von Benjamin von Wyl

Das Zentrum ist überall: Mit Gabriel Vetter in Schaffhausen

Der Besuch des Satirikers löst in Schaffhausen eine riesige Resonanz aus, die der MEDIENWOCHE ermöglicht, Lokaljournalismus beim Entstehen zuzuschauen. Ein Spaziergang, ein «Schwank», ein «Fiebertraum», in einer kleinen Stadt «wo ein dä ander kännt».

Bilder: Evelyn Kutschera

Der Morgen beginnt damit, dass einfach Bernhard Ott auf dem Perron steht, als unser Zug einfährt. Während 43 Jahren prägte Ott die «Schaffhauser AZ», unter anderem als Chefredaktor, Verleger und Verwaltungsratspräsident. Ohne ihn gäbe es die Wochenzeitung wohl schon lange nicht mehr. Anfang Jahr ging er in Pension, jetzt steht er am Gleis. Ott hat wenig Lust auf ein Gespräch, aber er ist eine Art Vorbote.

Gabriel Vetter hat eine Stadtführung «wie ein ungeprobtes Stand-up-Programm» angekündigt. Doch es kommt anders. Dass wir in Schaffhausen so viel erleben, ist schon auch Vetters anarchischer Energie zu verdanken. Aber es ist nicht der Satiriker, der die Pointen liefert, sondern die Stadt selbst. An diesem Montagmorgen häufen sich die Zufälle.

Während ihrer Zeit in England habe sie manchmal Dieter Wiesmanns «Bloss e chlini Stadt» gehört, erzählt Fotografin Evelyn Kutschera, als wir das erste Mal über den zentralen Fronwagplatz in der Schaffhauser Altstadt laufen. Vetter erzählt vom «sehr analogen Medium Glühweinstand», der hier im Winter einige Jahre lang die ganze Stadt zusammenbrachte. Dieter Wiesmann besingt im Lied «e chlini Stadt, wo ein dä ander kännt». Man kennt sich nicht nur, wie ich später erlebe, man spricht es auch aus: «Gabriel, Gabriel! Gabriel schau hier!» – «Hallo du, was machst du? Wer bist du?» – «Komm rein!» – «Hier ein Wasserball!»

Vetter ist auf dem Land aufgewachsen, hat in den Dörfern Beggingen und Schleitheim gewohnt. Schaffhausen, der Kanton, das sei wie Frankreich, sagt Vetter. Schaffhausen, die Stadt, sei wie Paris. Alles sei auf die Hauptstadt ausgerichtet. Auf dem Land lese man zwar den «Klettgauer Boten», aber der komme ja nur dreimal pro Woche. Das Entscheidende erfährt man täglich in den «Schaffhauser Nachrichten». Darum komme auch das Klettgau nicht um die «SN» rum.

Wie viel die Region auf sich hält, sieht man in der Werbung, mit der die «Schaffhauser Nachrichten» sich selbst und ihren Horizont bewerben: «Unser Eiffelturm – Unsere Sicht auf die Welt» steht beim Foto eines Ausflugsziels, das Vetter als «Schleitheimer Randenturm» benennt. Schleitheim darf also auch ein bisschen Paris sein, der ganze Kanton ist für die «SN» anscheinend Hauptstadt.

Am Verlagshaus der MEIER + Cie in der Vordergasse ist die aktuelle Ausgabe hinter Glas für alle ausgehängt. Ein Bericht vom Munotball, eine Tour mit der Wasserpolizei. «Das sind die ewigen Themen», sagt Vetter. Früher sass hier nur die Zeitung. Heute hat das Medienunternehmen MEIER + Cie seine Redaktionen gebündelt: «Radio Munot» und das «Schaffhauser Fernsehen» sind ebenfalls hier. Seit 2008 erhält der Fernsehsender keine Bakom-Gelder mehr. Der Kanal, der lokal für die Sendung «Hüt im Gschpröch» und national für «Tele Blocher» bekannt ist, muss seither sparen.

