von Thomas Häusermann

Thomas Benkö: «Als Journalist musst du jeden Tag um deine Existenzberechtigung kämpfen»

Auf Social Media sieht man ihn dauernd. Was Thomas Benkö (47) beruflich genau macht, bleibt dagegen weniger gut sichtbar. Nach 25 Jahren bei Ringier wirkt er inzwischen mehrheitlich hinter den Kulissen. Als stellvertretender Chefredaktor von Blick.ch sorgt er für die Klicks auf dem News-Portal. Das macht er kühl und analytisch. Seine grosse Leidenschaft gilt dem Rennrad. Aber wer ist eigentlich «Bö»?

Das Ringier-Café «The Studio» ist an diesem Mittwochmorgen praktisch leer. Eine «Radio Energy»-Moderatorin, die nur durch eine Glasscheibe vom Gästebereich getrennt ist, sorgt für hit-lastige Hintergrundbeschallung. Hier treffe ich Thomas Benkö. Der Mann, der durch seine intensive Social-Media-Präsenz für viele Medienschaffende omnipräsent zu sein scheint. Und doch weiss man eigentlich nicht viel über ihn. Ausser, dass er gerne Velo fährt, eine Familie hat, von beidem fleissig Bilder postet. Und da war doch mal was mit «Blick am Abend». Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist Benkö für den Ringier-Verlag tätig. «Ich bin schmerzfrei. Hauptsache der Name ist richtig geschrieben», winkt er ab, als ich ihm zum Start das Gegenlese-Prozedere schildere. Er lacht kurz, wirkt aber sofort wieder ernst und fokussiert. Als wolle er das hier schnell, aber sauber über die Bühne bringen. Die Arbeit und das Velo warten.

Thomas Benkö ist «Teamlead Digital» bei «Blick Online», wie die Ringier-Medienstelle schreibt. Er selbst nennt sich verständlicher stellvertretender Chefredaktor «Blick.ch». Das Newsportal wird täglich von 1,2 Millionen Nutzerinnen und Nutzern besucht und liegt damit punkto Reichweite nur knapp hinter dem Spitzenreiter «20 Minuten». «Ich schaue, dass auf der Website was läuft», fasst Benkö seinen Job zusammen. Wenn er die Tagesverantwortung hat, leitet er auch die Morgensitzung, an der sich Print und Online beteiligen. Die Ressortleiter:innen schlagen die aktuellen Artikel vor, man bespricht, auf welchen davon der Fokus liegt, wo nachgebohrt werden muss und was über welchen Kanal ausgespielt wird. «Am Schluss landet alles auf der Website, wenn auch manchmal mit einem Schlenker über Print», erklärt Benkö. Digitale Reichweite ist alles, «Print first» Vergangenheit. Es brauche jeden Tag eine «wahnsinnige Menge» an Stories, sagt der 47-Jährige. Am Mittwoch unseres Gesprächs platziert die «Blick»-Redaktion 131 Artikel auf der Website, vom Interview mit Star-Geiger André Rieu bis zur Kurzmeldung über einen Arbeitsunfall in Trimmis. «Klicks sind für uns neben Relevanz eine wichtige Währung. Darum ist es toll, wenn man den Lesern ein Thema präsentieren kann, das funktioniert.» Das ist insofern bemerkenswert, als dass heute kaum mehr jemand so freimütig zugeben würde, klickgetrieben zu sein.

Benkö analysiert mit Leidenschaft die Nutzungsdaten der Blick-Leserschaft. «Am Schluss nützt es nichts, wenn man eine sogenannte relevante Geschichte hat, die niemand liest», sagt er. «Erst wenn sie gelesen wird, ist sie auch relevant.» Viele Journalisten und Medien definieren Relevanz anders. Benkö weiss das und grenzt sich bewusst ab. «Was die Leute interessiert, ist oft nicht das, worauf Journis fliegen. Weisch wani mein?» Der Zürich-Leimbacher zählt sich nicht zur «Journi-Bubble», wie er sie nennt. «Branchenveranstaltungen versuche ich zu meiden», sagt er. Auch privat verkehre er kaum mit Journalisten, etwas Abwechslung tue auch hier gut.

