von Nick Lüthi

Vor 25 Jahren: Ein Zeitungsartikel und der lange Streit um den «Maulkorbartikel»

Im Januar 1997 zitierte die «Sonntagszeitung» aus einem vertraulichen Schreiben des Schweizer Botschafters in den USA. Die nachfolgenden gerichtlichen und politischen Auseinandersetzungen zogen sich über zwanzig Jahre hin. Journalist Martin Stoll, der den Wirbel damals ausgelöst hatte, erinnert sich.

Irgendwann Anfang Februar 1997, irgendwo in den Schweizer Bergen. Ein Mann verschwindet hinter einen Baum, klaubt dort mit klammen Fingern ein Dokument aus einem Umschlag. Mit der einen Hand hält er das Papier, mit der anderen kramt er ein Feuerzeug hervor. Dann setzt er das Blatt von unten her in Brand. Aschefetzchen schweben auf den schneebedeckten Boden.

Das physische Ende des Corpus Delicti steht am Anfang einer Auseinandersetzung über den Inhalt des eben vernichteten Schreibens, die sich über zwanzig Jahren hinziehen sollte. Martin Stoll erinnert sich noch genau an den Moment hinter dem Baum vor 25 Jahren. Der Journalist, der auch heute noch für die «Sonntagszeitung» arbeitet, hatte Tage davor aus dem Dokument zitiert und damit den Schweizer Botschafter in Washington aus dem Amt geschrieben.

Am 26. Januar 1997 stand als Textaufmacher auf der Titelseite der «Sonntagszeitung» die Schlagzeile: «Botschafter Jagmetti beleidigt die Juden». Im Artikel zitierte Martin Stoll aus einem vertraulichen Strategiepapier, das Carlo Jagmetti, der Schweizer Gesandte in den USA, ins Aussendepartement EDA nach Bern geschickt hatte. Bei dem Schreiben handelte es sich um eine Lageeinschätzung zu den laufenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und jüdischen Organisationen zum Umgang mit den nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs («Holocaust-Gelder»). Der Frontaufmacher, ein weiterer Artikel von Stoll im Zeitungsinnern sowie ein Kommentar von Chefredaktor Ueli Haldimann kritisierten und skandalisierten den Tonfall und die Wortwahl des Botschafters. Jagmetti schrieb, die Schweiz führe einen «Krieg», den sie «an der Aussen- und an der Innenfront führen und gewinnen muss». Die jüdischen Organisationen bezeichnete er als «Gegner», von denen man «den meisten nicht vertrauen kann». Der zweite Artikel stellte die verbale Rüpelei in eine Reihe mit früheren unvorteilhaften Auftritten des Schweizer Botschafters. Der Kommentar reihte das vertrauliche und nun öffentlich gewordene Schreiben in die «Serie der Pannen und Skandale bei der Bewältigung der Schweizer Holocaust-Vergangenheit» ein.

Die Aufregung nach der Veröffentlichung seines Artikels erlebte Stoll aus der Ferne, weit oben in den Bergen.

Zu diesem Zeitpunkt bedeutete diese Veröffentlichung Sprengstoff. An einen ruhigen weiteren Verlauf der ohnehin schon schwierigen Verhandlungen war nicht mehr zu denken, nachdem die «Sonntagszeitung» diese Bombe hatte platzen lassen. Der Einschlag traf mit unvermittelter Wucht den Autor des Schreibens, so dass Carlo Jagmetti keine andere Möglichkeit mehr sah als tags darauf seine Demission als Botschafter einzureichen. Wegen des Artikels sei eine «untragbare Lage» entstanden. Er bedauere es, mit der im Bericht verwendeten Ausdrucksweise die Empfindung jüdischer Kreise und der Öffentlichkeit verletzt zu haben.

Die Aufregung nach der Veröffentlichung seines Artikels erlebte Stoll aus der Ferne, weit oben in den Bergen. Aber es gab ein Problem: Das Dokument lag noch bei ihm zu Hause. «Ich hatte natürlich Angst vor einer Hausdurchsuchung. Darum liess ich mir das Schreiben postlagernd schicken, damit ich es vernichten konnte», erinnert sich Stoll. Die Furcht war berechtigt. 1994 liess die damalige Bundesanwältin Carla del Ponte auf der Suche nach Dokumenten ihrer Behörde, aus denen das Blatt zitiert hatte, die Redaktionsräume und die Wohnung zweier Redaktoren der «Sonntagszeitung» durchsuchen (einer davon war André Marty, der zwanzig Jahre später selbst für die Bundesanwaltschaft als Informationschef arbeiten würde).

Während Stoll in den Bergen weilte, hatte Bundesanwältin Carla Del Ponte nach einer Strafanzeige des Aussendepartement EDA bereits zu ermitteln begonnen.

