von Nick Lüthi

The Good, The Bad & The Ugly LXXXIX

Solidarität, Reputation, Sommerloch

The Good – Wichtiger Aufruf

Es ist ein starkes Zeichen der Solidarität mit dem inhaftierten Julian Assange: Auf Einladung des «Club Suisse de la Presse» versammelten sich am letzten Mittwoch in Genf zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von internationalen Journalisten- und Verlegerverbänden, sowie Chefredaktorinnen und Chefredaktoren von Schweizer Medien. Ihr «Aufruf zur Freilassung von Julian Assange im Namen der Pressefreiheit» folgte am Tag, nachdem die britische Innenministerin die Auslieferung von Assange genehmigt hatte.

In den USA muss der Gründer von Wikileaks mit bis zu 175 Jahre Haft rechnen. Sein Vergehen: Die Veröffentlichung von Dokumenten, insbesondere aus den Kriegen in Irak und Afghanistan, welche Handlungen belegen, die gegen die Genfer Konventionen und die Menschenrechte verstossen. Neben einem Appell an die britischen und amerikanischen Behörden forderte die in Genf anwesende Medienprominenz auch die Schweizer Behörden auf, «im Namen der Pressefreiheit und der Menschenrechte zu intervenieren, um Julian Assange Zuflucht in der Schweiz oder anderswo zu gewähren».

Das Zeichen wäre noch stärker gewesen, wenn sich auch Organisationen und Personen aus der Deutschschweiz am Protest beteiligt hätten. So war zwar der Westschweizer Verlegerverband Médias Suisses mit seinem Generalsekretär am Mittwoch in Genf anwesend. Beim Deutschschweizer Pendant wusste man nicht einmal von der Veranstaltung, heisst es beim Verband Schweizer Medien auf Anfrage. Offenbar haben die Romands die Kollegen jenseits des Röstigrabens nicht informiert.

The Bad – Reputationsrisiko

Der «Beobachter», die «Handelszeitung», aber auch die «Glückspost», haben einen neuen Chef. An der Spitze des Verwaltungsrats der Ringier Axel Springer Schweiz AG, welche die genannten und weitere Medien herausgibt, steht künftig Mathias Döpfner. Damit übernimmt einer der mächtigsten deutschen Medienmanager einen Führungsposten in der schweizerischen Branche.

Döpfner amtet seit zwanzig Jahren als Vorstandsvorsitzender der Verlagsgruppe Axel Springer, die in Deutschland Titel wie «Bild» oder «Welt» herausgibt. 2010 haben Springer und Ringier Teile ihres Geschäfts in Osteuropa und in der Schweiz zusammengelegt. Dem Schweizer Bereich steht neu Döpfner vor. Zum Glück erst jetzt. In den vergangenen Jahren hatte sich Döpfner nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Besonders im Zusammenhang mit der Entlassung des früheren «Bild»-Chefredaktors Julian Reichelt wegen Machtmissbrauchs machte der Springer-Chef keine gute Figur. Erst als die «New York Times» das ganze Ausmass der Causa Reichelt aufrollte, zog Döpfner die Reissleine. Was bei Springer in Deutschland läuft, wird nun via die Personalie von Döpfner auch auf Ringier Axel Springer Schweiz abfärben. Bleibt zu hoffen, dass so angesehene Titel wie der «Beobachter» nie Schaden nehmen.

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The Ugly – Gluthitze fürs Sommerloch

Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Das verunglückte Team-Event der TX-Tochter «Goldbach» entwickelt sich zum medialen Dauerbrenner (haha!). Auch mehr als zehn Tage nach dem Anlass, bei dem sich mehrere Personen auf glühenden Kohlen die Füsse verbrannten, nimmt die Berichterstattung kein Ende.

Aktuell zeigt die Schweizerische Mediendatenbank um die hundert Artikel an zum Thema. Inzwischen sind wir beim Selbstversuch angelangt. Ein Journalist, der aufgrund seines Namens (Hitz, haha!) dafür geeignet scheint, dem Phänomen mit eigenen Füssen auf den Grund zu gehen, betrat dazu selbst die heisse Kohle. Was folgt als Nächstes? «Saldo» mit einem Rating der besten Feuerlaufkohlen? Die «Landliebe» zu Besuch bei einem Köhler? Der «Kassensturz» zur Frage, ob die Versicherung für verbrannte Füsse zahlt?

Das schiere Ausmass dieser nicht zu stoppenden No-News-Walze erschliesst sich bei einem Blick ins Archiv. Als 2003 einer Unihockey-Mannschaft beim Feuerlaufen das gleiche Schicksal widerfahren war, erschienen dazu fünf Artikel. Was ist da (schief) gelaufen seither? Die Medienwissenschaftlerin Sarah Genner erklärt das auf Anfrage so: «Im digitalen Journalismus gibt es keinen beschränkten Platz: Jeder Klick zählt für die dringend benötigten Werbeeinnahmen. Das erhöht gerade in Zeiten von Pandemie und Krieg den Anreiz, klickfreudige Soft News zu bewirtschaften.» Haben früher Medien nur im Sommer Nichtereignisse künstlich aufgeblasen, so klafft nun das ganze Jahr über ein Sommerloch.