von Adrian Lobe

Der König der Kurznachrichten

Elon Musk ist der grösste Lautsprecher auf Twitter: Er pöbelt gegen Prominente, reisst sexistische Witze und schickt Börsenkurse auf Achterbahnfahrt. Nun kauft der reichste Mann der Welt den Social-Media-Konzern. Ob das gutgeht?

Wenn der reichste Mann der Welt eine der wichtigsten Debattierplattformen im Netz kauft, sorgt das naturgemäss für Diskussionen. Von einer «feindlichen Übernahme» («Süddeutsche Zeitung») war die Rede und die «New York Times» unkte, dass Twitter ein «Scary Place», ein «unheimlicher Ort» werde, nachdem bekannt geworden war, dass Elon Musk für 44 Milliarden US-Dollar Twitter kauft.

Während die linksliberalen Meinungseliten in den USA mit Schrecken beobachten, wie sich ein launischer Silicon-Valley-Unternehmer und Multimilliardär mal eben einen Social-Media-Konzern unter den Nagel reisst, brandet bei den Rechten Jubel auf: «Fox News»-Moderator Tucker Carlson, dessen Sperre wenige Stunden nach der Übernahmemeldung aufgehoben wurde (welcher Zusammenhang dazwischen besteht, ist noch immer nicht ganz klar), triumphierte: «Wir sind zurück.»

Vor seinen über 80 Millionen Twitter-Followern testet Musk immer wieder die Grenzen der Meinungsfreiheit aus.

Musks vollmundige Ankündigung, die Meinungsfreiheit auf dem «Marktplatz» Twitter wiederherzustellen, nährt die Hoffnung (und die Sorge), dass auch Donald Trump auf die Plattform zurückkehren könnte. Der ehemalige US-Präsident wurde im Januar 2021 nach dem Sturm auf das Kapitol gesperrt. Musk, der sich selbst als «Free-Speech-Absolutist» bezeichnet, vertritt einen libertären Freiheitsbegriff, gilt aber anders als der ihm ideologisch nahestehende Paypal-Mitgründer Peter Thiel nicht als Trump-Unterstützer – zumindest hat er sich öffentlich nicht dahingehend geäussert. Trotzdem feiern ihn Trump-Fans als Helden der Meinungsfreiheit, der gegen die angebliche Zensur der linksliberalen Meinungseliten zu Felde zieht.

Vor seinen über 80 Millionen Twitter-Followern testet Musk immer wieder die Grenzen der Meinungsfreiheit aus, wobei er aber häufig übers Ziel hinausschiesst. Mal vergleicht er den kanadischen Premierminister Justin Trudeau mit Hitler (den Tweet hat Musk mittlerweile wieder gelöscht), mal macht er sich über das Gewicht von Bill Gates lustig. Immer wieder reisst er misogyne und transfeindliche Witze. Der notorische Sexismus der männerdominierten Tech-Branche, sagen manche, offenbare sich in Musks Tweets wie unter einem Brennglas. Nachdem der Tesla-Chef 2019 einen Taucher, der an der Rettung einer Jugendfussballmannschaft aus einer Höhle in Thailand beteiligt war, als Pädophilen bezeichnet hatte, musste er sich wegen Verleumdung vor Gericht verantworten. Die Sache endete mit einem Freispruch. Doch Musk ist jetzt nicht mehr nur der «Supertroll» («Süddeutsche Zeitung»), der gegen Promis pöbelt und mit seinen provokanten Tweets Aktienkurse rauf- und runterschickt, sondern Eigentümer von Twitter – und damit in direkter unternehmerischer Verantwortung.

Was aber ist Musks Kalkül? Eine Antwort auf die Frage nach Musks Plänen könnte in den Daten liegen.

Man darf unterstellen, dass der überaus erfolgreiche Geschäftsmann, der 2002 mit dem Verkauf seiner Paypal-Anteile an Ebay zum Milliardär wurde, Twitter nicht aus einer Laune heraus oder als Spielzeug gekauft hat, sondern einen Plan für den börsennotierten Konzern hat, der immer noch rote Zahlen schreibt. Laut einem Bericht von Reuters sieht Musks Finanzierungskonzept, das er einem Bankenkonsortium zur Gewährung von Kreditzusagen vorlegte, unter anderem auch Stellenkürzungen und Monetarisierungsmöglichkeiten für Tweets vor.

