von Benjamin von Wyl

Das Zentrum ist überall: Mit Florence Van Hove in Freiburg

In Freiburg treffen Universität und Katholizismus ebenso aufeinander wie Französisch und Deutsch. Ein Spaziergang durch eine Stadt, deren lokaler Journalismus auf internationale Kommunikationswissenschaften trifft.

Ob es denn wie im Wallis in die Berge gehen müsse, fragte Florence Van Hove am Telefon. Nein, nein, ein Stadtspaziergang passt sehr gut. Doch die Route, auf der mich die Kommunikationswissenschaftlerin durch Freiburg führt, geht auch ziemlich bergauf und bergab.

Busmotoren dröhnen. Vor dem Bahnhof ist es eng und die Leute wirken gestresst. «Bald wird der Bahnhofplatz umgestaltet», sagt Van Hove bei der Begrüssung. In ein paar Jahren könnte es hier ruhiger zu- und hergehen.

Der Weg ist einigermassen steil, gerade noch so flach, dass man keine Angst um die Kniegelenke haben muss. Wir sprechen über Mehrsprachigkeit. Van Hove lebte bis ins Teenageralter in Chile, aber hat einen Schweizer Hintergrund. Französisch ist ihre Hauptsprache, Französisch ist auch die Hauptsprache in der Stadt Freiburg. Aber da sie in einem zweisprachigen Kanton liegt, lasse man sich in der Region auf gegenseitiges Verstehen ein, wolle sich verstehen. «Obwohl man den Röstigraben auch kulturell spürt.» Das sei wohl auch der Grund, weshalb die frankophone «La Liberté» nicht dieselben Themen bearbeite wie die deutschsprachigen «Freiburger Nachrichten». Französischsprachige Journalist:innen orientieren sich eher an der frankophonen Welt. Das präge und hinterlasse Spuren.

Vom Bahnhof soll es in die Innenstadt gehen. «Da gibt es zwar keine Medienhäuser, aber es ist schön dort», sagt Van Hove, kurz vor der Kreuzung, an der die Avenue de la Gare auf die Avenue de Tivoli trifft. Würden wir hier links abbiegen, kämen wir zur Redaktion der «Freiburger Nachrichten». Aber wir gehen weiter geradeaus, während Van Hove die Medienhäuser mikrogeografisch einordnet. «Im Quartier Pérolles sitzt die Groupe St. Paul, die hinter der Zeitung «La Liberté» steht. Im Vorort Villars-sur-Glâne gibt es den Mediaparc.» Zu Mediaparc gehören etwa das Regionalfernsehen «La Télé», das zweisprachige «Radio Fribourg/Freiburg», das Magazin «Sept.info» oder die News-App «FRAPP».

Im Kanton Freiburg sind die Deutschschweizer:innen in der Minderheit. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die «Freiburger Nachrichten» auf dem Titel so betonen, dass sie die «einzige deutschsprachige Tageszeitung» im Kanton sind. Erstaunlicherweise bilden sich die Sprachverhältnisse ziemlich exakt in den Auflagen der Tageszeitungen ab: Gemäss WEMF verkaufen die «Freiburger Nachrichen» jeweils 14’450 Zeitungen, «La Liberté» hingegen 32’175. Ein Verhältnis von 31 zu 69. Und knapp 30 Prozent der 270’000 Kantonsbewohner:innen nennen Deutsch als ihre Hauptsprache.

Van Hove versichert, dass die Freiburger:innen ihre Lokalzeitungen sehr schätzen. «Sie sind wichtig, auch für das demokratische Leben in Stadt und Kanton», erzählt Van Hove. Selbst lese sie «La Liberté» fast täglich – allerdings im Büro. Deshalb habe sie privat kein Abo.

Fotograf Stéphane «Stemutz» Schmutz hingegen ist Abonnent der «Liberté». Jeden Morgen lese er die Zeitung. Sie versorge ihn mit anekdotischem Wissen zum Stadtleben. Das verschaffe ihm Stoff für Gespräche mit seinen lokalen Auftraggebern, erzählt er augenzwinkernd.