Vetter, der heute in Basel lebt, hat die «Schaffhauser AZ» abonniert. Die SN lese er aber immer, wenn er zu Besuch sei. Zu Schaffhausen gehöre die Zeitung dazu – und sie lande bei kaum wem ungelesen im Altpapier. «Für viele mit SN-Abo ist die Zeitung wie Trinkwasser.» Zwischen Munotball und Wasserpolizei ist ein Artikel über das lokale Craftbeer-Festival: «Nur wenige wollten Biere probieren». Am Bier kann es Vetter festmachen: «Niemand interessiert sich hier für Craftbeer. Hier in Schaffhausen ist doch die Falken-Brauerei, eine der letzten grösseren unabhängigen Brauereien.» So wie die Meier + Cie eines der letzten unabhängigen, mittelgrossen Verlagshäuser ist. Die SN bezieht ihre überregionalen Inhalte zwar von CH Media und das Falkenbier munde nicht – trotzdem! «Falkenbier schmeckt metallisch, es fehlt Kohlensäure, aber: Das ist meine Jugend.»

 

Ein Platzhirsch und seine Herausforderer

Den gut 84’000 Einwohnerinnen und Einwohnern des Kantons Schaffhausen steht ein erstaunlich breites und vielfältiges Angebot unabhängiger Lokalmedien zur Auswahl. Platzhirsch sind die Medien des Unternehmens Meier + Cie. mit dem Flaggschiff «Schaffhauser Nachrichten». Die Tageszeitung existiert als «Intelligenzblatt» seit 1861 und erreicht heute gemäss aktuellen Wemf-Zahlen 40’000 Leserinnen und Leser. Weiter hält Meier Mehrheitsanteile am konzessionierten «Radio Munot» und dem konzessionsfreien «Schaffhauser Fernsehen». «Munot» bringt tagsüber alle halbe Stunden Nachrichten, der TV-Sender produziert täglich eine Stunde News und Talk («Hüt im Gschpröch»). Zum Meier-Verlag gehören auch drei Lokalzeitungen, die im ländlichen Teil des Kantons erscheinen.

Zu den Meier-Medien gibt es starke Gegenstimmen. Mit der «Schaffhauser AZ» seit über hundert Jahren. In den Wochen nach dem Landesstreik 1918 als sozialdemokratische Tageszeitung gegründet, erscheint die «Schaffhauser AZ» heute wöchentlich und hält sich nach schwächeren Phasen inzwischen stabil im Markt. Am Leben hält das Blatt der preisgekrönte Journalismus. Seit ein paar Jahren schafft es die AZ immer wieder, nationale oder gar internationale Vorgänge auf die Verhältnisse in und um Schaffhausen herunterzubrechen und so verständlich zu machen.

Die Vielfalt wird abgerundet durch zwei Medien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der «Schaffhauser Bock» gehört mittlerweile dem Unternehmer, emeritierten Professor und Handball-Mäzen Giorgio Behr. Neben der gedruckten Ausgabe betreibt der «Bock» das Nachrichtenportal «schaffhausen24.ch». Beide Medien informieren umfassend und gratis über die Region, online oft mit der Publikation von Medienmitteilungen von Behörden und Vereinen.

Und schliesslich noch «Radio Rasa» Schaffhausen. Der nicht-kommerziell ausgerichtete Sender ist das kleinste der neun Komplementärradios, die es in allen grösseren Städten des Schweizer Mittellands gibt. «Rasa» versteht sich als Hörer:innen-Radio; wer zuhört, kann auch selbst Radio machen. Über 50 Leute tun das in Schaffhausen und bieten so ein Programm mit Sendungen von A wie «Aquì Suìza» (in Spanisch) bis Z wie «Zeitzeichen».

Nick Lüthi

Vetter kommt aus einer Journalist:innenfamilie: Mutter, Vater, Onkel. Seine Mutter war die erste Frau in der «AZ»-Redaktion und arbeitete später viele Jahre für den «Schaffhauser Bock». Als Zwölfjähriger schrieb Vetter Berichte aus dem Pfadilager, etwa für den «Klettgauer Boten». Doch er lebt eben schon lange nicht mehr in der Region: Seine letzten Falkenbiere hat er in einem Basler Denner gekauft. «Aus Nostalgie und weil es Aktion war.» Vetter ist kein Lokaler mehr – ist also Schaffhausen deshalb aus dem Häuschen, weil der weggezogene Sohn wieder hier ist?