Was aber ist Musks Kalkül? Will er die Plattform für rechte Nutzer (wieder) attraktiver machen, um das stagnierende Nutzerwachstum anzukurbeln? Will er Twitter zu einem PR-Organ seines Firmenimperiums machen? Welchen Einfluss wird er auf das Twitter-Management ausüben? Eine Antwort auf die Frage nach Musks Plänen könnte in den Daten liegen. Twitter sitzt auf einem riesigen Datenschatz von 300 Millionen Nutzern. Als Eigentümer hat Musk theoretisch Zugriff auf Nutzerdaten wie IP-Adressen, Tweets oder Direktnachrichten, die Twitter im Gegensatz zu anderen Plattformen wie etwa Whatsapp nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt. Dass Musk Twitter von der Börse nehmen will, könnte insofern ein cleverer Schachzug sein, als dass er sich damit der Transparenz- und Publizitätspflichten eines börsennotierten Unternehmens entledigen würde.

Die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff, die in ihrem Werk «Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus» die Geschäftspraktiken der Plattformökonomie analysiert, sprach in der «Washington Post» von einem «Disaster». Auch Bürgerrechtler sind besorgt. Evan Greer von der Organisation «Fight for the Future» sagte gegenüber dem Magazin «Wired»: «Elon Musk ist nun buchstäblich der König von Twitter. Es gibt nichts, was ihn daran hindern könnte, auf Ihre Direktnachrichten zuzugreifen oder diese an staatliche Behörden weiterzuleiten – möglicherweise in einem Land, wo Tesla versucht, Geschäfte zu machen.»

Musk könnte nun, so die Befürchtung, Druck auf das Twitter-Management ausüben, die internen Richtlinien besonders chinafreundlich auszulegen.

So kursieren Spekulationen, wonach Musk Twitter als Hebel für sein China-Geschäft nutzen könnte, wo der Unternehmer stark investiert und 2019 in Shanghai eine «Gigafactory» für seine Tesla-Elektroautos eröffnet hat. Zwar wird Twitter in China durch die «Great Firewall» blockiert, aber Regierungsmitglieder und staatliche Medien twittern dennoch fleissig. Musk könnte nun, so die Befürchtung, Druck auf das Twitter-Management ausüben, die internen Richtlinien besonders chinafreundlich auszulegen. Sein Erzrivale, Amazon-Gründer Jeff Bezos, ätzte auf Twitter: «Hat die chinesische Regierung gerade ein wenig Einfluss auf den Marktplatz (‹Town Square›) gewonnen?»

Musks etwas vage Äusserung, «alle Menschen zu authentifizieren» («authenticating all humans»), wurde dahingehend verstanden, nicht nur stärker gegen Bots vorzugehen, sondern auch ein Verbot für anonyme Postings und Profile zu verhängen. Eine solche Klarnamenpflicht hat die chinesische Regierung 2017 für alle Foren und Registrierungen im Internet eingeführt. Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation EFF warnte in einem Blogbeitrag: «Politische Dissidenten sind in grosser Gefahr, wenn die Machthaber in der Lage sind, ihre wahre Identität zu entdecken.» Anonymität sei «essenziell», um Nutzer mit anderen Meinungen, Identitäten und Interessen zu schützen. Fälle auf Facebook, wo eine solche Pflicht eingeführt wurde, würden zeigen, dass Nutzer, die traditionell irische, indonesische oder schottische Namen nutzten, stigmatisiert würden.

Gerade in der Tech-Branche ist es gefährlich, wenn ein Mann das alleinige Sagen über eine Plattform hat.

Derlei Beispiele zeigen, dass die Meinungsfreiheit nicht allein von der Gesinnung eines Eigentümers oder dessen Wohlwollen abhängt, sondern auch von den (sicherheits-)technischen Voreinstellungen. Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist nicht nur eine Sicherheitsvorkehrung gegenüber den Begehren des Staates, sondern auch gegenüber jenen der neuen Eigentümer.