Freiburg ohne «La Liberté» kann sich Van Hove nicht vorstellen. Die Zeitung sei überall: «In allen Restaurants, in allen Bistros. Das deutschsprachige Pendant ebenfalls. Die Leute mögen ihre Lokalzeitungen hier sehr.» Und wann hatte sie als Frankophone zuletzt die «Freiburger Nachrichten» in der Hand? Eigentlich kaum je – wegen der Sprachhürde und nicht aus mangelndem Interesse.

In dem Moment müssen wir einem Lieferwagen ausweichen. In der Fussgänger:innenzone. «Der hat bestimmt eine Bewilligung», sagt Van Hove. In einer so katholischen Stadt muss es so sein, antworte ich. Van Hove: «Das Katholische ist in Freiburg wichtig – gerade auch den älteren Leserinnen und Leser von ‹La Liberté›». Diese kirchliche Verbindung stehe manchmal der Verjüngung im Weg, erzählt Van Hove, während der Lieferwagen den Weg blockiert und wir warten. Immerhin knapp 22 Prozent der Leser:innen von «La Liberté» sind gemäss den WEMF-Angaben unter 35. Bei den «FN» sind es bloss 13.5 Prozent.

Bis heute sind an «La Liberté», neben der Kantonalbank und einem Energieunternehmen, die Paulus-Schwestern beteiligt. Ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass es manchen jüngeren Leser:innen widerstrebt, eine Zeitung mit diesem Hintergrund zu abonnieren. Sowohl die «Freiburger Nachrichten», die gemäss Unternehmenszweck bis heute «im Geiste der christlichen Grundwerte» arbeiten, als auch «La Liberté» haben eine lange Geschichte als Leibblatt der Katholisch-Konservativen. Bereits vor 50 Jahren haben sich beide Blätter als Forumszeitungen neu definiert und Distanz zur Kirche gewonnen. «Die Provokation des Gründungsvaters Chorherr Schorderet bestand darin, die liberalen Ideen zu bekämpfen und es zu wagen, eine katholische und anti-liberale Zeitung ‹La Liberté› zu nennen. Es ging also darum, die Freiheit der Katholiken zu verteidigen und sich für Gleichbehandlung einzusetzen», sagte Serge Gumy, der damalige Chefredaktor und heutige Direktor von «La Liberté», vergangenes Jahr in einem Interview zum 150. Jubiläum. Heute übernimmt «La Liberté» ab und an Artikel von «Libération», der französischen linksliberalen Zeitung. «La Liberté» entdeckte die Freiheit, gegenüber verschiedenen Weltbildern unvoreingenommen zu sein, vor gut 50 Jahren. Seit 2015 wird sie bei Tamedia in Bern gedruckt – aus finanziellen Gründen. In Freiburg habe das eine öffentliche Debatte ausgelöst, erzählt Van Hove. Dass die Paulus-Schwestern Mit-Aktionärinnen sind, merke man der Zeitung nicht an. Sie wisse, dass diese grossen Respekt vor redaktioneller Unabhängigkeit haben.

Van Hove schrieb während ihrem Studium selbst für «La Liberté». In der Wissenschaft erhielt Van Hove jedoch eine Chance zum Berufseinstieg, die sich ihr in der journalistischen Praxis nicht geboten hat. «Wenn ich nicht in den Medien bin, erforsche ich immerhin die Medien von aussen.» Bisher mit Erfolg: Ihre Doktorarbeit, in der sie das Twitterverhalten von Journalist:innen in der Westschweiz analysierte, erhielt den ersten Dissertationspreis der «Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaften SGKM».

«Dabei ging es nicht um die Psyche der Journalisten, sondern um eine strukturelle Analyse», erläutert Van Hove ihre Arbeit. «Meistens treten die Medienschaffenden noch immer traditioneller auf, als es ihr Anspruch ist.» Die Idealvorstellungen von Bürger:innenjournalismus und einer neuartigen Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Community sind häufig mehr Anspruch als Realität. Solche Kollaboration würden in der Schweiz eher selten umgesetzt. In Freiburg kenne sie kein bürgerjournalistisches Projekt.