Vielleicht drei Minuten stehen wir vor dem Aushang bei der Meier + Cie. Da kommt Vetters Lieblingsweinhändler, der ihn nach zwei, drei Sätzen fragt, ob er später bei einem Apéro im Service aushelfen könne. Kaum ist er weg, kommt die nächste Person. «Hallo, ich bin von der SN.» Die Journalistin hat ihren ersten Tag auf der Redaktion. Der Chef habe den Gabriel erspäht und sie rausgeschickt. «Was machst du genau in Schaffhausen? Bist du zurück aus Norwegen?»

Vetter lebt schon eine Weile nicht mehr in Norwegen, doch als das geklärt ist, interessiert sich die Journalistin weiter für ihn. Auch, dass wir einen Medienspaziergang machen, dass also die SN unser Inhalt ist, schreckt sie nicht ab. Wir warten, während die Journalistin drinnen abklärt, ob sie uns begleiten darf. So was sei typisch, sagt Vetter: «Wenn im ‹Tages-Anzeiger› was über Schaffhausen steht, steht am nächsten Tag in den Schaffhauser Nachrichten, dass am Vortag im ‹Tages-Anzeiger› was über Schaffhausen stand.»

Andere verlassen Schaffhausen Richtung «Tages-Anzeiger», so wie der heutige «Magazin»-Journalist Christoph Lenz. Er, aber auch die feministische Autorin Anna Rosenwasser, CH Media-Bundeshaus-Co-Chefin Doris Kleck, die Literaten Andri Beyeler, Lukas Linder und einige, an deren Namen sich Vetter nicht sofort erinnert: «Allesamt sind sie irgendwann weg, allesamt haben sie hier begonnen.» Beim «Express», dem Ausgangsmagazin, das der SN bis vor einigen Jahren am Donnerstag beilag. «Das war der Ort, wo du dich probieren konntest. Der Ort für lange Reportagen, 15’000 Zeichen!» Diese fanden auch viele Leser:innen, denn wenn man wissen wollte, was im Kino oder im «Taptab» läuft, gab es zum «Express» keine Alternative.

Die SN-Journalistin ist zurück. Sie dürfe nicht mitkommen. Ja, leider. «Aber dann kommen wir doch rein», sagt Vetter. Es geht nun alles sehr schnell. Am Empfang kennt man den Gabriel. «Geht’s gut? Wir machen hier einen Medienspaziergang. Ist denn gerade Redaktionssitzung irgendwo?» Fotografin, Vetter und ich folgen der SN-Journalistin durch die Gänge. Am Ende des Ganges ein grosser Raum. Fragende Gesichter. «Sali Gabriel», sagt Chefredaktor Robin Blanck. «Hallo Robin, grüezi mitenand!» «Jetzt bist du in unserer Redaktionssitzung gelandet.» «Das ist gut. Wir machen eben einen Medienspaziergang durch Schaffhausen.» Komische Stille, leichtes Unwohlsein, kein Groll. Was sollen wir hier? Die müssen arbeiten. Nach drei Sekunden drehen wir wieder um. Im Rausgehen sagt uns die Journalistin: «Wahrscheinlich kommt ihr im Format ‹Sachen … Sächeli›.» Der Beitrag ist noch nicht erschienen.

Robin Blanck selbst startete ebenfalls beim «Express», sagt Vetter. «Die SN verstanden es immer sehr gut, eigene Leute aufzubauen», erzählt Vetter wieder auf der Vordergasse. Bis zu seinem Tod 2015 prägte Norbert Neininger den Meier-Verlag und mit ihm den ganzen Medienplatz Schaffhausen. Er war Erfinder von «Tele Blocher», aber auch Initiator der ersten italienischsprachigen Radiosendung in Schaffhausen, einem Industriekanton mit grosser italienischer Community. Neininger galt als Patron im besten Sinn – als fördernder Kümmerer oder kümmernder Förderer. Der Chefredaktor und Verleger sei etwa bekümmert gewesen, dass die Journalist:innen ihr Studium abschlossen, wenn sie eines begonnen hatten. Reihenweise seien sie auch nach Luzern ans MAZ geschickt worden. Wie es heute ist, weiss Vetter nicht. Klar ist, dass heute die Meier + Cie keine Einzelperson so umfassend prägt, wie es jahrzehntelang Neininger getan hatte.