«Bö», alle nennen ihn mit seinem Autorenkürzel, gibt sich nicht nur volksnah, sondern ist «einer aus dem Volk», wie man so schön sagt. Im Gegensatz zu vielen seiner Berufskolleg:innen hat er weder studiert noch eine Journalistenschule besucht, sondern eine KV-Lehre absolviert. Aufgewachsen ist er in Adliswil im Kanton Zürich. Sein Vater ist ein Schreiner aus Österreich, seine Mutter arbeitete erst im Büro, dann als Hausfrau. Die vierköpfige Familie – Benkö hat eine Schwester – lebt in einer 4,5-Zimmer-Wohnung. «Kurz bevor ich auszog, zogen wir in eine 6,5-Zimmer-Wohnung», lacht er mit sarkastischem Unterton, «und danach zogen meine Eltern sogar in ein Einfamilienhaus.»

Bereits während seiner Anstellung bei «Tele» fasziniert ihn der «Blick», weil es dort mehr knallte als anderswo.

Was für ein Kind war er? «Gott, das sind Fragen …», seufzt Benkö und vermittelt den Eindruck, dass er lieber über die Arbeit als über sich selbst spricht. «Ich war gerne draussen», erzählt er schliesslich. «Mein Vater hat den Schwimmclub gegründet, daher musste ich auch in den Schwimmclub. Ein grosses Hobby – zwangshalber.» Den Pfadfindern – «Seepfadi, das ist wichtig!» – kommt im Leben des jungen Mannes eine zentrale und prägende Rolle zu. «Ich habe früh Verantwortung für andere Kinder übernommen. Ich musste sie bespassen, etwas liefern, das ankam – also ähnlich wie jetzt.» Vor allem aber zeichnet er für die Pfadizeitung verantwortlich und entdeckt so seine Leidenschaft fürs Schreiben.

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Was er nach der Sekundarschule machen will, weiss er dennoch nicht. Er legt ein zehntes Schuljahr ein – und kommt danach «auf den letzten Drücker» als KV-Stift bei Mövenpick unter. «KV ist einerseits langweilig, ein Beruf ohne Eigenschaften, andererseits kann man am Schluss doch ein paar Sachen machen.» Was genau, ist Benkö nach Abschluss seiner Lehre 1995 allerdings weiterhin unklar. Er bewirbt sich «bei der einen oder anderen» Bank. «Ich lief aber rückwärts wieder raus, weil es mir da zu stier war», erinnert er sich. Auch für die Hotelfachschule interessiert er sich. Seine Bewerbung wird angenommen, doch er entscheidet sich dagegen. Erst als er eine ausgeschriebene Redaktorenstelle bei der Fernsehzeitschrift «Tele» entdeckt, weiss er: Das passt. Benkö bezieht wenig später seinen Arbeitsplatz an der Dufourstrasse, seine Ringier-Zeit beginnt.

Bereits während seiner Anstellung bei «Tele» fasziniert ihn der kontroverse, im selben Haus beheimatete «Blick». «Ich hatte einen gewissen Respekt, weil man wusste: Dort knallts ein wenig mehr als anderswo.» Er habe schon als Teenager ab und zu die Boulevardzeitung am Kiosk gekauft, «immer wenn es eine coole Schlagzeile gab.» Als er im Jahr 2000 die Chance für den Wechsel erhält, überlegt er nicht zweimal und erklärt fortan als Tech-Journalist in der Rubrik «ClickBlick» der Leserschaft, was sie über die Mobiltelefonie und das immer stärker aufkommende Internet wissen muss. Nachdem er auch als News-Reporter Fuss gefasst hat, wird er Teil des Gründungsteams, das 2006 mit «heute» die erste Abendzeitung der Schweiz ins Leben ruft. Das Gratisblatt wird zwei Jahre später zu «Blick am Abend». Zusammen mit Chefredaktor Peter Röthlisberger prägt Benkö als stellvertretender Chefredaktor die Publikation. «Viel Herzblut» habe er reingesteckt, sagt er, der in der Abendzeitung regelmässig selbst in die Tasten gegriffen hatte. Benkö schrieb als Allrounder mit einem Flair für Multimedia und Telekom über iPhone und Swisscom, aber auch über Trump und Putin. Als Ringier den «Blick am Abend» 2018 einstellt, schmerzte ihn der Entscheid. «Schade» habe er es gefunden – mehr Emotionen sind ihm nicht zu entlocken.

«Auch wenn ich Ringier sehr schätze: Mir ist es wichtig, eine kritische Distanz zu bewahren, das bringt wohl der Job mit sich.»

25 Jahre nach seinem Einstieg bei «Tele» sitzt er immer noch an der Dufourstrasse bei Ringier. «Es hat sich einfach immer so ergeben, dass es interessant geblieben ist», erklärt er nach langem Überlegen. «Ich habe intern aber oft gewechselt, durfte mit ‹Heute› und ‹Blick am Abend› sogar zwei Zeitungen aufbauen.» Natürlich ergibt sich nach einer solchen Zeit eine starke Bindung. Trotzdem betont Bö: «Auch wenn ich Ringier sehr schätze: Mir ist es wichtig, eine kritische Distanz zu bewahren, das bringt wohl der Job mit sich.»

