von Adrian Lobe

«Meine Freunde, die Journalisten»: Zemmour und das Dilemma der Medien in Frankreich

Die Präsidentschaftskandidatur des Publizisten Eric Zemmour stellt die Medien in Frankreich vor ein Dilemma: Einerseits laufen sie Gefahr, sich zum Sprachrohr eines verurteilten Rassisten und Rechtsextremisten zu machen. Andererseits ist die Personalie zu wichtig, als dass man sie ignorieren könnte.

Da haben sich zwei gefunden. Den Weg vom rechten Publizisten zum rechten Politiker hat «Weltwoche»-Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel bereits hinter sich. Eric Zemmour schickt sich mit seiner Kandidatur für das Präsidentenamt Frankreichs gerade an, es seinem Schweizer Kameraden im Geiste gleich zu tun. Und so überrascht es wenig, wenn sich Köppels «Weltwoche» wie wohl kein anderes deutschsprachiges Magazin für Zemmours Ambitionen auf den Elysee-Palast begeistert. Zuerst durfte ein Intimus des Kandidaten in spe die Schicksalhaftigkeit seines Schritts in die Politik würdigen. Für die nächste Ausgabe der «Weltwoche» sprach Köppel dann selbst mit Zemmour; weniger als kritische Befragung, denn als Plausch unter Gleichgesinnten. Köppel soufflierte die Stich- und Reizworte und bot dem Präsidentschaftskandidaten Raum, um sein Programm auszubreiten.

Mit so viel Sympathie und journalistischem Wohlwollen darf Zemmour in Frankreich nicht rechnen. Doch selbst die ihm nicht wohl gesonnenen Medien haben seinen Aufstieg mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu verfolgt, dass man sich fragen muss, was von dem Phänomen nun medial oder politisch ist. Zemmour hatte seine Kandidatur noch nicht mal erklärt, da wurde er zum ersten Herausforderer von Amtsinhaber Emmanuel Macron hochgejazzt.

Soll man Zemmour mit Argumenten widerlegen oder die Berichterstattung auf ein Minimum reduzieren?

Schon seit einiger Zeit tobt in Frankreich eine medienpolitische Debatte, ob man einem notorischen Rassisten, der wegen Volksverhetzung mehrfach rechtskräftig verurteilt wurde, eine Plattform geben soll.

War Zemmour bislang der «Polémiste», der am Spielfeldrand pöbelte, steht er nun selbst im Ring. Das verändert die Voraussetzungen für die Berichterstattung über ihn grundlegend. Die Frage lautet nun: Soll man Zemmour inhaltlich «stellen», also seine kruden Thesen mit Argumenten widerlegen? Oder die Berichterstattung auf ein nachrichtliches Minimum reduzieren? Tappen Frankreichs Medien in die Trump-Falle?

Dass Journalisten in die Politik wechseln, ist in Frankreich keine Seltenheit. So hat erst im April der Nachrichtenmoderator Philippe Ballard den Sender LCI verlassen, um bei den Regionalwahlen in der Ile-de-France für die Le-Pen-Partei Rassemblement National RN zu kandidieren. Im Juli 2020 hatte der Journalist Laurent Joffrin, einer der besten Leitartikler des Landes, die Chefredaktion der «Libération» verlassen, um eine politische Bewegung zu gründen.

Der Nachrichtensender «CNews» betreibt einen Starkult um Zemmour – wo immer er auftaucht, schaltet der Sender auf «Breaking News».

Zemmour, der seit September beim «Figaro» beurlaubt ist, markiert jedoch eine Besonderheit, weil es hier nicht nur um politische Ambitionen eines sendungsbewussten Autors geht. Hinter der Kandidatur steht der Industrielle Vincent Bolloré, der mit seinem Medienimperium Vivendi (u.a. Canal+, Femme actuelle, Journal du Dimanche) einen Feldzug gegen Präsident Emmanuel Macron führt und mit seinem Sender «CNews» ein französisches «Fox News» geschaffen hat. Der Nachrichtensender betreibt einen Starkult um Zemmour – wo immer der Polemiker auftaucht, unterbricht der Sender das laufende Programm und schaltet auf «Breaking News».