Als nächstes geht es zum «Haus zur Fortuna». Hier lässt der «HD-Soldat Läppli» im gleichnamigen Filmklassiker zu, dass die Katze den Kanarienvogel des Offiziers frisst. Vetter kennt den Text auswendig, doch Schaffhausen unterbricht die Nachstellung der Szene: Vom Büro im obersten Stock des Hauses gegenüber wirft ein Herr mit aufblasbaren Wasserbällen. Warum, wird nicht ganz klar – der Gabriel soll einfach einen haben. Unten auf der Strasse geht es so weiter: «Ah, da ist ja der Gabriel Vetter, ja hoi!»

Unterstützen Sie unabhängigen und kritischen Medienjournalismus. Werden Sie jetzt Gönner/in.

Journalismus braucht Herzblut, Zeit – und Geld. Mit einem Gönner-Abo helfen Sie, unseren unabhängigen Medienjournalismus nachhaltig zu finanzieren. Ihr Beitrag fliesst ausschliesslich in die redaktionelle und journalistische Arbeit der MEDIENWOCHE.

[rml_read_more]

Als wir die Bachstrasse überqueren, muss ein Traktor am Fussgängerstreifen warten. Vetter will in der Unterstadt «Sweet Schaffhausen» zeigen. Der Süssigkeitenladen zieht Jugendliche aus der ganzen Deutschschweiz, aus der Romandie und Deutschland an, seit er zum Tiktok-Phänomen geworden ist – zuvor hätte er fast schliessen müssen. In der Unterstadt hat es keine Passant:innen. Es beginnt eine ruhige halbe Stunde. Einige hundert Meter weiter oben an der Bachstrasse ist das Haus, in dessen Keller einst zwei Ska-Bands ihre Proberäume hatten. In denen ist der jugendliche Gabriel Vetter verhockt. In den oberen Stockwerken hatte damals das «Schaffhauser Fernsehen» seine Redaktion – bevor der Bakom-Geldhahn schloss. Zuletzt war das Objekt aber als Recherchegegenstand relevant: Hier befindet sich der Sitz von Walmart, hier ist «der grösste Konzern der Welt in einem Schaffhauser Briefkasten», wie es in der Gonzo-Recherche von Kevin Brühlmann heisst. Mit dem Artikel gewann dieser 2018 den «Schweizer Reporter:innenpreis» für die «Schaffhauser AZ». Es war der allererste «Reporter:innenpreis» und die erste Anerkennung für die neue AZ.

Die Wochenzeitung erreicht heute eine verkaufte Auflage von 2520 Exemplaren. Die SN geht Tag für Tag in über 15’000 Haushalte. Doch in der Deutschschweizer Journalismus-Szene ist die AZ wohl bekannter. Weil sie überlebt hat: neben dem Stadtzürcher «P.S.» als letztes Blatt der einst beinahe flächendeckenden sozialdemokratischen Zeitungsfamilie. Aber auch, weil die Walmart-Recherche nur die erste von einigen preisgekrönten Beiträgen der jungen Redaktion war. Zuletzt bekam dieses Jahr Mattias Greuter mit einer Recherche über ein Pflegeheim mit «mieser» Hygiene und schlechten Arbeitsbedingungen einen «Swiss Press Award» und den Titel «Swiss Press Journalist of the Year».