«Das Dokument hätte möglicherweise Rückschlüsse zugelassen auf die Quelle», begründet Stoll seine Vernichtungsaktion. Denn während Stoll in den Bergen weilte, hatte Bundesanwältin Carla Del Ponte nach einer Strafanzeige des Aussendepartement EDA bereits zu ermitteln begonnen, und zwar in zwei Richtungen. Sie suchte einerseits nach dem Leck in der Bundesverwaltung, nahm andererseits auch Martin Stoll sowie Kollegen vom «Tages-Anzeiger» ins Visier wegen eines möglichen Verstosses gegen Artikel 293 im Strafgesetzbuch. Dieser Paragraph stellt die «Veröffentlichung amtlicher gehei­mer Ver­hand­lungen» unter Strafe. Ein Verstoss konnte sich nach dem damaligen Stand der Gesetzgebung nur schon dadurch ergeben, dass jemand ein Dokument veröffentlichte, das eine Behörde als «geheim» oder «vertraulich» klassifiziert hatte – unabhängig davon, ob es plausible Gründe für die Geheimhaltung gab, respektive ein überwiegendes öffentliches Interesse am Inhalt bestand.

Unter diesen Vorzeichen war auch der «Sonntagszeitung» klar, dass sie mit der Publikation der Botschafter-Depesche eine Anzeige und eine Bestrafung riskierte. Simon Canonica, während 20 Jahren Rechtskonsulent der Tamedia-Redaktionen, erinnert sich an die Diskussionen mit der Redaktion. Viel Zeit dazu habe es in der Hektik der Zeitungsproduktion nicht gegeben. «Es gab damals eine eindeutige Praxis der Gerichte, die auf den rein formellen Geheimnisbegriff abstützte. Aber wir kamen zum Schluss, dass wir das Risiko in Kauf nehmen», sagt Canonica heute.

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Dass sich diese Anzeige zu jenem Fall entwickeln würde, der ihn am längsten beschäftigen sollte in seiner 20-jährigen Zeit als Tamedia-Rechtskonsulent, damit habe er damals «keine Sekunde gerechnet». Es sollte sich ein zäher, langwieriger Kampf entspinnen gegen Artikel 293 als überholtes Instrument zur Gängelung der Medien, auch berüchtigt als «Maulkorbartikel». Ein Kampf, der nur darum ausgefochten werden musste, weil die «Sonntagszeitung» das Jagmetti-Papier zugespielt erhalten und sich für eine Veröffentlichung in pointierter, zugespitzter Form entschieden hatte. Wäre diese Berichterstattung ausgeblieben, hätte das Parlament vermutlich schon ein paar Monate später Artikel 293 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Nun steht er bis heute drin.

Bei Martin Stoll hält sich der Ärger darüber in Grenzen, die Streichung einer medienfeindlichen Gesetzesbestimmung verhindert zu haben.

Bundesrat Arnold Koller, 1997 Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, nannte den Paragraphen einen «alten Zopf» und auch das Parlament hatte bereits in Richtung Abschaffung vorgespurt. Doch am Schluss kam es anders. National- und Ständerat hielten an der umstrittenen Bestimmung im Medienstrafrecht fest. «Offensichtlich eine Folge des Jagmetti-Skandals», kommentierte Bundesrat Koller den für ihn enttäuschenden Entscheid.

Bei Martin Stoll hält sich im Rückblick der Ärger darüber in Grenzen, mit seiner Enthüllung von Ende Januar 1997 die Streichung einer medienfeindlichen Gesetzesbestimmung verhindert zu haben. «Mich hat auch nie jemand persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass der Artikel 293 bis heute besteht», sagt Stoll im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. «Ich war mir damals nicht bewusst, dass die Veröffentlichung eine solche Nachwirkung haben könnte. Wir waren alle überrascht von den hohen Wellen.»

Aber er würde es wieder tun, wenn auch anders: «Ein Problem war sicherlich, dass wir das Thema in dieser Kürze abgehandelt hatten.» Neben heftiger Kollegenschelte, insbesondere von der NZZ mit dem Vorwurf des Sensationsjournalismus, setzte die Jagmetti-Enthühllung auch eine Rüge des Presserats ab, der die «Sonntagszeitung» dafür kritisierte, «wichtige Elemente der Information unterschlagen» zu haben. Der «Tages-Anzeiger», der sich entschieden hatte, fast das ganze vertrauliche Schreiben von Botschafter Jagmetti zu veröffentlichen, habe «die Dinge eher wieder ins richtige Licht gerückt», schrieb der Presserat in seiner Stellungnahme.

Die von Martin Stoll vorgebrachte Argumentation, wonach das Interesse der Öffentlichkeit das Geheimhaltungsinteresse der staatlichen Behörden überwogen hätte, liessen die Gerichte nicht gelten.

