von Nick Lüthi

Erst die Subventionen vom Staat, dann das Geld von Google

Während die Verleger für eine staatliche Medienförderung weibeln, haben sie schon die nächste Geldquelle im Visier: Google soll zahlen. Dafür hat der Verband Schweizer Medien eine 2013 beerdigte Forderung ausgegraben.

Gemessen am Superlativ, den Verlegerpräsident Pietro Supino jüngst bemüht hat, scheint viel auf dem Spiel zu stehen. «Es ist wahrscheinlich das wichtigste Thema überhaupt, wenn es um die Zukunft des Journalismus und der Medienvielfalt in der Schweiz geht.» Das sagte Supino Anfang Oktober im Gespräch mit den CH-Media-Zeitungen. Ein paar Sätze später wurde er noch deutlicher: «Ohne Leistungsschutzrecht wird es in der Schweiz langfristig keine unabhängigen privaten Medien mehr geben können.»

Damit es nicht so weit kommt, wollen die Verleger mit einer Ergänzung der Gesetzgebung zum Urheberrecht Plattformanbieter wie Google gesetzlich dazu verpflichten, für die Nutzung von Medieninhalten eine Lizenzgebühr zu zahlen. Als Vorbild dient das Leistungsschutzrecht der EU.

Neuauflage einer «Katastrophe»

Im Mai 2019 hatte die EU ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger beschlossen. Seither machten sich die Mitgliedstaaten daran, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Dieser Prozess hätte im Juni 2021 abgeschlossen sein sollen. Das ist aber längst nicht überall der Fall. Während etwa Deutschland ein entsprechendes Gesetz termingerecht in Kraft setzte, liess die Regierung Österreichs die Frist verstreichen.

Von 2013 bis 2019 gab es in Deutschland bereits ein Leistungsschutzrecht. Wie das EU-Gesetz richtete sich auch diese Bestimmung vor allem gegen Google. Der Suchmaschinenanbieter sollte für die Verwendung von Text- und Bildanrissen von Zeitungsartikeln (sogenannten Snippets) eine Lizenzgebühr zahlen. Doch Google drehte den Spiess um: Man werde keine Anrisse mehr auf Google News anzeigen, es sei denn, die Verlage verzichteten auf die Ansprüche aus dem Gesetz. Tatsächlich gewährten viele deutsche Medien, auch solche, die wie Axel Springer an vorderster Front für das neue Gesetz lobbyiert hatten, der Suchmaschine eine solche Gratislizenz, damit ihre Inhalte auch weiterhin angezeigt würden.

Als der Europäische Gerichtshof das deutsche Leistungsschutzrecht 2019 wegen einer Formalie für nicht anwendbar erklärte, war kein einziger Cent an die Verlage geflossen; das Gesetz galt gemeinhin als «Katastrophe». Es würde darum nicht überraschen, wenn auch der Neuaufguss auf EU-Ebene nicht die von den Verlegern gewünschte Wirkung entfalten würde.

Wenn es darum geht, die problematische Marktmacht von Google zu beschränken, gibt es wirksamere Instrumente als ein Leistungsschutzrecht. Die beiden Gesetzesvorschläge Digital Services Act DSA und Digital Markets Act DMA, welche die EU-Kommission Ende 2020 vorgeschlagen hat, versprechen griffigere Instrumente gegen die Dominanz der US-Plattformkonzerne. Gerade der DSA, der die personalisierte Werbung einzuschränken oder gar zu verbieten vorschlägt, macht die Konzerne schon jetzt nervös. Eine solche Regulierung würde auch den europäischen Medien helfen, da ihre Plattformen wieder attraktiver würden für Werbung.

In der Schweiz geht die Forderung der Verleger nach einem Leistungsschutzrecht auf das Jahr 2009 zurück. Damals brachte der Verband Schweizer Presse in einem «medienpolitischen Manifest» Massnahmen ins Spiel, die sicherstellen sollten, dass «journalistische Inhalte und verlegerische Produkte einen griffigen Schutz geniessen vor der Ausnutzung durch Trittbrettfahrer.»