Bei den Briefkästen der Briefkastenfirmen bleiben wir nicht lange, wir spazieren Richtung AZ-Redaktion weiter. Vetter kennt noch andere Heimweh-Schaffhauser:innen, die die AZ lesen. Nachdem das «Express» eingegangen ist, habe sich die AZ zu jenem Medium entwickelt, wo ambitionierte junge Journalist:innen in Schaffhausen hingehen. «Lustigerweise nachdem die AL-Postille das SP-Blatt übernommen hat.» Die «AL-Postille»? Knapp 20 Jahre lang, bis zu ihrer Auflösung vor wenigen Monaten, mischte die Alternative Liste die kantonale Schaffhauser Politik auf. Die heutige AZ-Redaktion kommt aus dem Umfeld des Satiremagazins «Lappi tue d’Augen uf». Seit 2016 prägen die Macher:innen dieser «AL-Postille» die «Schaffhauser AZ». Seither konnte die AZ ihre Abos um 40 Prozent steigern. «Sie haben viel über Themen geschrieben, die einfach da waren», sagt Vetter. Themen, über die die «SN» schlecht berichten konnte, «weil sie halt auch über jedes Turnerkränzchen in Ramsen berichten muss.»

Der Wettbewerb zwischen den beiden Zeitungen sei heute gut austariert. «Die AZ schafft es, Recherchen zu machen, auf die die SN reagieren muss. Die SN schreibt dann vielleicht, die AZ bringe Bullshit, aber die Wechselwirkung tut allen gut.» Wir sind nun in der Webergasse. Hier ist die «Fassbeiz», wo Vetter bis heute die meisten Interviews seines Lebens gegeben habe, die legendär-unabhängige Buchhandlung «BücherFass» und eben die AZ-Redaktion. In der leeren Halle unter der Redaktion wird Kunst ausgestellt. Noch bis Anfang Jahr standen hier die Maschinen der Unionsdruckerei, die nun mit einer anderen Schaffhauser Druckerei fusioniert ist.

«Hey! Hallo! Sali! Hoi! Schaffhausen ist zwar protestantisch, aber die Leute haben diese Grundbesoffenheit wie in Köln», sagt Vetter. Du kommst hierhin und einer macht das Fenster auf und schmeisst dir einen Wasserball an. Die Läden in der Webergasse sind noch zu, es ist sehr still.

Denkste! Wir stehen an der Ecke Webergasse/Vorstadt, vor uns wieder der Fronwagplatz. «Hoi Gabriel, Gabriel, wie hast du meine Doku gefunden, also die Doku, die sie über mich gemacht haben?» Beat Hochheuser hält das Smartphone quer vor sich und startet den 30-minütigen Film ohne Umschweife. «Er ist einer der wohl aussergewöhnlichsten Unternehmer der Schweiz», sagt ein Offsprecher. Der Hochheuser kann aber nicht still sein, während der Hochheuser im Film von seinen Unternehmen erzählt. «Ich labere zwischen drin und dann kommen Filmsequenzen dazwischen.» Die Doku ist eine Publireportage; ihr Protagonist trifft Gabriel Vetter und will nichts lieber, als dass dieser sie schaut. Der Protagonist hat mehrere Unternehmen gegründet, mit einem Computer-Versandhandel und dem Nachfüllen von Tintenpatronen ein Vermögen gemacht. Seit Jahrzehnten pflegt Hochheuser auch den Blog «Schaffhausen.net». Vetter sagt, das sei lange Zeit das einzige lokale Onlineportal gewesen. «Ah, Rechtsanwalt bin ich auch», sagt Hochheuser, drückt mir eine Visitenkarte in die Hand. «Ich muss jetzt zu einer Klientin.» Davor will er aber noch ein Selfie machen.

Wir gehen ein paar Schritte, aber es sind wirklich nur ein paar Schritte. «Ich fühle mich wie in einem Schwank», sagt Vetter, als er die Dreiergruppe sieht, die uns nun entgegenkommt. Auf dem Liegestuhl, den sie dabeihaben, prangt der Schriftzug «Schaffhauser Nachrichten». «Wir machen eine Strassenumfrage», sagt Reporterin Jurga Wüger. Vetter, der weggezogene Sohn, nimmt im «SN-Klappstuhl» Platz und beantwortet vor der Videokamera Fragen, viele Fragen. Solche, zu seinem «peinlichsten Moment» und dem «besten Ort für ein erstes Date».