Aber immerhin gibt es ein lokales Medienhaus, welches aus dem traditionellen Formatdenken ausgebrochen ist. «Bei Mediaparc wird innerhalb des Profijournalismus kollaborativ gearbeitet, auch zwischen so verschiedenen Medienformen wie Radio und Fernsehen.» Die Mediaparc-App «Frapp» bündelt regionales Radio, TV-Inhalte, Podcasts und Textnews. «Dies bringt eine jugendliche Energie in den Freiburger Journalismus, die ich für sehr positiv halte. Die Zahlen kenne ich nicht, aber nach meinem Eindruck kommt das auch bei den Jungen an.»

Bei Mediaparc engagiert sich der Freiburger Medienmogul Damien Piller. Gegenüber Radio SRF bestätigten mehrere ehemalige Chefredaktoren, dass Piller die redaktionelle Unabhängigkeit garantiere. Dies ist auch zu hoffen, denn Piller muss sich in anderer Funktion der Justiz stellen. Als ehemaliger Präsident der regionalen Migros-Genossenschaft kam es bei einer Wiederwahl zu Wahlfälschung, wie mittlerweile ein Zivilgericht bestätigte. Weiterhin laufen gegen Piller mehrere Strafuntersuchungen.

Fällt Van Hove ein Beitrag oder eine Recherche ein, die sie beeindruckt hat in letzter Zeit? «Spontan fällt mir keiner ein. Höchstens etwas Negatives, also nicht der Beitrag, aber die Polemik, die er ausgelöst hat.» Es handelt sich um den Leserbrief eines «Herrn in einem gewissen Alter». Dieser habe darin seine Freude über den Frühling zum Ausdruck gebracht – und? «Er freute sich auch darüber, junge Frauen in Röcken zu sehen.» Das habe eine «grosse Polemik» in Freiburg ausgelöst. «Es gab Feministinnen, eine kleine Gruppe Feministinnen, die vor der Redaktion demonstrierten.» Danach äusserte sich der Chefredaktor in einer Erklärung, dass sie diese Zusendung nicht hätten veröffentlichen sollen. «Ich kann das Vorgehen nachvollziehen. Gleichzeitig finde ich aber, dass in einem Leserbrief eine Person aus ihrem Leben, ihrer Perspektive berichtet», führt Van Hove aus. «Vielleicht hätte man das öffentlich auch anders diskutieren können.» Die Position eines Leser:innenbriefs wiederspiegelt ja nicht jene der Redaktion. Positive Beispiele liefere der Freiburger Journalismus sicher auch. «Es fällt mir spontan einfach keines ein.»

Während Van Hove erzählt, spazieren wir hinter einer Schulklasse her durch die «Grand Rue». Fotograf Schmutz quatscht etwas abseits bei einer hip aussehenden Werbeagentur. Van Hove und ich gehen weiter Richtung Cathédrale Saint-Nicolas. «Sie ist wunderschön, aber vielleicht wollen wir heute nicht da raufsteigen.» Wir lachen. Es ist ein sehr heisser Mai-Tag.

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Schmutz kommt zurück. Seine Eltern, beide schon über 70, hätten erst gerade wieder den Aufstieg auf die Kathedrale gemacht. «Die Aussicht ist schön.» – «Ja, wunderbar! Wenn du willst, gehen wir?», fragt mich Van Hove. Ich bin dabei. «Voilà, also los», entscheidet Van Hove. Man könne nicht nach Freiburg ohne auf die Kathedrale zu steigen. Im Gegenzug für eine Viertelstunde Aufstieg hat man einen Rundblick auf die ganze Region. Ok! Wo geht’s rein?

Vor der Kathedrale frage ich nochmals nach dem Katholischen an dieser Stadt. «Es gibt Dinge, die traditionell bleiben. Jede Abstimmung für längere Ladenöffnungszeiten wird abgelehnt. Aber ich halte Respekt gegenüber Traditionen für wichtig.» Das sei Teil des kulturellen Erbes, welches es zu bewahren gelte. Als wir durch die Pforte treten, bekreuzigen sich aber weder Schmutz noch Van Hove – im Gegenteil: Das Gespräch geht einfach weiter. Aber wir sind nicht die lautesten: Ein Kirchenmann erklärt einer Gruppe Schüler:innen die Geschichte des Orts. Schmutz biegt zielsicher nach links, versucht die Klinke der kleinen Tür zu drücken. Sie gibt nicht nach. Da war früher der Aufgang zum Turm. Wir gehen wieder nach draussen. Schmutz und Van Hove waren wohl auch schon eine Weile nicht mehr hier.

