von Marko Ković

Von Heiterkeit bis Hass: Die ambivalente Meme-Kultur

Sogenannte Memes sind grundsätzlich ein bereicherndes Element der Internet-Kultur. Aber diese humorvollen Text-Bild-Botschaften, die sich oft viral verbreiten, haben eine Kehrseite: Sie werden auch gezielt genutzt als Instrument für extremistische Radikalisierung. Das gelingt darum so gut, weil die Hassbotschaften in Memes amüsant und harmlos verpackt daherkommen.

Der Ukraine-Krieg gibt eigentlich keinen Anlass zum Lachen. Ausser in diesem Fall: Seit Kriegsausbruch kursieren im Internet unzählige Memes, die den Krieg auf kurze, eingängige Art kommentieren und oft Empathie und Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung bekunden und hervorrufen sollen. Mit diesen Memes wird ein komplexer Sachverhalt in einfach zu verarbeitende Informations-Portionen übersetzt.

Ein Internet-Meme, das sich über den russischen Präsidenten Wladimir Putin lustig macht.

«Meme»: begriffliches Gegenstück zu «Gene»

Das Konzept des «Meme» hat der Evolutionsbiologe Richard Dawkins 1976 in seinem Buch «The Selfish Gene» eingeführt. Gemäss Dawkins sind Memes alle Formen von Verhalten und alle kulturellen Ideen, die kopiert werden und sich verbreiten, aber ohne, dass sie eine biologische Komponente haben (Dawkins hat «Meme» vom altgriechischen «mīmēma», «etwas Imitiertes», als begriffliches Gegenstück zu «Gene» abgeleitet). Ob Memes in anthropologischer Hinsicht ein nützliches Konzept sind, ist umstritten. Wenn heute die Rede von Memes ist, meinen wir aber zumeist Internet-Memes: Ein Stück Kultur, meistens in Form eines Scherzes, das sich online verbreitet und dadurch Einfluss erlangt. Internet-Memes können verschiedene Formen annehmen; von Bildern über Videos bis hin zu Text und gesprochenem Wort, oder Kombinationen von alldem.

«I can has cheezburger», ein Ur-Meme.

Humor ist das zentrale Merkmal von Memes, wie die Literaturwissenschaftler*innen Joanna Nowotny und Julian Reidy in «Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens» ausführen, einem neuen Standardwerk der deutschsprachigen Meme-Forschung. Der Humor in Memes folgt aber in der Regel nicht der Struktur klassischer Witze, die das Publikum sofort verstehen soll. Memes haben stattdessen die Eigenschaft eines Insider-Witzes. Bestehende kulturelle Momente, darunter auch bereits existierende Memes, werden aufgegriffen und mit einer zusätzlichen Botschaft versehen. Im Ergebnis entsteht so eine neue humoristische Botschaft, die nicht zuletzt darum attraktiv ist, weil man sie als «eingeweihte» Person doppelt versteht.

Ein Meme mit dem US-Senator Bernie Sanders. Der Witz ergibt sich aus dem Wissen, was es mit dem Foto im Original auf sich hat: In einem Wahlkampfvideo der US-Präsidentschaftswahlen 2020 bittete Sanders seine Anhänger*innen «wieder einmal um Unterstützung».

Memes führen gleichzeitig zu einer internetgestützten Humor-Globalisierung und zu der Entstehung regionalspezifischer Variationen, die auf den globalisierten Meme-Vorlagen beruhen, schreiben Nowotny und Reidy in ihrem Buch. Diese weltweite Verbreitung von Memes als eine Art universale Kulturtechnik mit lokalen Ausprägungen hat eine Reihe positiver Folgen. Beispielsweise findet über Memes eine Form des transnationalen Austauschs statt, wie es ihn so noch nie gab. Memes können über Grenzen und Sprachen hinweg zu gemeinsamen Deutungsmustern der Welt werden, nach dem Motto: Humor verbindet. Diese Funktion kann auch dazu beitragen, dass Gemeinschaften und kollektive Identitäten geschaffen werden, die Menschen jene Unterstützung bieten, die sie sonst im Leben vielleicht vermissen.

Ein weiterer positiver Aspekt von Memes ist der, dass sie ganz allgemein zu unserer Erheiterung beitragen und uns damit helfen können, schwierige Situationen durchzustehen. Nicht zuletzt in der Coronavirus-Pandemie haben Memes dazu beigetragen, Ängste und Sorgen abzubauen, oder zumindest kurzfristig von ihnen abzulenken.

Ein Pandemie-Meme.

Memes haben zudem auch eine direkte politische Dimension. In autokratischen Ländern, in denen öffentliche Kritik an den Machthabenden nicht möglich oder gefährlich ist, können Memes eine Art Gegenöffentlichkeit bilden, in der virtueller Protest stattfindet. Die autokratischen Regierungen greifen zwar jeweils mit Zensur durch, aber die Insider-Witze der Memes verbreiten sich als «Hieroglyphen des Protests» oft viral, bevor die Behörden ihre Botschaften verstehen.