Hobbys und Familie sind Benkö mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als die Arbeit. Das wissen alle, die ihm in den sozialen Medien folgen. Auf Instagram postet er ständig Fotos von seinen Velotouren. Regelmässig organisiert er auch Touren mit Kollegen. Mit Christoph Vetter vom Zürcher Veloladen «Flamme Rouge» rief er die «Lange Velotour» ins Leben. Am längsten Tag des Jahres, dem 21. Juni, besammeln sich Eingeweihte um 6 Uhr morgens und strampeln 333 Kilometer ab. Die «wilde» Rundfahrt führt von Zürich aus in die Innerschweiz, über den Oberalppass und durchs Bündnerland zurück zum Sternengrill beim Bellevue und endet dort spätabends bei Bier und Bratwurst. Zwischenzeitlich, erzählt der treue Teilnehmer Dominik Allemann, sei der Anlass auf Social Media etwas zu stark promotet worden und zuletzt hätten sich frühmorgens 130 Menschen eingefunden. «Seither hält sich Bö auf Facebook zurück», lacht er. Auch am kürzesten Tag des Jahres hat Benkö eine Tour ins Leben gerufen. Sie ist kurz, findet im kleinsten, persönlichen Rahmen statt und endet bei ihm Zuhause, wo er Fondue auftischt. «Bö ist ein äusserst grosszügiger Mensch», sagt Allemann, der die PR-Agentur Bernet Relations führt. «Und er ist eine Saftwurzel, ein Haudegen, ein Macher. Er eckt vielleicht auch an bei manchen Leuten, mit seiner teils auch auch zynischen Art. Aber er hat eine überaus frische, witzige Art.»

«Wenn ich erst um 14 Uhr mit der Arbeit anfangen muss, kann ich am Morgen noch eine Velotour machen oder auf einen Berg kraxeln.»

Oft fährt Benkö auch alleine Velo. Kein Pass scheint vor ihm sicher. Man könnte von aussen fast den Eindruck bekommen, er sitze öfter auf dem Sattel als am Redaktionspult. Dem ist nicht so. Möglich macht es der Schichtbetrieb im Newsroom, von 6 bis 23 Uhr. «Schichtdienst klingt zwar stier und fabrikmässig, für mich ist er aber ideal», sagt er. Weil er entweder sehr früh oder sehr spät mit der Arbeit beginnt, kann er den Rest des Tages freier gestalten als es ein «Nine-to-Five»-Job zuliesse. «Wenn ich beispielsweise erst um 14 Uhr anfangen muss, kann ich am Morgen noch eine Velotour machen oder auf einen Berg kraxeln.» Das Wochenende gehöre dann der Familie, aber unter der Woche seien die Kinder ja in der Schule. Drei sind es, 15, 10 und 8 Jahre alt. Sie hätten «keines dieser hippen, neuen Familienmodelle» praktiziert, sagt er. «Ich bringe mich schon ein, aber es hat sich so ergeben, dass meine Frau weniger arbeitet, als die Kinder kamen, und ich meist 100 Prozent.» Etwas verpasst habe er nicht, findet er und präzisiert nüchtern: «Klar haben die Kinder eine andere Beziehung zum Elternteil, der mehr da ist.»

Das Smartphone liegt während des Gesprächs stets griffbereit. Ab und zu ein prüfender Blick, immer wieder leuchten Push-Nachrichten auf. «Ich bin ein always-on-Typ, auch zuhause», sagt Benkö. «Ich mache fast alles übers Smartphone, es deckt vieles ab. Ich habe keine andere Bildschirmzeit, auch privat nicht.» Die längste Zeit ohne Handy seien neun Tage auf einem Tauchboot in Thailand gewesen. 2004 notabene, als man mit dem Gerät lediglich telefonieren und SMS schreiben konnte – «so gesehen habe ich nichts vermisst.» Von Bestrebungen, den digitalen Konsum zu reduzieren, hält er nichts. «Digital Detox, was soll das heissen? Es gehört nun mal zum Leben, da kann man noch lange diskutieren, ob`s gut oder schlecht ist.» Noch weniger kann er Menschen abgewinnen, die ihre halbjährigen Twitter-Pausen lautstark ankündigen. «Das sind dieselben, die früher gesagt haben: ‹Ich schaue nicht fern. Oder nur Arte.› Dann macht’s doch einfach, ist ja gut.»

