Leistungsschutzrecht: Geschenk des Bundesrats an die Verleger
Der Bundesrat hat Ende 2021 entschieden, eine Vorlage für ein Leistungsschutzrecht ausarbeiten zu lassen. Damit erfüllte er den Verlegern einen lange gehegten Wunsch. Diese erhoffen sich substanzielle Einnahmen, die sie dank des neuen Gesetzes dereinst bei Google und Facebook eintreiben können. Doch der Bericht, auf den sich der Bundesrat stützt, taugt schlecht als Grundlage für den getroffenen Entscheid.
Am 17. Dezember hat der Bundesrat das Justizdepartement von Bundesrätin Karin Keller-Sutter beauftragt, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen für die Einführung eines sogenannten Leistungsschutzrechts für Medienverlage. Auf dieser Grundlage sollten dereinst Plattformunternehmen wie Google oder Facebook für die Nutzung von Medieninhalten zur Kasse gebeten werden können. Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte das Parlament im Rahmen der Urheberrechtsrevision noch darauf verzichtet, ein solches zusätzliches Verwertungsrecht einzuführen.
Den Verlagen versprach die Politik 2019, die Entwicklung in der EU zu beobachten, die bereits ein Leistungsschutzrecht eingeführt hatte. Innert zwei Jahren solle der Bundesrat dazu einen Bericht vorlegen. Dieser Bericht zur «Überprüfung der Wirksamkeit der Revision des Urheberrechts» liegt seit Ende 2021 vor. Er dient dem Bundesrat als Grundlage für den Auftrag an die Verwaltung, nun doch ein Leistungsschutzrecht auszuarbeiten.
Der Bundesrat schreibt in der Einleitung seines Berichts, es sei noch zu früh, um Aussagen über die Verbesserung der Situation der journalistischen Medien durch das Leistungsschutzrecht in Europa zu treffen. Er kommt aber trotzdem zum Schluss, dass jetzt auch die Schweiz vorwärts machen müsse.
Der Bericht liest sich streckenweise wie ein Manifest des Verlegerverbandes. So behauptet der Bundesrat, die Verlage könnten den Journalismus nicht mehr finanzieren, weil die Werbung zu den grossen Online-Diensten fliesse. Dass es die grossen Verlage selbst waren, die ihr Inserategeschäft von den journalistischen Inhalten getrennt und als eigenständige Plattformen positioniert haben, kommt dabei natürlich nicht zur Sprache.
Der Bundesrat lässt in seinem Bericht unerwähnt, dass die Verlage selbst entscheiden können, ob Google und Facebook eine ausführliche Vorschau auf ihre Artikel anzeigen.
Der Bericht erläutert korrekt, wie Google, Facebook & Co. vorgehen: «Ihre Dienstleistung besteht also im Erstellen einer Übersicht über Newsmeldungen und im einfachen Zugriff auf diese Meldungen über einen Link.» Es geht also eben nicht um die «Übernahme von journalistischen Inhalten», wie immer wieder behauptet wird, sondern einzig darum, dass man auf journalistische und alle anderen Inhalte im Internet mit einem Link verweisen kann. Die Plattformen zeigen diese Links in der Regel mit einer Text- und/oder Bildvorschau an.
Der Bundesrat lässt allerdings unerwähnt, dass Verlage (wie alle anderen, die Inhalte im Web veröffentlichen) schon heute selbst bestimmen können, ob sie zu den Links Vorschautexte und -bilder liefern wollen, die dann die Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen anzeigen. Ebenso fehlt der Hinweis darauf, dass es die Verlage selbst sind, welche die Links auf Plattformen wie Facebook teilen.
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Das zweite Problem, auf das der Bericht hinweist, ist der Umstand, dass für viele Nutzende das Informationsbedürfnis unter Umständen bereits gestillt ist, wenn sie die Schlagzeile gelesen haben und sie darum den Link nicht mehr anklicken. Das bedeutet letztlich nichts anderes, als dass das betreffende journalistische Angebot offenbar nicht interessant oder wichtig genug erscheint. Das ist aber nicht den Suchmaschinen und Plattformen anzulasten.
Es ist also völlig verfehlt, davon zu sprechen, dass man über substanzielle Erfahrungen aus der EU verfüge, wie der Bundesrat dies tut.
Die Verleger, ob in der Schweiz oder im Ausland, begründen ihre Forderung nach einem Leistungsschutzrecht damit, dass die grossen Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen einen erheblichen Teil ihrer Attraktivität den Link-Vorschauen auf die journalistischen Inhalte zu verdanken hätten. Es wäre natürlich interessant, endlich zu erfahren, auf welchen Zahlen diese Behauptung basiert. Wie schon bei früheren Diskussionen fehlen nun auch im Bericht des Bundesrats konkrete Angaben dazu, die diese Aussage auch nur ansatzweise stützen. Tatsache ist, dass journalistische Angebote nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was Menschen zum Beispiel auf Facebook zu sehen bekommen.