Was auf den ersten Blick nach einem legitimen Anspruch aussieht, wirft bei genauerer Betrachtung viele Fragen auf. Warum soll Google überhaupt zahlen? Herrscht nicht vielmehr eine Win-win-Situation zwischen Plattform und Medien: Inhalte gegen Traffic? Wer müsste alles zahlen? Nur grosse Plattformen oder auch kleinere Aggregatoren? Wer würde vom erhofften Geldsegen profitieren? Nur Verlage oder auch publizistisch aktive Einzelpersonen? Wie aufwändig wäre die Bürokratie für die Geldverteilung?

«Ein Leistungsschutzrecht ist für den Verband kein Thema mehr.»
Urs F. Meyer, Geschäftsführer Verlegerverband 2013

Vor allem der letzte Punkt war es, der die Schweizer Verleger vor acht Jahren Abstand nehmen liess von ihrer Forderung nach einem Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild. «Der Verwaltungsaufwand [für die kollektive Verwertung] stünde in keinem Verhältnis zum Ertrag», sagte 2013 Anfang 2013 Tamedia-Verleger Pietro Supino. Ein halbes Jahr später sagte Urs F. Meyer, der damalige Geschäftsführer des Verlegerverbands, in aller Deutlichkeit: «Ein Leistungsschutzrecht ist für den Verband kein Thema mehr.» Es sei ihnen «natürlich weiterhin ein zentrales Anliegen, dass die Inhalte der Verlage angemessen geschützt werden.» Aber dazu sei das Leistungsschutzrecht nicht das geeignete Mittel. Punktuelle Anpassungen des geltenden Urheberrechts reichten vollauf. Verbandspräsident Supino legt heute Wert darauf, dass er nie Abstand genommen habe von der grundsätzlichen Forderung nach einem Leistungsschutzrecht.

Sechs Jahre lang blieb das für untauglich erklärte Instrument in der Gruft, bevor es ab 2019 wieder herumzuspuken begann. Und heute gilt das Leistungsschutzrecht sogar als Garant für unabhängige Medien in der Schweiz.

Was ist passiert? Als sich 2019 die Revision des schweizerischen Urheberrechts in der Schlussphase befand, sah man dies in Verlegerkreisen als günstigen Moment, um einen neuen Passus hineinzulobbyieren – was vorerst auch gelang. Die zuständige Ständeratskommission baute ein Leistungsschutzrecht ins Gesetz ein. Doch das Plenum wies den Vorschlag zurück.

«Wir sind uns bewusst, dass das ein längerer Prozess wird.»
Stefan Wabel, Geschäftsführer Verband Schweizer Medien 2021

Vom Tisch ist das Thema aber nicht. Dem Bundesrat erteilte der Ständerat den Auftrag, bis 2021 einen Bericht zu erstellen, in dem er die Entwicklung des Urheberrechts in der EU beobachtet. Schwerpunkt soll die Situation der Verleger und Medienschaffenden sein. Der Bericht werde bis spätestens Anfang 2022 vorliegen, heisst es auf Anfrage beim Justizdepartement.

Der Verband Schweizer Medien zeigt sich zuversichtlich, dass es im zweiten Anlauf gelingen wird, ein Leistungsschutzrecht in der schweizerischen Gesetzgebung zu verankern. «Aber wir sind uns bewusst, dass das ein längerer Prozess wird», sagt Stefan Wabel im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Umso wichtiger sei es, so der Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien weiter, dass man jetzt verschiedene Stossrichtungen prüfe.

Tatsächlich tauchte das Thema in letzter Zeit vermehrt auf. Etwa im Rahmen des Ende August auf Initiative von Bundesrätin Simonetta Sommaruga lancierten «Mediendialogs». In diesem Rahmen streben Branchenverteterinnen und -vertreter einen Grundsatzentscheid an. Sie wollen herausfinden, «ob und unter welchen Bedingungen ein Schweizer Leistungsschutzrecht befürwortet wird».