Benkös Liebe zum Handy, dem «perfekten Gerät», hört auf, wenn es um die Kinder geht. Er erzählt von Problemen, die es an der Schule seiner Sprösslinge gegeben habe. Kinder seien etwa gezwungen worden, unangemessene Dinge zu schauen. «Früher mussten wir an die Altpapiersammlung, um an die ersten Sexheftli zu kommen. Heute kann jeder alles auf dem Handy abrufen.» Ein Problem seien auch die falschen Vorbilder auf Instagram, an denen sich die Mädchen orientierten und sich so unter einen riesigen Druck setzten. «Ich bin echt froh, hat’s das bei uns früher nicht gegeben. Wenn wir einen Seich machten – wir waren oft im Niederdorf im Ausgang und es floss viel Alkohol – haben das vielleicht deine zwei, drei Kollegen erfahren. Heute verbreiten sich Videos flächenartig mit teilweise verheerenden Folgen für die Betroffenen.»

«Der Journalismus ist härter geworden. Heute hat man nicht nur mit Spardruck zu kämpfen, sondern seit Trump und seiner Fake-News-Bewegung auch mit ständigen Anfeindungen.»

Das Gespräch neigt sich dem Ende zu, bald ist zwölf Uhr, der Hunger meldet sich. Zeit für die grossen Fragen. Würde er rückblickend als junger Mann nochmals alles gleich machen und auf den Journalismus setzen? Benkö überlegt lange, klar scheint die Antwort nicht zu sein.

«Journalismus hat viel Glamour verloren», sagt er nachdenklich. «Der Beruf hat sich verändert, ist härter geworden. Heute hat man nicht nur mit Spardruck zu kämpfen, sondern seit Trump und seiner Fake-News-Bewegung auch mit ständigen Anfeindungen.» Benkö überlegt und fährt selbstkritisch fort: «Man kann vieles kritisieren am ‹Blick›. Auch uns passieren mal Fehler.» Die neuen Newsroom-Richtlinien sollen das verhindern. Ein guter Schritt, findet der Ringier-Routinier: «Ich kann voll dahinterstehen. Es heisst nichts anderes als: ‹Schaff suuber›.» Das sei auch deshalb nötig, weil die Kritik heute viel direkter und pointierter erfolge als früher. «Damals hat vielleicht einmal ein Leser angerufen, aber oft hat die Redaktion davon gar nichts mitbekommen.» Heute kann Kritik über Social Media breit gestreut werden und Organisationen wie FairMedia schalten sich ein, wenn sie unfaire Berichterstattung wahrnehmen. Solcher Kritik stellt sich Benkö gerne. Mit Gegenwind anderer Art bekundet er dagegen mehr Mühe: «Es gibt eine Gruppe von Leuten, die abgekoppelt scheinen von der Realität, die fern von jeder gerechtfertigten Kritik operieren. Wenn es dich selber betrifft und die dann hier vor dem Haus stehen – das ist schon etwas mühsam.» Er erzählt von Menschen, die hinter allem eine Verschwörung witterten, an gelenkte Medien mit einer Agenda glaubten. «Ich wäre ja froh, wenn mir jeden Tag jemand sagen würde, was ich schreiben muss – dann wäre mein Job einfacher», lacht er trocken. Und fasst den Zeitgeist in Bö-Manier zusammen: «Früher gab’s in jedem Dorf einen Löli. Heute vereinigen die sich in Facebook- und Telegram-Gruppen und befeuern sich selbst. Gesellschaftlich werden sie so leider immer relevanter.»

«Wenn du als Journalist Sachen machst, die niemanden interessieren, machst du dich früher oder später überflüssig.»

Also würde er den Weg nicht mehr einschlagen? «Ich weiss es nicht. Es gibt so viele Lebenswege. Du kannst beispielsweise ein Handwerk lernen und dieses auf der ganzen Welt ausüben. Eine Mauer kannst du überall mauern, während wir hier eher an unseren Sprachraum gebunden sind.» Auch wenn er ihn seit 25 Jahren praktiziert – kompromisslos an den Journalismus gebunden scheint Thomas Benkö nicht zu sein. Man wisse nie, was die Zukunft noch bringe, sagt er, und fügt an: «Die Medienwelt ist schnelllebig, es gibt keine Sicherheit auf Jahrzehnte hinaus. Das macht sie aber auch spannend: Du musst jeden Tag ein wenig um deine Existenzberechtigung kämpfen. Wenn du Sachen machst, die niemanden interessieren, machst du dich früher oder später überflüssig.»

Bilder: Marco Leisi