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Gerade in der Tech-Branche ist es gefährlich, wenn ein Mann das alleinige Sagen über eine Plattform hat. Die internen Dokumente, welche die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen öffentlich machte, belegen, dass Mark Zuckerberg eine Höllenmaschine geschaffen hat, die völlig ausser Kontrolle geraten ist. Das Integritätsteam, in dem Haugen gearbeitet hatte, versuchte mehrfach vergeblich, die Algorithmen so zu konfigurieren, dass sich Hassrede und Desinformationen eindämmen lassen. Und Gründerchef Zuckerberg hat sich wiederholt in das operative Geschäft eingemischt, etwa, um den Zensurvorgaben der kommunistischen Staatsführung von Vietnam zu entsprechen.

Wie interventionistisch Musks Unternehmensführung sein wird, darüber lässt sich nur spekulieren. Unstrittig ist aber, dass der Unternehmer dem Solutionismus anhängt, und daran glaubt, dass sich mit ausreichend vielen Daten und den passenden Algorithmen die Probleme der Welt lösen lassen. Entsprechend sieht er auch Hassrede nur als eine Art Fehler im Betriebssystem der Gesellschaft, der sich mit ein paar Klempnergriffen im Maschinenraum beheben lässt.

Der Unternehmer Musk denkt vor allem in Kategorien von Gewinn und Verlust.

Insofern kommt es ein wenig überraschend, wenn Twitter-Gründer Jack Dorsey den neuen Eigentürmer Musk nun als «einzigartige Lösung» für den Kurznachrichtendienst bezeichnet. Twitter sei ein öffentliches Gut, kein Unternehmen, niemand dürfe es besitzen, twitterte Dorsey und aktualisierte damit eine alte cyberlibertäre Forderung. Doch im Tesla-Chef einen Heilsbringer zu sehen, der die Netzutopien der 1990er Jahre realisiert, dürfte eine ziemlich verwegene und naive Vorstellung sein: Der Unternehmer Musk denkt vor allem in Kategorien von Gewinn und Verlust, und auch wenn er in seine private Stiftung Milliarden pumpt, hat er Twitter kaum als philanthropisches Projekt gekauft. Sonst hätte er im Vorfeld dem Twitter-Vorstand nicht über die «Washington Post» eine strategische Neuausrichtung nahegelegt. Der Social-Media-Konzern solle den Abo-Preis für den Zusatzdienst Twitter Blue senken, Anzeigen verbannen und die Kryptowährung Dogecoin akzeptieren, in die Musk selbst investiert und deren Kurs er durch Tweets beeinflusst – manche sagen: manipuliert – hat. Die US-Börsenaufsicht hat seine Tweets bereits unter die Lupe genommen.

Die spannende Frage wird sein, wie die Regulierungsbehörden mögliche Interessenkonflikte bewerten – auch vor dem Hintergrund, dass Musk wie kein Zweiter Twitter als basisdemokratisches Werkzeug zu nutzen weiss. So liess er im vergangenen November auf Twitter öffentlich darüber abstimmen, ob er zehn Prozent seiner Firmenanteile verkaufen und damit Steuern zahlen soll. Als der Tesla-Gründer auf Twitter eine Umfrage über einen Edit-Button startete, mahnte Twitter-Chef Parag Agrawal zur Zurückhaltung. Das war nur eine leise Vorahnung, wie konfliktreich das Verhältnis zwischen den beiden werden könnte.

Musks Einstieg bei Twitter könnte das Diskussionsklima auf der Plattform nachhaltig verändern. Eine Analyse des Techblogs «The Verge» zeigt, dass kurz nach der Ankündigung der Übernahme die Zahl konservativer Accounts deutlich zunahm. Das Kalkül, durch eine Laissez-faire-Moderation konservative Nutzer zurückzugewinnen und dadurch Wachstum zu generieren, könnte aufgehen. Aber es ist eine riskante Wette. Denn Twitter droht ein Mitarbeiterexodus: Zahlreiche Angestellte sollen bereits nach einer neuen Stelle Ausschau halten. Doch Musk braucht die überwiegend linksliberal eingestellten Softwareingenieure, um die Baustellen des Konzerns – Hate Speech, Propaganda, Bots – anzugehen. Gehen ihm die Experten von der Stange, könnte sich das Problem verschärfen – und Twitter zu einer unkontrollierten Hass- und Linkschleuder verkommen.

Bild: Keystone-SDA / Adobe Stock