Darum kann es sich Facebook auch leisten, die Vorschauen auf Medienbeiträge in den Feeds der User nicht anzuzeigen, wie das die Social-Media-Plattform derzeit in Deutschland macht. Weil Facebook offenbar kaum an Nutzwert verliert, wenn keine Vorschau-Texte oder -Bilder zu Medienbeiträgen angezeigt werden, fliesst auf diese Weise kaum je Geld zu den Verlagen. Derweil schliesst Google in Deutschland Verträge ab mit Verlagen auf der Grundlage des Leistungsschutzrechts und zahlt die Medien dafür, dass die Suchmaschine «erweiterte Vorschauen von Nachrichten» anzeigen darf. Wie hoch die Google-Zahlungen sind, ist nicht bekannt. Ungeachtet der Zahlungen bleibt weiterhin ungeklärt, wie die Verlinkung eines Medienbeitrags auf einer Plattform wie Google dargestellt werden muss, damit sie keine Kosten nach sich zieht. Das Gesetz macht dazu keine konkreten Vorgaben.
Die europäische Lösung hat bis jetzt noch keinerlei Beitrag geleistet, um die journalistische Arbeit in Europa auf eine solidere wirtschaftliche Basis zu stellen.
Deutschland ist eine Ausnahme. Im Bericht des Bundesrats können wir lesen, dass erst 4 der 27 EU-Mitgliedstaaten die EU-Richtlinie zum Leistungsschutzrecht in nationales Recht umgesetzt haben. Es ist also völlig verfehlt, davon zu sprechen, dass man über substanzielle Erfahrungen aus der EU verfüge, was eigentlich die Grundlage dieses Dokumentes hätte sein sollen. Auch bei den Länderanalysen stellt der Bundesrat fest, dass er keine Angaben zu den Erträgen aus dem Leistungsschutzrecht machen kann. Bei keinem einzigen der acht analysierten Länder können die Autor:innen des Berichts auch nur den Hauch einer Aussage über den Nutzen der neuen gesetzlichen Bestimmung zugunsten der Verlage machen. Umso mehr überrascht es, dass der Bundesrat trotzdem zum Schluss gekommen ist, die Grundlagen für ein Leistungsschutzrecht in der Schweiz ausarbeiten zu lassen.
Die europäische Lösung hat bis jetzt auf jeden Fall noch keinerlei Beitrag geleistet, um die journalistische Arbeit in Europa auf eine solidere wirtschaftliche Basis zu stellen. Im Gegenteil, sie hat dazu geführt, dass sich Europa von den Medieninnovationen verabschiedet hat. Neue Entwicklungen kommen aus den USA oder aus China, während sich die europäischen Verlage darauf konzentrieren, sich über politisches Lobbying in ihren Oligopolen wohlig einzurichten und die hohle Hand aufzuhalten. Sie tun dies völlig ungeachtet der gesellschaftlichen Kollateralschäden, die sie damit anrichten. Zu dieser Anspruchshaltung passt auch, dass das Leistungsschutzrecht nur für klassische Verlage gelten soll. Freischaffende Journalist:innen, Blogger:innen und andere Anbieter von Informationen, die ja auch verlinkt werden, sollen davon nicht profitieren können.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter verstieg sich zum völlig verqueren Vergleich, wonach sich Google und Facebook wie Fahrradiebe verhielten, wenn sie Links auf Medienartikel anzeigen, ohne für deren Nutzung zu zahlen.
Dem bundesrätlichen Auftrag vom 17. Dezember 2021 ging eine Kampagne zum Leistungsschutzrecht voraus. Dabei taten sich vor allem die CH-Media-Zeitungen besonders hervor. So konnte Verlegerpräsident Pietro Supino in einem Interview Anfang Oktober 2021 bereits die Behauptung in den Raum stellen, dass es neben der staatlichen Medienförderung auch noch das Leistungsschutzrecht für das Überleben des Journalismus brauche. An der Dreikönigstagung des Medienverbands vom vergangenen 5. Januar wiederholte er diese Forderung. Zuvor hatten ebenfalls die CH-Media-Zeitungen als erste darüber berichtet, wie sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter zum völlig verqueren Vergleich verstieg, wonach sich Google und Facebook wie Fahrradiebe verhielten, wenn sie Links auf Medienartikel anzeigen, ohne für deren Nutzung zu zahlen.