Anders als die Stadt sei die Universität durch und durch zweisprachig. «In der Mensa, aber auch in den Sitzungen, ist es ein amüsantes Sprachdurcheinander.» Auch den heutigen Verlagsdirektor von «La Liberté», Serge Gumy, begebe sich da hinein. Der Kaderjournalist habe sich regelmässig in Van Hoves Unikurs «Medien und Neue Medien» gesetzt. «Dort geht es um das Mediensystem, die Geschichte des Internets und der Medienkrise. Gumy hatte auch Austausch mit den Studierenden. Das schien ihm sehr wichtig.» Wow, ein Chefredaktor, der sich mit Student:innen auf Augenhöhe begibt! Also profitiert der Lokaljournalismus womöglich von der Universität? Van Hove relativiert das ein wenig: «Der Lokaljournalismus profitiert sicher auch. Aber mein Hauptfokus in der Forschung ist eher der öffentliche Diskurs im Allgemeinen.» Ich will nachhaken, aber nun stehen wir in einem Spezialitätengeschäft.

Schmutz’ mächtige Stimme und jene des Verkäufers bestimmen die Themen. Es geht nun um «Cuchaule», das regionale Safranbrot. Auf einem Tisch liegen verschiedene Anzeiger und Zeitungen aus. Auch «La Liberté», aber Van Hove greift nach dem amtlichen Mitteilungsblatt. «Hier sieht man, wie sich das Gebiet um den Bahnhof verändern soll.» Eine emotionale Debatte entspinnt sich gegenwärtig um die Frage, ob der Brunnen, den der Künstler Jean Tinguely für die «Grande Place» konstruiert hat, auf den neuen Bahnhofsplatz verpflanzt werden darf.

Wir kaufen keine Spezialitäten, sondern drei Tickets für den Turm der Kathedrale. Es wird über einen Lift gesprochen und ich bin unsicher, ob das als Witz gemeint ist oder nicht. An der automatischen Schranke kommt uns eine weitere Schulklasse entgegen – es ist anscheinend ein Tag, an dem viele Schulreisen angesetzt worden sind. Wir halten die QR-Codes in den Sensor, treten durch die Schranke. Einen Lift gibt es nicht. Wir stapfen Stufe um Stufe, gehen Umdrehung um Umdrehung die Wendeltreppe aufwärts. Nach den ersten drei Umdrehungen fühlt es sich bereits an wie eine Meditation. Schmutz geht vor, hinter ihm Van Hove, ich bin das Schlusslicht.

Ich frage nochmals, wie sich die lokal starken Kommunikationswissenschaften auf die regionalen Medien auswirken: Wenn an der Uni grundsätzliche Überlegungen zu Medien angestellt werden, kann es ja trotzdem auf jene Lokaljournalist:innen abfärben, die das mitbekommen, selbst wenn der Lokaljournalismus nicht Gegenstand der Forschung ist? «Er stellt dir eine Frage», sagt Schmutz lachend. Van Hove: «Ich kann schon antworten, aber ich glaube, grössere Diskussionen führen wir besser oben.»

375 Stufen sind es. Zum Glück sind die Mauern der Kathedrale dick und es ist angenehm kühl. Oben packt Schmutz die grossen Objektive aus. Wir stehen in der Sonne, zwischen den Zinnen, spüren zum Glück auch den Wind. Van Hove zeigt mir Freiburg von oben: die neue Eishockey-Arena, die Stadtgrenze und die Richtung, in der die Deutschsprachigen leben.