Die bunte Welt der Memes hat aber auch eine Schattenseite. Memes werden nicht nur von Menschen erstellt und geteilt, die damit harmlose bis hehre Ziele verfolgen. Memes sind auch in rassistischen, antisemitischen und misogynen Kreisen verbreitet. Der Umstand, dass Memes eine Art Universalsprache sind, macht Hass im Meme-Format für viele Menschen verdaulich, die auf klassische und direktere Wege der Radikalisierung weniger ansprechen.

Die Autorin Angela Nagle beschreibt in ihrem Buch «Kill All Normies», dass Memes in modernen Online-Hass-Ökosystemen eine wichtige Rolle einnehmen. Memes als sarkastische Pseudo-Scherze sind eine potente, einfach verständliche Form des Tabubruchs, die Hassgemeinschaften auszeichnet. Direkt und in ernstem Ton formulierter Antisemitismus ist für viele Menschen schockierend und abstossend. Kommt der Antisemitismus aber sarkastisch in Meme-Form daher, ist der Inhalt nicht ganz so schockierend, denn alles ist irgendwie Spass und «Shitposting». Memes sind kompakte Ideologie-Häppchen, die Hass verdaubar machen und für die Eingeweihten ein Wir-Gefühl schaffen.

Hass-Ökosysteme spielen in der Welt der Memes eine zentrale Rolle. In einer grossangelegten Studie von 2018 wurde festgestellt, dass eine der wichtigsten Quellen von Memes das Hassforum «/pol/» auf der Plattform «4chan» ist. «/pol/» ist eine regelrechte Meme-Fabrik, die Memes schwappen auf grössere Social-Media-Plattformen über und erreichen so Millionenpublika. Der Erfolgsfaktor bei dieser Meme-Kaskade ist dabei die duale Natur von Memes als Universalsprache und als Insider-Witz. Ein Teil der Memes, die auf «4chan» das Licht der Welt erblicken, enthalten offenkundige Hassbotschaften, die für ein breites Publikum nicht unmittelbar attraktiv sind. Viele andere mit Hass aufgeladene «4chan»-Memes transportieren aber subtile und kontextabhängige Botschaften, die nicht direkt als Hass erkennbar sind. Dadurch wird der Hass kaschiert oder zumindest mehrdeutig. Einerseits macht das die Hass-Memes massentauglich, und andererseits werden die Massen dadurch latent für Hass empfänglich.

Das vielleicht berühmteste Beispiel für diese latente Radikalisierung ist das Meme «Pepe the Frog». Der Frosch Pepe ist eine Comicfigur aus dem 2005 erschienenen Comic «Boy’s Club» des Comickünstlers Matt Fury. An einer Stelle im Comic fragt Pepes Freund ihn, warum er zum Pinkeln die Hosen ganz ausziehe. Pepe antwortet: «feels good man»; «Fühlt sich gut an, Alter».

Die Stelle in «Boy’s Club», die «Pepe the Frog» zum Meme machte.

Der sympathische Frosch wurde auf «4chan» als harmloses Meme aufgegriffen und verbreitete sich viral im ganzen Internet. Im Unterforum «/pol/» wurde Pepe aber auch mit Hassbotschaften aufgeladen und wurde damit zu einer Gallionsfigur der faschistischen «Alt Right»-Bewegung.

Hassvarianten von Pepe.

Hasserfüllte Pepe-Memes verbreiteten sich wie die harmlosen Varianten schnell und breit. Sie sprachen und sprechen das grosse Publikum an, das bereits mit Pepe vertraut ist und das Meme als solches dekodieren kann. Die allgemeine Bekanntheit von Pepe stellt damit ein Einfallstor für Hass dar: Die Insider verstehen grundsätzlich, was Pepe ist, und der über Pepe vermittelte Hass wirkt nicht gar so schlimm, weil es sich ja am Schluss um eine Art Witz handeln soll. Wer das allzu ernst nimmt, so die Insider-Sicht, ist selber schuld.

Die Europäische Kommission hat letztes Jahr das Problem der über Memes ablaufenden Radikalisierung in einem Bericht beschrieben. Diese unterscheidet sich deutlich von klassischer Radikalisierung. Es gibt keine formalen Organisationen, keine Hierarchien, keine direkte Indoktrination. Alles läuft intrinsisch motiviert, spontan geformt und mit einem vermeintlichen Augenzwinkern ab. Der härtere Kern des Hass-Ökosystems produziert Memes auf Plattformen wie «4chan» und trägt diese nach aussen auf gängige Plattformen wie «Facebook», «Twitter», «Instagram», «TikTok», «Discord», oder auch auf Meme-Websites wie «9gag». Dadurch kommen die sogenannten «Normies» – Menschen, die noch nicht Teil der Meme-Hasskultur sind – in Kontakt Hass-Memes, und ein Teil von ihnen findet über die Memes den Weg zu «4chan» und Konsorten.