Nachdem die Politik an Artikel 293 festgehalten hatte, blieb der Weg über die Justiz, um das Ärgernis aus der Welt respektive aus dem Strafgesetzbuch zu schaffen. Doch von Schweizer Gerichten war keine Überraschung zu erwarten, solange sie sich auf einen formellen Geheimnisbegriff abstützten und als geheim betrachteten, was eine Behörde als geheim deklariert hatte. Und so kam es, wie es zu erwarten gewesen war: Vom Bezirksgericht über das Obergericht bis zum Bundesgericht hielten alle Instanzen die Veröffentlichung des als vertraulich deklarierten Dokuments aus der Feder von Botschafter Jagmetti für ein strafbares Handeln. Die von Martin Stoll vorgebrachte Argumentation, wonach das Interesse der Öffentlichkeit im Falle seiner Veröffentlichung das Geheimhaltungsinteresse der staatlichen Behörden überwogen hätte, liessen die Gerichte nicht gelten. Seine Bestrafung nach Artikel 293 schränke zudem die Pressefreiheit nicht unzulässig ein, befand das Bundesgericht und schrieb dazu in seinem Urteil vom 5. Dezember 2000: «Die Pressefreiheit als solche ist, trotz ihrer erheblichen Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft, kein Rechtfertigungsgrund für tatbestandsmässiges Verhalten von Medienschaffenden.» Damit bestätigte das höchste Schweizer Gericht das Urteil gegen Martin Stoll wegen «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» und die Busse von 800 Franken. Die Ermittlungen gegen unbekannte Quellen in der Bundeverwaltung, die das Dokument an die «Sonntagszeitung» weitergereicht hatte, waren zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren eingestellt. Es blieb also bei der unschönen Konstellation, dass der Urheber der Indiskretion davonkommt und der Überbringer der Botschaft den Kopf hinhalten muss, weil sein Name unter dem Artikel steht.

Nach der höchstrichterlichen Abfuhr aus Lausanne blieb nur noch der Gang nach Strassburg. Die Begründung des Bundesgerichts verstosse gegen die von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Meinungsfreiheit, teilte die «Sonntagszeitung» Ende Januar 2001 mit und kündigte den Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. «Es ging uns damals um eine grundsätzliche Klärung und nicht um die 800 Franken Busse», erinnert sich der frühere Tamedia-Rechtskonsulent Simon Canonica.

Im April 2006 entschied das Gericht in Strassburg, die Schwiez habe mit der Verurteilung von Martin Stoll gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen.

Dann geschah ganz lang nichts. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) liess sich Zeit mit einem Entscheid. Umso grösser war die die Erleichterung als der EGMR nach fünf Jahren, im April 2006, dem Journalisten Recht gab. Die Schweiz habe mit der Verurteilung von Martin Stoll gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstossen, befand das Strassburger Gericht in einem knappen Entscheid mit vier zu drei Stimmen. Die Busse hätte eine Art Zensur dargestellt, die den Betroffenen an künftiger Kritik oder weiteren Recherchen hätte hindern können. Ausserdem habe die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse daran gehabt zu erfahren, wie die Akteure im Streit um die nachrichtenlosen Vermögen vorgingen. Der Entscheid aus Strassburg wirkte sich auch unmittelbar auf die Praxis der Bundesanwaltschaft aus. Gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren wurden in der Folge nur noch bei Verletzung von materiellen Geheimnissen eröffnet, also nicht mehr allein deshalb, weil ein Dokument als «vertraulich» oder «geheim» gestempelt war.

Doch so gross wie die Erleichterung über den Entscheid aus Strassburg war, so gross war die Überraschung, als die unterlegene Schweiz ankündigte, an die Grosse Kammer des EGMR zu gelangen. Sie zog damit zum ersten Mal in der Geschichte des EGMR überhaupt einen Entscheid an die zweite Instanz in Strassburg weiter. Grund für das unübliche Vorgehen war vermutlich der knappe Entscheid der ersten Kammer und weil es um wichtige Fragen der Anwendung der Menschenrechtskonvention ging, schrieb damals Simon Canonica in einem Artikel in der «Sonntagszeitung».

Es sollte weitere vier Jahre dauern, bis auch politisch wieder Bewegung in die Sache kam.