Das führt das Gespräch zum zweisprachigen Radio. «Es ist ein Qualitätsradio, das für Freiburg wichtig ist.» Das Lokalfernsehen decke nicht nur Freiburg, sondern auch den Kanton Waadt ab. Da sei man, so Van Hoves Eindruck, immer am Abwägen zwischen den Regionen und ihren Inhalten. «Es wäre traurig, sehr traurig, die kleinen Medienunternehmen zu verlieren. Lokalmedien sind wichtig für die Demokratie und das lokale Leben einer Stadt, einer Region, eines Kantons.»

Nach diesem Appell stelle ich nun nochmals die Frage: Was lernen die Lokaljournalist:innen in Freiburg von eurer Forschung? «Es gibt weniger Austausch zwischen den zwei Milieus, als ich mir wünsche», sagt Van Hove. Mittlerweile engagiert sie sich als Vizepräsidentin der «Schweizerischen Gemeinschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaften SGKM». «Zu unseren Zielen gehört es, die Millieus der Medienunternehmen und der Forschung zu verbinden», sagt sie. Unlängst habe sie in dieser Funktion Eingaben gemacht für grosse Forschungsprojekte, an denen Journalist:innen ebenso beteiligt sein sollen wie Wissenschaftler:innen und Medienmanager:innen. «Ich denke, alle diese Akteure müssen zusammen arbeiten – sei es um Lösungen für ökonomische oder andere Probleme zu finden, sei es um neue Forschungsfragen zu entwickeln.» Um zu verhindern, dass man als Wissenschaftler:in fürs Archiv forscht, helfe der Austausch mit Journalist:innen – der garantiere, dass die eigene Forschung praxisbezogen bleibt. Bereits existiert die «Initiative for Media Innovation», bei der Forschung und Verlage zusammenspannen. Die «Initiative» betreibt unter anderem eine öffentliche Datenbank für aktuelle medienwissenschaftliche Beiträge.

«Wollen wir mal auf die andere Seite und Richtung Pérolles gucken?», sagt Van Hove. Dort sehen wir das kleine Tourismus-Bähnchen, das durch die Basse-Ville kurvt, das Schwimmbad Motta, den kurvigen Flusslauf der Saane, den Moléson-Gipfel. Im Bezirk Gruyère seien die Leute eigen. Van Hove zeigt unsere Route mit dem Finger nach. «Wir sind vom Bahnhof gekommen, jetzt auf der Kathedrale, wir könnten auch zu Fuss runter ins Schwimmbad oder hoch in den Wald. Alles möglich, es ist eine überschaubare Stadt.»

Wohnblocks und frühneuzeitliche Bauten stehen nebeneinander. In der Stadt Freiburg gebe es weder grosse Gräben noch übertriebenen Lokalpatriotismus. Die Stadt ist zur Romandie hin offen und ebenso in Richtung Bern durchlässig. Die knapp zehntausend Student:innen prägen die 40’000-Einwohner:innenstadt. «Sobald sie im Sommer weg sind, ist es plötzlich ruhig.» Wie ist das eigentlich mit den Studierenden der Kommunikationswissenschaft: Lesen die «La Liberté»?

Die Lokalzeitungen würden sie wohl kaum lesen, weil sie aus anderen Ländern, aus der Deutschschweiz, dem Tessin, der ganzen Romandie kommen. Jedes Jahr fragt Van Hove ihre Student:innen, welche Medien sie lesen. «‹Wie informieren Sie sich? Welche Zeitungen lesen Sie?› Und jedes Jahr erhalte ich den Eindruck, dass sie sich stärker auf digitale Angebote abstützen.» Und zahlen die Studierenden für digitale Medien? «Vielleicht. Aber sie sind in diese Gratiskultur geboren, weshalb viele nicht einsehen, weshalb sie für Information zahlen sollen.» Als Dozentin versuche sie nachvollziehbar zu machen: Hinter der Information stehen Journalist:innen – Menschen, die arbeiten. Journalismus kann nicht gratis sein.