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Zemmours ehemaliger Arbeitgeber, der «Figaro», bemüht sich derweil um Distanz zu seinem langjährigen Star-Kolumnisten – wohl wissend, dass ein Teil der konservativen Leserschaft dessen Thesen unterstützt. Am Boulevard Haussmann, wo die Redaktion ihren Sitz hat, rumort es. Drei Viertel der Redaktion seien nicht auf der Linie Zemmours, heisst es. Seine Ankündigung, er könne jederzeit als Autor zurückkehren, wird als Drohung aufgefasst. Der Betriebsrat, die Société des Journalistes du Figaro, hat die Chefredaktion schon vor zwei Jahren zu einer Erklärung wegen der fremdenfeindlichen Äusserungen ihres damaligen Kollegen aufgefordert. Die Chefredaktion schweigt dazu bis heute.

Das französische Mediensystem funktioniert wie ein Monopoly-Spiel, bei dem ein paar Milliardäre den Zeitungsmarkt unter sich aufgeteilt haben.

Seit dem Tod des Eigentümers Serge Dassault 2018, der noch das katholisch-konservative, gaullistische Milieu repräsentierte und nur wenige Monate nach dem mächtigen Politikchef Paul-Henri du Limbert verstarb, sucht das Blatt seine Linie. Insider berichten über einen Rechtsruck in der Redaktion, laut Medienberichten hat Bolloré offenbar Interesse an einer Übernahme des «Figaro».

Das französische Mediensystem funktioniert wie ein Monopoly-Spiel, bei dem ein paar Milliardäre den Zeitungsmarkt unter sich aufgeteilt haben. Sie kaufen und verkaufen Printtitel wie man beim Brettspiel mit Liegenschaften und Grundstücken handelt. Und das hat Einfluss auf die Berichterstattung. So lobt das Wirtschaftsmagazin «Capital», das zu Bollorés Medienimperium gehört, die Steuersenkungspläne Zemmours, ohne dessen protektionistische Haltung zum Aussenhandel kritisch zu würdigen. Man beisst nicht die Hand, die einen füttert.

Wie sollen – ja wie können – Frankreichs Medien, die nicht zum Bolloré-Imperium gehören, über Eric Zemmour berichten, ohne sein Spiel zu spielen?

Um seine Interessen durchzusetzen, regiert Bolloré knallhart durch: Nachdem das Boulevard-Blatt «Paris Match» auf dem Titel ein Foto von Zemmour und dessen Beraterin Sarah Knafo beim Planschen im Meer gezeigt hatte, wurde Chefredakteur Hervé Gattegno kurzerhand entlassen – auf Druck von ganz oben. «Ein Königsopfer für den Präsidenten», titelte die FAZ. Gattegno, der auch das «Journal du Dimanche» leitete, wurde von den erfahrenen Journalisten und Bolloré-Vertrauten Patrick Mahé und Jérôme Bellay ersetzt. Bellay nennt den Patriarchen seinen «Cousin». Ein ungeheurlicher Vorgang.

Wie sollen – ja wie können – Frankreichs Medien, die nicht zum Bolloré-Imperium gehören, über Eric Zemmour berichten, ohne sein Spiel zu spielen? Soll man seine Aussagen mit Faktenchecks widerlegen, wie es der französische Nachrichtensender «BFM TV» nach einer Diskussion zwischen Zemmour und dem linken Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon getan hat? Lässt sich Ideologie überhaupt falsifizieren?

Dass Zemmour die Agenda bestimmt, hängt zum einen damit zusammen, dass er wie kein Zweiter die Sprache der Medien versteht.

