem Youtube-Kanal bereitstellt, den 55’000 Personen abonniert haben.

Insgesamt bespielt SRF rund zwanzig verschiedene YouTube-Kanäle.

Als besonders offensiv will SRF sein Vorgehen aber nicht verstanden wissen. «SRF hat sich nicht für eine Offensive auf Youtube entschieden, sondern erfüllt mit ausgewählten Angeboten seinen Konzessionsauftrag», erklärte Stefano Semeria, der seit Februar die Abteilung Distribution von SRF leitet. Semeria bezieht sich auf Artikel 13 in der SRG-Konzession. Dort steht: «Inhalte, Formate und Technik der Angebote werden so aufbereitet und verbreitet, wie es den Nutzungsgewohnheiten der jungen Zielgruppen entspricht.» Und da sich die junge Zielgruppe gerne auf Youtube aufhalte, sei SRF mit seinen Inhalten dort präsent.

Das heisst aber auch, dass man die Kontrolle über die Distribution der Inhalte bis zu einem gewissen Grad abgibt. Beim Youtube-Kanal «SRF Kids», den SRF als Nachfolge zum Kinderprogramm am Radio aufbaut, ist es zum Beispiel nicht möglich, sich über neue Beiträge benachrichtigen zu lassen. Youtube hat diese Funktion deaktiviert auf Grundlage des US-Gesetzes zum Schutz der Privatsphäre von Kindern im Internet.

Nun handelt es sich bei Youtube nicht um eine offene und gemeinnützige Plattform, sondern um eine Geldmaschine von Google.

Wie damit umgehen? Zumindest auf dem Papier hat die SRG einen Weg gefunden, wie sie mit dem Dilemma umgehen will, das sie zwar auf Youtube angewiesen ist, um auch ein jüngeres Zielpublikum zu erreichen, aber sich gleichzeitig in die Abhängigkeit eines Netzgiganten begibt. Das Rezept lautet: «Mit exklusiven Angeboten ziehen wir die Nutzer auf unsere eigenen Plattformen.» So steht es im «Konzept Distribution Drittplattformen 2020–2022», das die Geschäftsleitung der SRG im Januar 2020 beschlossen hatte.

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Die Realität sieht aber anders aus. Um beim eingangs erwähnten Beispiel von «Bleisch & Bossart» zu bleiben: Anstatt die neuen Folgen exklusiv auf Play SRF anzubieten, stellt sie SRF von Anfang an auch auf Youtube. Wie es anders geht, zeigt das ZDF mit dem «ZDF Magazin Royale» von Jan Böhmermann. Wer die aktuelle Folge unmittelbar nach der Veröffentlichung sehen will, kann das nur in der ZDF-Mediathek tun. Erst nach ein paar Stunden werten Teile der Sendung auf Youtube freigeschaltet, nicht aber die ganze Folge.

Wenn die SRG «hochwertig eigenproduzierte Inhalte zukünftig zuerst über» ihre «eigenen Plattformen» anbieten will, wie das Unternehmen in seinem Distributionskonzept festhält, dann sollte das Publikum auch davon erfahren, dass es «exklusive Angebote» gibt. Sonst wird es sie nie finden.

Für die «hochwertig eigenproduzierten Inhalte» existiert seit einem halben Jahr die SRG-Plattform «Play Suisse». Dass dort ein reichhaltiges Angebot an Schweizer Spiel- und Dokumentarfilmen bereitsteht, erfährt man aber auf den YouTube-Kanälen von SRF nicht. Ein «Play Suisse»-Kanal dümpelt ungenutzt vor sich hin. Überhaupt fährt SRF auf Youtube keine Teaser-Strategie:

Die bereitgestellten Inhalte aus den Bereichen Dokumentation und Reporrtage stehen alle in ihrem vollen Umfang auf Youtube.