Häufig orientieren sich sogar ihre Student:innen nicht mehr an Medientiteln und können nicht einschätzen, was eine Boulevard-, was eine seriöse Zeitung, welche Quelle eher dubios ist. «Meiner Überzeugung nach müsste bereits ab der Primarschule vermittelt werden, was die Logiken des Mediensystems sind.» Nur so können die ganz Jungen Medienkompetenz erlernen in der heutigen digitalen Umgebung. Das Ziel, nicht nur für Student:innen, sei Orientierung. «Die nötigen Informationen zu haben, um zu wissen, wo ich glaubwürdige Information finde, die ich dann auch selbst einschätzen kann.» Trotz all dieser Praxiserfahrung und ihrem Wissen über mediale Entwicklungen glaubt Van Hove nicht nur, dass Medien wie «La Liberté» als Marke überleben, sondern auch, dass es sie weiterhin als gedruckte Zeitung geben wird. Ebooks hätten traditionelle Bücher ja auch nicht verdrängt.

Wir machen uns an den Abstieg vom Turm. Viel Zeit, um nachzudenken, ob wir ein Gesprächsthema ausgelassen haben. Vielleicht haben wir alles besprochen, vielleicht ist es die Erschöpfung von den 365 Stufen: Uns fällt nichts mehr ein. Schmutz und Van Hove führen mich auf die Terrasse des «Belvédère». Hier ist die Aussicht fast so schön wie vom Turm – das Ankommen aber weniger schweisstreibend.

Beim Essen zeigt Schmutz, der auf Instagram sehr aktiv ist, Van Hove neue Deepfake-Spielereien und Filter. Auch auf der schönsten Terrasse der Stadt können die Herausforderungen und Möglichkeiten, die neue Technologien bieten, den Lokalkolorit überlagern. Auch für die pittoreske Altstadt haben sie Folgen. Wer sich davor versteckt, droht medial abgehängt zu werden.

Bilder: Stefan «Stemutz» Schmutz

 

Vielfältige und unabhängige Medien am Röstigraben

Als regionales Zentrum an der Sprachgrenze zwischen Deutschschweiz und Romandie nimmt Fribourg/Freiburg auch in der Medienlandschaft eine spezielle Stellung ein. Hier gibt es zwar nicht alles, aber das Wichtigste, gleich doppelt. Für den öffentlichen Diskurs weiterhin prägend wirken die beiden Tageszeitungen: «La Liberté» für das französischsprachige Publikum, die «Freiburger Nachrichten» für die Deutschsprachigen. Der Lokalsender Radio Fribourg/Freiburg vereint beide Sprachen im gleichen Unternehmen, sendet aber zwei getrennte Programme. Beim Regionalfernsehen stehen die Romands etwas besser da. «La Télé», der Sender mit einem Konzessionsauftrag für die Kantone Freiburg und Waadt, betreibt ein Studio in der Stadt. «TeleBärn» hingegen, das auch den deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg abdecken muss, wird nicht als Freiburger Sender wahrgenommen. Beim französischsprachigen Lokalradio und Regionalfernsehen ist Damien Piller Hauptaktionär. Von dem umtriebigen Rechtsanwalt stammte auch die Idee, ausserhalb der Stadt einen Mediaparc hochzuziehen, wo die Redaktionen konvergent arbeiten können.

Was die Freiburger Medien verbindet, ist ihre Unabhängigkeit von Grosskonzernen. Zwar bestehen vielfältige Kooperationen, aber keines der lokalen Unternehmen gehört der Deutschschweizer Tamedia oder der Westschweizer ESH. Im Fall von «La Liberté» sorgt eine ungewöhnliche Aktionärsstruktur für unternehmerische Stabilität. Die beiden mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen «Groupe E» (Energieversorger) und Freiburger Kantonalbank halten je eine substanzielle Minderheitsbeteiligung am Verlag. Auf die Qualität färbt diese Form der staatlichen Medienförderung nicht ab. Im Gegenteil: «La Liberté» fällt immer wieder mit starken Eigenleistungen auf. Etwas weniger komfortabel sieht die Lage dagegen für die «Freiburger Nachrichten» aus, auch weil sich ihr Einzugsgebiet auf das vergleichsweise kleine deutschsprachigen Kantonsteil beschränkt. Auch deshalb weibelte ihr Geschäftsführer im Vorfeld der Abstimmung über den Ausbau der Presseförderung stark für zusätzliche Subventionen. Nur mit staatlicher Unterstützung sei die anspruchsvolle Übergangsphase mit wegbrechenden Print-Erträgen, aber weiterhin hohen Distributionskosten, zu bewältigen.

