von Benjamin von Wyl

Zur Spaziergang-Serie: Das Zentrum ist überall

Die MEDIENWOCHE geht spazieren. Jeden Monat begeben wir uns zu Fuss durch die Peripherie der Schweiz und lassen uns von kundiger Seite die Mechanismen der lokalen Medienlandschaft erklären. Andere reden nur von Medienvielfalt, wir zeigen sie.

Alle, ja wirklich alle, sprechen über Lokaljournalismus. Niemand bestreitet, dass es überall Medien braucht. Die sollen möglichst unabhängig und lokal verankert sein: Als bekannt wurde, dass die Zürcher (!) Tamedia die «Basler Zeitung» oder den Berner «Bund» übernimmt, war die Empörung jeweils gross. Die vielen Journalist:innen in Basel und Bern sorgten für den öffentlichen Trommelwirbel, der ab und an den Eindruck erweckte, das Problem der Zentralisierung in Zürich sei ein Problem der anderen grossen Städte.

Mit «Nau» gibt es noch ein nationales News-Medium, das komplett in der Berner Agglo entsteht. Ringier, NZZ, TX Group, SRF, WOZ, «Beobachter», «Republik» – die Liste der schweizweiten Medien mit Zürcher Zentrale ist lang. Wenn ein Zürcher Kulturlokal wie das «Kosmos» vor der Übernahme steht, machen sich Journalist:innen in drei bis fünf nationalen und lokalen Medien an die Recherche. Nationale Medien schleppen also immer auch eine Dosis Zürcher Lokalgeschichten mit. Das ist so sehr Tatsache, dass es gar nicht nennenswert scheint. Wer Zeitungen aus Deutschland liest, erfährt auch mehr über Berlin als über Rostock oder gar Bad Krozingen.

Die Schweiz ist, dafür sorgt das föderalistische System, ein Flickenteppich. So sieht auch die Medienlandschaft aus.

Eine von drei wöchentlichen «Schweiz-Seiten» der «Zeit» heisst «Alles außer Zürich». Doch auch die «Zeit Schweiz»-Redaktion sitzt mittlerweile in Zürich. Das Problem der zunehmenden Zentralisierung des Journalismus in Zürich ist nicht, dass sich die Journalist:innen, die dort arbeiten, nicht für den Rest des Landes interessieren. Das Problem liegt darin, dass die Perspektive «von Zürich aus» zur Norm wird. Dass Journalismus von Zürich aus gedacht wird, von Journalist:innen, in deren privater Lebenswelt Zürcher Themen wichtiger sind als im Deutschweizer Schnitt.

Dabei, und das ist so wunderbar wie wichtig: Auch wenn die nationalen Medien fast alle in Zürich sitzen, gibt es in diesem kleinräumigen Land zig Perspektiven auf die Medienwelt die vom Zürich- bzw. Anti-Zürich-Fokus planiert werden. Da in der absehbaren Zukunft Medienpolitik relevanter wird, darf das nicht so bleiben. Gleichzeitig kann man es auch nicht CH Media überlassen, sich in der nationalen Debatte als Vertretung der mittelgrossen Städte und der Regionen zu positionieren. Da die regionale Titel-Vielfalt mit ähnlichem Zeitungsinhalt zwar ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist, doch der Vielfalt insgesamt vielleicht auch abträglich ist.


1. Spaziergang (März 2022): Mit Priska Dellberg im Oberwallis
2. Spaziergang (April 2022): Mit Andreas Mösli in Winterthur
3. Spaziergang (Mai 2022): In Freiburg mit Florence Van Hove

Die Schweiz ist, dafür sorgt das föderalistische System, ein Flickenteppich. Das gilt auch für die Medienlandschaft. Doch die medienpolitischen Debatten laufen ab, als gäbe es nur das Intercity-Dreieck Zürich, Basel und Bern, sowie ominöse sogenannte Randregionen.

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Zeit, die Perspektive umzudrehen. Als Beitrag dazu, begebe ich mich für die MEDIENWOCHE auf Spaziergänge. Mit lokalen, möglichst unabhängigen Medienkenner:innen und lokalen Fotograf:innen mache ich mich auf eine medienjournalistische Schweiz-Reise. Die jeweiligen Einheimischen wählen eine Spazierroute. Sie kann uns entlang von Schauplätzen des regionalen Journalismus führen, aber auch einfach durch Natur-, Kultur- und Wirtschaftschauplätze, die regional archetypisch sind. Wie immer beim Spazieren begegnet uns die Landschaft – und beeinflusst damit unsere Themen. Dabei gibt es aber einige Leitfragen, die uns besonders interessieren: Wie nimmt das Gegenüber den Zustand des Journalismus im Lokalen wahr, wie sehen die Perspektiven aus? Wie zufrieden ist das Publikum? Gibt es Ressourcen? Wird kritisiert, was kritikwürdig ist? War der lokale Journalismus früher besser – oder wird er immer besser? Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich subjektiv. Und das ist auch gut so: Je authentischer eine Perspektive, desto mehr bildet sich ab, dass man mit ganz verschiedener Linse auf die Medienschweiz blicken kann.

Noch immer gibt es viele Medienzentren in der Schweiz, wo der Journalismus ganz unterschiedlich spriesst. Das Zentrum ist überall.

In den Spaziergängen kann grundsätzlich alles zum Thema werden. Aber je nach Ort interessieren gewisse Fragen speziell: Ganze Regionen werden geflutet von Gratis-Zeitungen von Christoph Blocher, die nur dann breiter diskutiert werden, wenn eine Kolumne polarisiert. Doch: Machen diese Blocher-Blätter ernsthaft Journalismus? Wenn ja, welchen? Wie steht es um den Lokaljournalismus in Aarau, seit Jahrzehnten Zentrum der Wanner-Medien? Ist es um die Lokalberichterstattung ruhig wie im Auge des Sturms? Wie funktioniert das zweisprachige Mediensystem in Biel? Was passiert am Arc Lémanique fernab von UNO und Kantonshauptstadt?

Auf den MEDIENWOCHE-Spaziergängen suche ich mehr nach Anregungen und Eindrücken als nach abschliessenden Antworten. Ein föderalistisches Land braucht eine Diskussionsgrundlage, die mehr sieht als den Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie. Denn noch immer gibt es viele Medienzentren, in denen der Journalismus ganz unterschiedlich lebendig ist. Das Zentrum ist überall.

Bild: Sandro Antonietti / Unsplash