Für Alice Antheaume, die als Journalistin für «Slate.fr» und «France 5» gearbeitet hat und mittlerweile die Journalistenschule an der renommierten Sciences Po Paris leitet, ist das eine schwierige Frage. Wenn es darum geht, über den Wahlkampf von Kandidaten zu berichten, die sich ausserhalb des Systems bewegen, wie Trump oder Zemmour, dann stehe «die Definition des Journalismus» auf dem Spiel. «Journalismus ist die Suche nach Fakten, ihre Verifizierung und schliesslich die Berichterstattung, um das Publikum zu informieren», so Antheaume. Wenn Aussagen jedoch keine Fakten enthalten, dann sei das ein Dilemma: «Soll man über Fake News in Anführungszeichen berichten, indem man sagt, das sind nur Zitate? Soll man gar nicht darüber reden, weil es keine Fakten sind?»

Dass Zemmour die Agenda bestimmt, hängt zum einen damit zusammen, dass er wie kein Zweiter die Sprache der Medien versteht, zum anderen damit, dass viele Journalisten ihn noch immer als Kollegen wahrnehmen. Da ist eine seltsame Symbiose entstanden. Im September twitterte Zemmour ein Foto, das ihn umringt von Fotografen zeigt. Darunter schrieb er: «Meine Freunde, die Journalisten». Das konnte man auch als maliziöse Botschaft an die Medien verstehen, die sich derart an dem Aufstieg des Polemikers berauschen, dass sie selbst gar nicht merken, von ihm benutzt zu werden.

Die Fragen, die sich nun in Frankreich stellen zum Umgang der Medien mit Eric Zemmour, erinnern an die medienpolitische Debatte in Deutschland, ob die öffentlich-rechtlichen Sender den Wahlerfolg der AfD «herbeigesendet» hätten. Eine Analyse der Otto-Brenner-Stiftung, die politische Sendungen im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 untersuchte, kommt zu dem Ergebnis, dass über ein Fünftel der Sendezeit um das Thema Migration kreiste – jenes Politikfeld, das die AfD intensiv bearbeitet. Zwar wurde ein «unter journalistischen Gesichtspunkten unzulässiger Suggestivcharakter» von den in der Untersuchung interviewten Programmverantwortlichen verneint. Trotzdem wollen die Studienautoren ein Agenda-Setting durch ARD- und ZDF-Sendungen nicht ausschliessen.

Für einen souveränen Umgang mit Zemmour ist es zu spät. Der Geist ist längst aus der Flasche.

Der Journalismusprofessor Jay Rosen hat kürzlich im US-Magazin «Atlantic» mit Blick auf die Situation in Frankreich gesagt, negative Berichterstattung schade einem Politiker nicht unbedingt, im Gegenteil. Medienforscher Rosen mahnte daher: Sobald man sehe, dass die Kritik, welche die Medien an Zemmour äusserten, in sein Drehbuch einfliesse, befänden sie sich in der «Gefahrenzone» und müssten «ihre Praxis überdenken».

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Belgien RTBF hat dies bereits präventiv getan – und sich in seiner bisherigen Berichterstattung über Zemmour bewusst zurückgehalten. Man habe die «Lehren aus der Ära Trump gezogen», äussert sich Redaktionsleiterin Annick Capelle in einem Artikel in eigener Sache. Von Trump habe man auch Falschaussagen verbreitet, ohne diese hinreichend einzuordnen. Wenn man sich nun zu Zemmour zurückhalte, sei das «keine Zensur, sondern verhindere Sensationalismus», so Capelle.

Die französischen Medien stehen nun vor dem Dilemma: Berichten sie nicht oder nur zurückhaltend, drohen sie ihre Chronistenpflicht zu verletzen. Berichten sie – und sei es kritisch – machen sie sich unter Umständen zum Sprachrohr eines Rassisten. Für einen souveränen Umgang ist es zu spät. Der Geist ist längst aus der Flasche.

Bild: Keystone