Und so ging es zehn Jahre nach der Veröffentlichung des umstrittenen Artikels in die allerletzte Runde der gerichtlichen Auseinandersetzung. Und nicht ganz überraschend hob die Grosse Kammer am 10. Dezember 2007 den Entscheid der Kleinen Kammer wieder auf. Die Schweizer Gerichte hätten mit ihrem Urteil gegen Martin Stoll die Meinungsäusserungsfreiheit nicht verletzt, befand das Gremium mit 12 zu 5 Stimmen. Den Ausschlag gab insbesondere die Art und Weise der Berichterstattung von Martin Stoll über das Jagmetti-Papier. Die «sensationalistische Aufmachung» lasse den Schluss zu, dass es dem Journalisten nicht um «allgemein interessierende Information» ging, sondern um eine Skandalisierung, zumal der Text auf der Titelseite einer auflagenstarken Zeitung platziert wurde. Stoll kann diese Kritik nachvollziehen. Er sagt heute: «Der Entscheid der Zweiten Kammer wäre vermeidbar gewesen, wenn wir die Enthüllung des Dokuments besser in eine breitere Berichterstattung zum Thema eingebettet hätten.» Aber grundsätzlich hält er das zweite Urteil aus Strassburg für ein gutes Urteil. «Es besagt nämlich auch, dass diplomatische Dokumente nicht per se geheim sind. Sie können durchaus von öffentlichem Interesse sein.» Tatsächlich missbilligte der EGMR in seinem Entscheid den Formalismus des damaligen Artikels 293.

Es sollte weitere vier Jahre dauern, bis auch politisch wieder Bewegung in die Sache kam. 2011 verlangte der damalige grüne Nationalrat Josef Lang mit einer parlamentarischen Initiative die Abschaffung von Artikel 293. Unterstützt hatten ihn dabei Ratskolleginnen und -kollegen aus allen Bundesratsparteien. Den vorläufigen Abschluss fand das Ringen um den umstrittenen Paragraphen im schweizerischen Strafgesetzbuch schliesslich zwanzig Jahre nach dem Jagmetti-Artikel. Bis 2017 dauerte die Beratung der Initiative Lang. Zwar konnte sich auch diesmal das Parlament nicht zu einer Abschaffung von Artikel 293 durchringen, ergänzte ihn aber im Sinne eines Kompromisses in einem entscheidenden Punkt. In der aktuellen Fassung steht nun seit Anfang 2018, dass die Veröffentlichung eines Behördengeheimnisses dann nicht strafbar ist, «wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat.»

Das heisst: Ein Gericht soll Medienschaffende nur noch dann bestrafen können, wenn das Interesse der Behörden und Verwaltung an der Geheimhaltung der Dokumente grösser ist, als das Interesse der Öffentlichkeit an der Information. Natürlich bleibt auch so Interpretationsspielraum, der sich zulasten der Medien auswirken kann. Aber immerhin müssen Schweizer Gerichte nun in jedem Fall eine Abwägung vornehmen zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Behörde und dem öffentlichen Interesse. «Die Gerichte können sich nun nicht mehr hinter formellen Geheimhaltungsbestimmungen verstecken», sagt Medienjurist Simon Canonica. Und auch der Journalist, dessentwegen Artikel 293 nach der ganzen juristischen und politischen Odyssee nun weiter im Gesetz steht, kann der angepassten Regelung Positives abgewinnen. Martin Stoll sagt: «Der Artikel zwingt einen vor der Veröffentlichung dazu, eine Güterabwägung vorzunehmen und sich im konkreten Fall zu fragen, ob es ein legitimes Geheimhaltungsinteresse der Verwaltung gibt.» Was durchaus vorkommen könne: «Nur um zu zeigen, dass man etwas Brisantes hat, würde ich nie etwas veröffentlichen.»

«Für mich ist die Sache abgehakt. Es war ein kurzer Artikel mit grosser Wirkung.»

Ende gut, alles gut? Man müssen mit dem «Maulkorbartikel» leben lernen, schrieb der Jurist und heutige «Beobachter»-Chefredaktor Dominique Strebel vor vier Jahren in der MEDIENWOCHE. Der jahrelange Streit um den Paragraphen sei besiegelt. Strebel plädiert darum für einen «pragmatischen Umgang mit dem Maulkorb», was etwa dann möglich sei, wenn man gewisse Punkte bei der journalistischen Arbeit berücksichtige. Und Simon Canonica sieht mit Blick auf das Verhältnis zwischen Medien und Behörden heute ein anderes Bild als vor 25 Jahren: «Der Staat ist derzeit nicht der Hauptfeind der Pressefreiheit, es sind dies vielmehr die Privaten mit ihren Prozessdrohungen.»

Wie im Januar vor 25 Jahren weilt Martin Stoll auch dieser Tage wieder in den Winterferien. Die Aufregung von Anfang 1997 ist weit weg und auch sonst beschäftigt ihn «sein» Fall nicht mehr sonderlich. «Für mich ist die Sache abgehakt. Es war ein kurzer Artikel mit grosser Wirkung.» Geheime Dokumente spielen aber weiterhin eine wichtige Rolle in seinem Beruf. Als Geschäftsführer von Öffentlichkeitsgesetz.ch engagiert sich Martin Stoll neben seiner Arbeit als Journalist für eine transparente Behördentätigkeit – und damit auch dafür, dass es weniger geheime Dokumente gibt.