Affäre Kroos: Der falsche Moment für Selbstkritik
Wenn ein Fussballmillionär grundlos einen Sportreporter anpampt, dann ist der Kicker das Problem und nicht der Journalist. Trotzdem übte sich das ZDF in Selbstkritik.
Nicht etwa das sportliche Ergebnis oder der umstrittene Polizeieinsatz gegen einen Teil der Matchbesucher:innen beschäftigen auch Tage nach dem Finalspiel der Fussball-Champions-League in Paris noch die deutschsprachigen Medien. Nein, es sind weiterhin die Worte des deutschen Spielers Toni Kroos, der nach dem Titelgewinn mit Real Madrid den ZDF-Reporter Nils Kaben zusammenstauchte und das Interview platzen liess. Harmlose Erkundigungen zum Spielverlauf, der nicht zwingend auf einen Sieg der Spanier hingewiesen hatte, bezeichnete Kroos als «Scheissfragen» und empfand die Interviewsituation offenbar als «Ganz schlimm. Ganz schlimm. Wirklich.», wie er nach dem Gesprächsabbruch noch gut hörbar sagte.
Der Ausraster offenbart vor allem das verquere Medienbild eines Fussballmillionärs, der selbst eine journalistische Standardsituation für Majestätsbeleidigung hält.
Aufgrund dieses Vorfalls nun über das Verhältnis von Reporter und Spieler im Speziellen und den Sportjournalismus im Allgemeinen reflektieren zu wollen, wäre indes Wasser auf die Mühlen einer vulgären, aber weit verbreiteten Medienkritik. 67 Prozent der «Bild»-Leser:innen können die Reaktion von Toni Kroos verstehen.
Umso unverständlicher, dass der ZDF-Reporter, der am letzten Samstag in Paris nur seine Arbeit machte, sich nun öffentlich in Selbstkritik übt. Kaben kritisiert zwar auch das Verhalten des Interviewpartners, aber er sagt eben auch, er hätte stärker auf die «positiven Emotionen» eingehen können. Dieses Zurückrudern sei «der eigentlich echte Aufreger», hält «T-Online» völlig zurecht fest und taxierte das Verhalten des Journalisten als «Leichtsinnig. Ärgerlich. Peinlich.»
Selbstkritik, wo es nichts zu kritisieren gibt, setzt ein falsches Signal.
Klar: Das Fernsehen ist auf ein gutes Einvernehmen mit seinen Gesprächspartnern angewiesen. Man begegnet sich immer wieder in der gleichen Konstellation. Gerade deshalb wäre es aber umso wichtiger, die eigene Arbeit nicht schlechter darzustellen als sie ist.
Wenn dann auch noch ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann in die gleiche Kerbe schlägt und die Selbstkritik seines Reporters wiederholt, dann kommt das schon fast einer Kapitulation gleich. Dem «Tagesspiegel» gab Fuhrmann zu Protokoll: «Unser Kollege hätte noch einen Moment länger bei den Emotionen bleiben und dann zum Spiel selbst kommen sollen.» Wer einen solchen Chef hat, braucht keine Feinde mehr.
Selbstkritik, wo es nichts zu kritisieren gibt, setzt ein falsches Signal. Mit ihren Reaktionen schufen Reporter und Sportchef eine «False Balance», eine falsche Ausgewogenheit: Fussballer und Journalist tragen beide irgendwie eine Verantwortung für den Abbruch des Interviews – so das Bild, das in der Öffentlichkeit nun entstanden ist.
Wie es im Sport auf das richtige Timing ankommt, so spielt der richtige Zeitpunkt auch beim Journalismus eine Rolle. Der Fall Kroos ist definitiv nicht der passende Moment für Selbstkritik.
johannes kornacher 03. Juni 2022, 11:52
Deformation professionelle, Herr Lüthi
Nick Lüthi 03. Juni 2022, 12:15
Wie meinen?