von Herwig G. Höller

Die Regenbogenfarben auf Putins Gesicht passen «wie die Faust aufs Auge»

Wenn die russische Botschaft in Bern die NZZ kritisiert, dann will sie damit auch die Vorgesetzten in Moskau beeindrucken.

Ein Brief der russischen Botschaft in Bern an den Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, illustrierte dieser Tage nicht nur eine problematische Auffassung von Pressefreiheit. Das Protestschreiben wegen einer aus Sicht der Botschaft missliebigen Putin-Abbildung in der NZZ unterstreicht auch eine aktuelle Tendenz in der russischen Diplomatie: Die Medienarbeit der russischen Auslandsvertretungen zielt immer weniger darauf ab, die öffentliche Meinung im jeweiligen Gastland beeinflussen.

Die russische Botschaft in Bern war bereits in den vergangenen Jahren mit Kritik an Schweizer Medien einschlägig aufgefallen, 2021 wiederholt am «Tages-Anzeiger», in diesem Jahr mehrfach an der NZZ. Mit dem aktuellen Schreiben hat dieses Vorgehen eine neue Qualität erreicht: Man behalte sich vor, einen Artikel sowie mögliche künftige verleumderische und beleidigende Publikationen hinsichtlich der russischen Staatsführung in der NZZ wegen übler Nachrede und Verleumdung bei schweizerischen Strafbehörden anzuzeigen. Die Botschaft veröffentlichte das Schreiben im russischen Original und in deutscher Übersetzung auf ihrer Website.

Stein des Anstosses war die Abbildung einer Fotomontage gewesen, die den russischen Präsidenten mit Regenbogenfarben-Gesichtsbemalung und Clownnase zeigt. In ihrem NZZ-Beitrag hatte die von der russischer Botschaft als «wenig bekannte junge Journalistin» charakterisierte Autorin über die Bedeutung von Internet-Memes, darunter das betreffende Putin-Sujet, im ukrainischen Abwehrkampf gegen Russland geschrieben.

Bereits heute figuriert das gerichtlich verbotene Putin-Porträt im russischen Verzeichnis extremistischer Materialien.

Beim von der NZZ veröffentlichten Bild handelt es sich um eine Variante einer seit 2013 verbreiteten Putin-Photoshop-Bearbeitung (einfach ohne Clownnase), die 2016 ein Gericht als «extremistisch» verboten hat und in Russland nicht mehr veröffentlicht werden darf. Es ist wahrscheinlich, dass Behörden in Russland auch die in der NZZ gezeigte Variante ähnlich klassifizieren würden und russischen Medien bei einer Veröffentlichung massive Probleme drohen dürften. Sollte zudem, wie zu erwarten ist, die Staatsduma ein am 18. Juli 2022 eingebrachtes Gesetzesprojekt verabschieden, wäre die Verbreitung des Sujets illegal. Einflussreiche Duma-Abgeordnete wollen Propaganda für «nichttraditionelle sexuelle Orientierungen» generell verbieten lassen; damit sind auch die Regenbogenfarben gemeint, wie sie das Putin-Porträt in der NZZ zierten.

Bereits heute figuriert das gerichtlich verbotene Putin-Porträt im russischen Verzeichnis extremistischer Materialien als «Plakat mit der Darstellung eines Menschen, der dem Präsidenten der Russischen Föderation W. W. Putin ähnlich sieht, dessen Gesicht geschminkt ist, mit betonten Augenbrauen und Lippen, was nach dem Hintergedanken des oder der Autoren eine Andeutung auf eine angebliche nicht traditionelle sexuelle Orientierung des Präsidenten der Russischen Föderation sein soll». Wegen des Verbots kam es auch schon zu Verurteilungen.

Im Zuge der zunehmenden Konfrontation Russlands mit dem Westen und dem Krieg gegen die Ukraine betrachtet der Kreml die russische Aussenpolitik vermehrt als Instrument der Inlandpropaganda.

So wurde am 6. April 2016 in der russischen Stadt Twer ein gewisser Aleksandr Zwetkow, der sich gemäss einem Medienbericht für historische Maskeraden interessieren soll, für die Internet-Publikation des geschminkten Putins von einem Bezirksgericht wegen «Schürens von Hass oder Feindschaft» verurteilt und anstelle einer Freiheitsstrafe zwangspsychiatriert. Über das weitere Schicksal von Zwetkow ist nichts bekannt. Zwar ist eine genaue Bewertung der Causa ohne Aktenkenntnis nur schwer möglich, sie erinnerte jedoch fatal an den politischen Missbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion. Doch gemäss dem geltenden russischen Extremismusgesetz von 2002 dürfte der geschminkte Putin gar nicht als «extremistisch» eingestuft werden: «Dieses Bild entspricht keinem einzigen Punkt der Definition von Extremismus», erklärte der auf diese Fragen spezialisierte Aleksandr Werchowski von der russischen NGO Sowa auf Anfrage der MEDIENWOCHE.