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Auch am Swiss Media Forum von Ende September in Luzern war das Leistungsschutzrecht ein Thema. Ein Vertreter von Corint Media zog dort den Schweizer Verlegern den Speck durch den Mund. Die Verwertungsgesellschaft, die in Deutschland treuhänderisch die Urheber- und Leistungsschutzrechte von Verlagen vertritt, hat errechnet, dass den Medien fast eine Milliarde Euro pro Jahr an Lizenzgebühren von Google zustünden. In der Schweiz wäre der Betrag proportional kleiner, aber immer noch sehr viel Geld.

Wie Google die Medien umgarnt

Vor einem Jahr kündigte Google-Chef Sundar Pichai an, Verlagen in der ganzen Welt eine Milliarde Dollar für journalistische Inhalte zu zahlen. Die Artikel sollten auf der Plattform «Google News Showcase» in einer Art Schaufenster prominent gezeigt werden. Manche Beobachter sahen in dieser Zahlung eine Reaktion Googles auf den zunehmenden Druck, wie ihn nicht nur die EU mit ihrem Leistungsschutzrecht auszuüben versucht. Auch in Australien und Kanada nahm die Politik die Plattformkonzerne, neben Google auch Facebook, ins Visier.

Wenn die beiden Konzerne nun ihre Portokassen öffnen und – aus Sicht der Verlage – stattliche Summen locker machen, um den Journalismus zu fördern, bestimmen sie selbst Zeitpunkt und Umfang dieser Zahlungen. Die Intention ist klar: Wenn Google und Facebook mit Geldforderungen konfrontiert werden auf der Grundlage von Gesetzen, dann können sie auf ihre freiwilligen Zahlungen verweisen.

Die Aussicht auf ein Gesetz, das Riesenbeträge fliessen lässt, kann schon zur Einschätzung verleiten, dass sich damit quasi die Summen zurückholen liessen, welche die Medien in den letzten zwanzig Jahren an Google verloren haben.

Noch sind das aber abstrakte Gedankenspiele, welche die Rechnung ohne den Wirt machen. Google zeigt sich nämlich alles andere als gewillt, die von Verlegerseite errechneten Beträge auf der Basis des Leistungsschutzrechtes einfach so zu zahlen. Das wurde dieser Tage deutlich. Letzte Woche legte Corint Media einen Lizenzvertrag vor und verlangte von Google in Deutschland 420 Millionen Franken als Entschädigung für die Nutzung von Presseinhalten wie Überschriften, kurzen Artikelausschnitten und Vorschaubildern aus 200 Medien.

Google reagierte einigermassen irritiert und wies die Forderung zurück: «Wir halten uns an das Gesetz und orientieren uns an Fakten, nicht an haltlosen Forderungen.» Gleichzeitig betont Google, dass man einen «erheblichen Mehrwert» für die Verlage schaffe und «keine nennenswerten Einnahmen» mit der Nachrichteninhalten erziele. Tatsächlich enthält Google News keine Werbeanzeigen.

Der Weg zu einem Leistungsschutzrecht ist weit und die Hürden sind hoch – und sie werden von Schritt zu Schritt höher.

«Wir haben Respekt vor Google als Gegenüber», sagt Stefan Wabel vom schweizerischen Verlegerverband. «Aber die nun vorliegenden Erkenntnisse aus den benachbarten EU-Ländern zeigen, dass ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden kann, in welchem die globalen marktmächtigen Plattformen den Verlagen eine Vergütung schulden, wenn sie deren journalistische Inhalte zugänglich machen. Wir sind guten Mutes, dass es Lösungen gibt.» Der Optimismus der Verleger rührt auch daher, dass ein solches Gesetz unbefristet gelten würde – im Gegensatz zur geplanten Medienförderung, die nur auf sieben Jahre angelegt ist.

Doch der Weg ist weit und die Hürden sind hoch – und sie werden von Schritt zu Schritt höher. Zuerst muss sich die Branche einigen, dann die Politik entscheiden und schliesslich eine Einigung mit Google gefunden werden. Und sollte es nicht dazu kommen, endet das Ganze vor Gericht.