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Auch Brenton Tarrant, der Massenmörder, der 2019 im neuseeländischen Christchurch bei einem Anschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen tötete und die Tat live auf Facebook übertrug, radikalisierte sich in einer solchen Meme-Subkultur. Tarrant war vor allem auf der Plattform «8chan» aktiv; einem «4chan»-Klon mit noch weniger Regeln und noch mehr Hass. Das Manifest, das Tarrant kurz vor seinem Anschlag im Forum postete, zeugt denn auch von seiner Radikalisierung durch Memes. Der Text ist nicht eine in ernstem Ton verfasste Hassschrift, sondern ein zutiefst sarkastisches Hassbekenntniss voller Memes. Ein Manifest, bei dem nicht klar war, wie ernst es wirklich gemeint ist – bis die ersten Schüsse fielen.

Im Zuge des Anschlags verkündete Tarrant: «Subscribe to PewDiePie». Diese Aufforderung war vor einigen Jahren ein virales Internet-Meme des YouTubers Felix Kjellberg, bekannt als «PewDiePie». Er nutzte den Spruch als Mobilisierungskampagne: Kjellberg war lange Zeit der Gaming-YouTuber mit den meisten Abonnent*innen, aber der indische YouTube-Kanal «T-Series» drohte, ihn zu überholen. Daraus gestaltete Kjellberg einen ironischen «Krieg der Subscriber». Seine Fans machten begeistert mit.

Felix Kjellberg ist in der Vergangenheit immer wieder durch rassistische Eskapaden aufgefallen, und er scheut den Kontakt mit Persönlichkeiten aus dem Rechts-Aussen-Milieu nicht. Er selber ist kein eingefleischter Hassideologe, aber Figuren wie Kjellberg fungieren im «memefizierten» Hass-Ökosystem als Brückenbauer, wie der Medienwissenschaftler Luke Munn argumentiert. Über Kjellberg und seinen sarkastischen Humor kommen ahnungslose Menschen in Kontakt mit hasserfüllten Ideen und werden mit Personen, die Hass ebenfalls humorvoll, aber intensiver betreiben, vernetzt. Ein sanfter Einstieg in die Radikalisierungs-Pipeline. Ob «PewDiePie» zu Tarrants Radikalisierung beigetragen hat, wissen wir nicht. Klar ist aber, dass Tarrants Wiederholung des «Subscribe to PewDiePie»-Meme selber ein Meme war; ein sarkastisches Signal an die eigene Hasscommunity. Shitposting inmitten einer Orgie der Gewalt.

Memes als digitale Kulturtechnik gehören zum Bemerkenswertesten, was das Internet hervorgebracht hat. Ein kreatives «Remixen» kultureller Momente, das sich zu einer globalen Sprache des Humors entwickelt hat. Das schafft nicht nur Erheiterung und Verbundenheit, sondern auch neue Möglichkeiten für politische Partizipation. Gleichzeitig werden Memes aber auch als Transportmittel für Hass verwendet. Die Viralität und Mehrdeutigkeit von Hass-Memes zieht Menschen, die an sich nichts mit Hassideologien am Hut haben, in den Sog Sarkasmus-getriebener Radikalisierung. Bei unserem Meme-Konsum sollten wir darum eine wichtige Regel im Hinterkopf behalten: Nicht alles, was uns zum Lachen bringt, ist harmlos.

Leserbeiträge

João Pereira 22. Mai 2022, 16:18

Schwarzer Humor oder Ignoranz?
«Von Heiterkeit bis Hass: Die ambivalente Meme-Kultur», Medienwoche, 08.04.2022
«Humor ist das zentrale Merkmal von Memes», aber wie weit kann sich dieser strecken, bis er als offensiv angesehen wird? In diesem Artikel wird die Sonnen- sowie die Schattenseite der Meme-Kultur thematisiert. Ich finde, dass Memes ein gutes Mittel sind, schlechte Zeiten zu bekämpfen, aber wichtig zu beachten ist, wie sensible resp. unsensible der Witz ist und um welches Thema es sich überhaupt handelt. Witze können sich schnell der ignoranten Seite zuneigen, indem der Inhalt rassistisch, homophob, sexistisch, antisemitisch etc. ist. Sobald man sich über eine Minderheit oder ein polemisches Thema lustig macht, kann es schiefgehen, weil sich Viele nicht genug über deren Geschichte informiert oder in den meisten Fällen, informiert werden möchte. Sie ziehen die «Ist alles nur ein Scherz» oder «Sei nicht so sensibel!» Karte. Dies generiert eine Problematik in der Meme Gemeinschaft, es entsteht eine Spaltung zwischen den gut Informierten und den Ignoranten. Deswegen bin ich der Meinung, dass wenn man Memes posten möchte, dann sollte man besonders auf den Inhalt achten.
João Pereira