Im Zuge der zunehmenden Konfrontation Russlands mit dem Westen und dem Krieg gegen die Ukraine betrachtet der Kreml die russische Aussenpolitik vermehrt als Instrument der Inlandpropaganda. Marija Sacharowa, die Sprecherin des Aussenministeriums, agierte zuletzt mehr wie die Vertreterin eines Propagandaministeriums – das es so nicht gibt. So trat Sacharowa am 18. März 2022 prominent bei einer Demonstration im Moskauer Luschniki-Stadion auf, bei der handverlesene Anhängerinnen und Anhänger von Wladimir Putin ihre Unterstützung für die «Militärische Spezialoperation» gegen die Ukraine beschworen.

Als «Fakes» wertet das Aussenministerium vor allem Informationen, die offiziellen russischen Erklärungen widersprechen.

Einer der Schwerpunkte von Sacharowas Pressearbeit besteht in der Kritik von internationalen Medienberichten. Sie selbst positionierte sich als führende Kämpferin gegen «Fake News»: Die Website des Aussenministeriums führt seit 2017 eine Rubrik mit aktuell 184 «inkorrekten Publikationen». Als «Fakes» werden dabei vor allem Informationen gewertet, die offiziellen russischen Erklärungen widersprechen.

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Der von Sacharowa eingeschlagene Kurs des Aussenministeriums setzt sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit von Russlands Botschaften allmählich durch, wie die regelmässigen Protestschreiben der Gesandtschaft an Schweizer Redaktionen zeigt. Mit ihrer zunehmenden Medienkritik folgen die russischen Botschaften Sacharowas Vorbild aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene – sie versuchen auch rhetorisch an der Heimatfront zu punkten. Denn anders wäre es kaum zu erklären, warum der Pressedienst der russischen Botschaft in Bern seinen Brief im russischen Original mit Redewendungen spickt, deren holprige Übersetzung ins Deutsche befremdlich wirkt und ausserhalb Russlands bei genauer Lektüre für Kopfschütteln sorgt.

Dies gilt etwa für den Satz: «Wir sind gezwungen, festzustellen, dass Ihre Zeitung Aufsätze verschiedenartiger Autoren veröffentlicht, die ihre Erfindungen und Beschimpfungen hinsichtlich der Staatsführung Russlands knallhart und unbestraft verbreiten». Während die «knallharte Verbreitung» in der deutschen Übersetzung einen ratlos zurücklässt, ist im russischen Original zumindest der Versuch zu erkennen, eine angriffige Bürokratensprache mit einer Prise von sowjetischem Pathos zu imitieren. Die Vorgesetzten in Moskau würden dann wissen, dass die Kollegen in Bern es der NZZ mal so richtig gezeigt haben.

Die russische Botschaft war sich offenbar nicht bewusst, dass die Redewendung «passt wie die Faust aufs Auge» im aktuellen Sprachgebrauch bedeutet, dass etwas wunderbar zusammenpasst.

Der Brief an die NZZ zeigt auch die Schwierigkeit der wörtlichen Übersetzung aus dem Russischen: Im russischen Original möchte der Pressedienst rhetorisch mit einer Phrase punkten und erklärt, dass Regenbogenfarben auf dem Gesicht Putins «weder ins Dorf, noch in die Stadt» passten, als äusserst unpassend oder unangebracht sind. In Klammern steht daneben «…wie die Faust aufs Auge passt». Dabei war sich die Botschaft offenbar nicht bewusst, dass die deutsche Redewendung im aktuellen Sprachgebrauch bedeutet, dass etwas wunderbar zusammenpasst. Die Kombination mit dem Regenbogen auf Putins Gesicht und dem Farbenspiel eines Blutergusses sorgt dabei allemal für einen komischen Effekt. Würde man sich ernsthaft an ein deutschsprachiges Publikum wenden wollen und es zu beeindrucken versuchen, wäre die Verwendung von schwer übersetzbaren russischen Redewendungen zusammen mit offensichtlichen Übersetzungsmängeln ein absolutes No-Go.