Mit seinem Auftrag an die Verwaltung, bis Ende Jahr eine Vorlage für ein Leistungsschutzrecht auszuarbeiten, drückt der Bundesrat aufs Tempo. Dabei überholt er auch den sogenannten Mediendialog. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat dieses Forum im vergangenen Jahr einberufen als Diskussionsplattform für die schweizerische Medienbranche. In diesem Rahmen sollte die Branche unter anderem eine gemeinsame Haltung zum Leistungsschutzrecht entwickeln. Da der Bundesrat den Grundsatzentscheid nun schon gefällt hat, braucht es hierzu keine vertiefenden und kontroversen Diskussionen mehr. Die Verleger wird es freuen. Dass der Bundesrat sich auf dieses Spiel einlässt, zeigt, wie sehr er sich vor den Karren der grossen Medienkonzerne hat spannen lassen.
Der bessere Weg wäre es, die Werbung zu besteuern: So wie es eine Tabaksteuer gibt, könnte auch eine Werbesteuer erhoben werden.
Die Medienunternehmen wollen den Fünfer und das Weggli: Zuerst Subventionen via Medienförderung vom Staat und dann Geld von Google mittels Leistungsschutzrecht. Die Politik liess sie bisher gewähren und merkt nicht, dass sie dadurch die Medienvielfalt in der Schweiz nicht zu schützen vermag, sondern im Gegenteil der Medienkonzentration und Oligopol-Bildung Vorschub leistet. Von einem Leistungsschutzrecht-System würden vor allem die grossen Verlage mit reichweitenstarken Online-Medien profitieren. Kleinere Anbieter journalistischer Inhalte drohen leer auszugehen. Gleichzeitig würden die Hürden für den Markteintritt von neuen, innovativen Online-Plattformen massiv erhöht mit einer Entschädigungspflicht für die Verlinkung von Medieninhalten. Weiter ist abzusehen, dass globale Plattformen wie Google und Facebook selbst Inhalte erstellen. Es würde ihre heute schon starke Position weiter stärken, wenn sie gleichzeitig als Infrastruktur- und Inhalteanbietern auftreten. In der Schweiz ist das bereits mit Swisscom der Fall, die mit Blue News und Blue TV zwei reichweitenstarke Medienunternehmen betreibt.
Wer sich eine Schweiz mit einem gesunden Mediensystem und journalistischer Vielfalt wünscht, müsste vor allem dafür sorgen, dass die Konzentration sowohl auf der Verlagsseite wie auch auf der Infrastruktur- und Plattformseite gestoppt wird. Dies wird durch ein Leistungsschutzrecht gerade nicht erreicht. Der bessere Weg wäre es, die Werbung zu besteuern, die in der Schweiz angezeigt wird, egal auf welchem Medium und egal auf welchem Kanal. So wie es eine Tabaksteuer gibt, könnte auch eine Werbesteuer erhoben werden. Mit diesem Geld liessen sich journalistische Inhalte – nicht Verlage – finanzieren, die als öffentliches Gut frei zugänglich sein müssten.
Ueli Custer 12. Januar 2022, 09:01
Die Idee der Werbesteuer tönt ja gut. Aber wie man das im Internet umsetzen will ist mir schleierhaft. Wie will man die Millionen von teilweise individuell angezeigten Werbungen im Internet erkennen, den dahinter stehenden Auftraggeber herausfiltern und ihm dann den im Einzelfall jeweils minimalen Betrag verrechnen? Vielfach wissen ja nicht einmal die Auftraggeber, auf welchen Sites ihre Werbung platziert wird.
Andreas Von Gunten 12. Januar 2022, 10:45
Firmen, die Werbeeinnahmen in ihrer Erfolgsrechnung haben, müssen die Höhe dieser Werbeeinnahmen deklarieren. Ich sehe da kein Problem.
Ueli Custer 13. Januar 2022, 13:48
So einfach ist die Sache aber nicht: Lange nicht alle Firmen, die Werbeeinnahmen aus dem Internet haben sitzen ja in der Schweiz. Da müsste man ja die Erfolgsrechnung sämtliche Firmen weltweit auf solche Einnahmen abklappern. Allen voran Google oder Facebook. Ist das realistisch?
Andreas Von Gunten 13. Januar 2022, 15:04
Bei der MwSt. müssen sich ausländische Firmen auch bei uns registrieren und diese abliefern. Wenn unsere Gesetze verlangen, dass Werbeeinnahmen, die in der Schweiz generiert werden, deklariert und versteuert werden müssen, dann werden sich die meisten relevanten Firmen daran halten. Allen voran die global tätigen Konzerne.