Als grossen Nachteil der Distribution auf Drittplattformen sieht die SRG den fehlenden oder lückenhaften Zugang zu deren Nutzerdaten. Anders als bei der eigenen Infrastruktur, wo sich das Publikumsverhalten im gesetzlichen Rahmen nach Belieben messen lässt, ist man bei Youtube auf den Goodwill von Google angewiesen. Man wolle deshalb «auf Zugang zu Nutzungsdaten hinwirken» steht in der «Teilstrategie Distribution 2021», welche die Geschäftsleitung der SRG im vergangenen Februar beschlossen hat und die für alle Bereich des Unternehmens gilt.

Distribution unter Spardruck

Früher war alles einfacher. Es gab Fernsehen und es gab Radio. Heute finden Bild und Ton auf immer mehr und immer unterschiedlicheren Wegen zu den Augen und Ohren des Publikums. Wenn ein von der Allgemeinheit finanziertes Medienunternehmen wie die SRG möglichst alle erreichen soll, dann ist das zu einer komplexen Aufgabe geworden. Die zu lösen helfen soll die «Teilstrategie Distribution», welche die SRG-Geschäftsleitung im vergangenen Februar beschlossen hat. Darin formuliert die SRG Massnahmen, mit denen sie in den kommenden Jahren ihre Angebote «zur richtigen Zeit, auf dem richtigen Weg und in angemessener Qualität zu unseren Kund*innen bringen» will. Und das unter permanentem Spardruck. Entsprechend oft ist von «Kostenoptimierung» und «Kostenkontrolle» die Rede. Die Spannweite der Massnahmen reicht von so konkreten Vorhaben wie der Abschaltung von Teletext (und dem Ersatz durch HbbTV) oder dem Verzicht auf die Notstromversorgung bei den Radiosendern, bis zu allgemein gehaltenen langfristigen Aufgaben, etwa die Entwicklung der Distributionstechnologien und ihrer Kosten zu beobachten.

Während die eingeschränkte Datensouveränität eigentlich gegen eine allzu starke Präsenz auf Youtube spricht, liefern die Kosten ein Argument dafür. Mit jedem Video, das jemand auf Youtube (oder auf anderen Drittplattformen) und nicht über die SRF-eigene Infrastruktur schaut, spart SRF Kosten:

Anbieter wie Google verlangen kein Geld für die Weiterverbreitung, schliesslich erhalten sie kostenlos attraktive Inhalte für ihre Plattform.

Von einer kohärenten Youtube-Strategie zu sprechen, wäre im Fall von SRG und SRF übertrieben. Die massgeblichen Dokumente dokumentieren vielmehr das Dilemma im Umgang mit Drittplattformen, als dass sie einen klaren Weg weisen würden. Klar ist aber auch, dass es keine «richtige» Strategie gibt und alle vor den gleichen Herausforderungen stehen. «Die Strategien anderer öffentlich-rechtlicher Medienanbieter sind weltweit sehr unterschiedlich und reichen von Veröffentlichung von Ausschnitten bis zum Einstellen vollständiger Sendungen oder Serien», umreisst SRF-Distributionschef Stefano Semeria das Spektrum.

Die Bandbreite reicht von regulatorisch auferlegter Abstinenz wie beim ORF Österreich bis zu den schweizerischen und deutschen Sendern, die sehr viele Inhalte integral auf Youtube stellen. Dazwischen bewegen sich die skandinavischen Sender, die vor allem Teaser-Videos anbieten und auf das vollständige Angebot in ihren Mediatheken verweisen.

Youtube wird so schnell nicht verschwinden. Aber vielleicht gibt es in Zukunft neben den kommerziellen auch Service-public-Videoplattformen, beispielsweise in länder- und senderübergreifender Kooperation. Zusammen mit der Europäischen Rundfunkunion EBU will die SRG «mögliche Ansätze zu offenen Drittplattformen prüfen und verfolgen». Das ist zwar alles andere als konkret, aber schon mal die richtige Richtung raus aus der Abhängigkeit von Youtube.