«Rheinfall oder Stein am Rhein?» – «Stein am Rhein ganz klar, der Rheinfall kann einpacken.» Als der Fragenkatalog durch ist, braucht es noch einen Vorstellungssatz. Wüger schlägt vor: «Sag ‹Ich bin der Gabriel und liebe das Abenteuer›.» Aber ist das nicht zu kompliziert? «Ich bin der Gabriel und… was er auch für das Intro sagen will. Hier ist rollende Planung», sagt sie dann.

«Ich bin Gabriel, ich wohne in Basel und ich bin zum Glace essen in Schaffhausen.» Alles im Kasten. «Das ist jetzt eben der Regionaljournalismus», sagt Vetter. Fotografin Evelyn Kutschera nimmt als nächstes auf dem Klappstuhl Platz. Die MEDIENWOCHE bringt den «Schaffhauser Nachrichten» die ersten Protagonist:innen. Bis Mittwoch werden Wüger und das Videoteam 30 weitere Interviews führen. Chapeau für die Ausdauer! Wüger arbeitet seit zwei Jahren bei der «SN». Zuvor war sie zehn Jahre beim «Bock».

Zum «Schaffhauser Bock» müssen wir unbedingt noch. Der Gratis-Anzeiger mit einer Auflage von knapp 50’000 Exemplaren hat sich im «Haus der Wirtschaft» eingemietet. Dort hat auch die Industrie-Vereinigung Schaffhausen ihren Sitz. Deren Präsident ist Professor Dr. Giorgio Behr. Weiter ist Behr unter anderem Präsident des Handballclubs Kadetten Schaffhausen und die Kadetten Schaffhausen haben ihren Fanshop in den Räumen des «Schaffhauser Bock». Der «Bock» wird «zu 100 Prozent durch den Unternehmer und emeritierten Wirtschaftsprofessor Giorgio Behr kontrolliert», heisst es im auffallend positiven Wikipedia-Artikel, den ein Nutzer mit der Bio «Journalist in Schaffhausen» verfasst hat.

Vetter klingelt beim «Bock». Ein Verkaufsmitarbeiter öffnet die Tür in der Glasfront. Der freundliche Herr zeigt uns die Lokalität, den «grössten Bildschirm im Kanton» für Public Viewings, Plüsch-«Böcklein», das Merchandise der Kadetten Schaffhausen. Aber Handball habe keine spezielle Position in der Berichterstattung des Gratis-Anzeigers. «Wir berichten breit, von Wasserball bis Flamenco», erklärt er. Der «Bock» setze immer «die Menschen in den Mittelpunkt», fasst der Verkaufsmitarbeiter die journalistische Linie zusammen. Ich frage, ob er vielleicht was über Gabriel machen möchte, wenn er schon mal hier ist. Der Verkaufsmitarbeiter wirkt verwirrt. «Du kannst gerne das Format Bock Heimat ausfüllen. Das sind so verschiedene Fragen, warum man noch in Schaffhausen lebt.» – «Ich wohne eben gar nicht mehr in Schaffhausen. Aber ich mach das imfall schon.» «Wenn du nicht mehr in Schaffhausen wohnst, ist es vielleicht ein wenig … jooo.» Der «Bock»-Mitarbeiter hat uns eingelassen, sich Zeit genommen und uns alles gezeigt. Aber er hatte dabei keine Ahnung, wer wir sind. Das ist Vertrauen. Das ist auch das Kontrastprogramm zur SN, wo die Journalist:innen auf Gabriel Vetter reagieren wie Insekten auf Glühbirnen.

Als ihm der SN-Klappstuhl entgegengekommen ist, sprach Vetter noch von einem «Schwank». Am Ende des Spaziergangs nennt er den Morgen «einen Fiebertraum». Doch der pink-weisse Wasserball ist der Beweis: Das alles ist wirklich passiert. Anfang Juli geht das Video bei der SN online, und ja, eventuell kommt ja noch ein Beitrag in «Sache … Sächeli».