Nick Lüthi

Leserbeiträge

Christoph Schütz 29. Mai 2022, 12:50

Als ein seit einem Vierteljahrhundert in Freiburg lebender und arbeitender Fotograf und Kleinverleger, der in Freiburg in Medienwissenschaften und Journalistik abgeschlossen hat und täglich die beiden Tageszeitungen liest, habe ich natürlich einen etwas anderen Blick auf die medienpolitische Realität, als sie von dieser „Schönwetter-Homestory“ vermittelt wird.

Kurz und etwas überzeichnet zusammengefasst erfüllen die beiden Tageszeitungen primär ihre Aufgabe als verlängerter Arm der Behörden: Der Leserschaft werden die von den Kommunikationsabteilungen der Ämter aufbereiteten Medienmitteilungen serviert und viele auf den Redaktionen bekannte Konflikte so lange wie möglich unter dem Deckel gehalten. Das ist das Gegenteil von dem, was man an der Uni Freiburg unter dem Titel „Demokratie und Medien“ lernt, nämlich dass Journalismus als vierte Gewalt wirken und damit behördenkritisch sein soll, um diese Aufgabe zu erfüllen.

Das Zurechtbiegen von behördenkritischen Leserbriefen durch die beiden Redaktionen und die von der La Liberté wiederholt praktizierte Zensur wäre einmal einen eigenen Beitrag an dieser Stelle wert.

Wenn der Journalist Benjamin Von Wyl „unabhängige Medien“ titelt und dann damit offenbar nur meint, dass die beiden Freiburger Zeitungen nicht der TX Group oder der ESH gehört, missbraucht er diesen Begriff. Die beiden teilstaatlichen Unternehmen Freiburger Kantonalbank und der Energieversorger Groupe e halten wesentliche Beteiligungen bei der La Liberté. Bei den Freiburger Nachrichten erfolgt die Einflussnahme direkter und perfider: Die beiden Unternehmen sponsern ein sogenanntes medienpädagogisches Zeitungsprojekt in Schulen: Die Kinder dürfen Exponenten der Sponsoren interviewen, welche dann der Leserschaft auf einer ganzen Seite ihr Unternehmen ins beste Licht stellen dürfen. „Publireportage“ nennt man diese Form von Werbung. Die „Logiken des Mediensystems“ werden also in der Tat bereits ab der Primarschule vermittelt, wie sich das Florence van Hove wünscht, nur leider in der genau umgekehrten Richtung, wie das die Logik von unabhängigem Journalismus fordern würde…Hier böte sich eine Gelegenheit für eine Zusammenarbeit zwischen der Uni Freiburg und den Lokalmedien, doch die Freiburger Nachrichten setzen lieber auf eine Zusammenarbeit mit dem deutschen IZOP Institut, und die Uni Freiburg hat bis heute nicht auf einen entsprechenden Vorschlag reagiert.

Bei diesem Spaziergang durch Freiburg ging also einiges vergessen, so auch, dass es mit https://lecolvertdupeuple.ch/de/sehr wohl ein alternatives und bürgerjournalistisches Medienprojekt in Freiburg gibt.

Das Bemühen, die freiburger Regionalmedien zu stützen, gründet meines Erachtens vor allem in der Angst von Politik und Behörden, ihr Instrument zur Einflussnahme der Bevölkerung zu verlieren und weniger in einer echten Sorge um das Funktionieren von Medien, die ihre Aufgabe als vierte Gewalt wahrnehmen würden.

Regionale Medien und Medienvielfalt sind wichtig und mir selber auch ein Anliegen. Mit dem Transfer von den an den Universitäten gelehrten Medientheorien und den daraus von der Politik abgeleiteten Ansprüchen an demokratiefördernde Medien in den journalistischen Alltag hapert es in Freiburg leider ganz besonders.