von Konrad Weber

Causa Schlesinger: Wenn die Kontrolle versagt

Machtmissbrauch und Mittelverschwendung: Der Skandal um die abberufene Intendantin des Rundfunk Berlin Brandenburg rbb stürzt die gesamte ARD in tiefe Erklärungsnot. Wie konnte es dazu kommen und wäre ein solcher Fall auch bei der SRG möglich? Fünf Fragen und fünf Antworten.

Ein luxuriöser Dienstwagen mit Massagesitzen, eine Gehaltserhöhung um 16 Prozent mit zusätzlich variablem Anteil, lukrative Aufträge für ihren Ehemann, beruflich abgerechnete Essen in der Privatwohnung, teure Umbauten in der Chefetage: Die Liste der Vorwürfe gegen die ehemalige Intendantin des Rundfunk Berlin Brandenburg rbb und ARD-Vorsitzende, Patricia Schlesinger, ist lang. Juristisch sind die Folgen noch nicht geklärt, moralisch haben sie aber schon jetzt eine grosse Tragweite.

Wie wurde der Fall publik?

Ins Rollen gebracht hatte die Affäre das Springer-Portal «Business Insider» Ende Juni. Und zwar per Zufall. Im Zusammenhang mit einem Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tauchte ein dubioser Beratungsvertrag für ein Mediencoaching des Ehemanns von Patricia Schlesinger auf. Dadurch wurde das Dreiecksverhältnis erkennbar zwischen der rbb-Intendantin, ihrem Ehemann und Wolf-Dieter Wolf, dem ehemaligen Aufsichtsratschefs des rbb und der Berliner Messe.

Dass die Recherche den rbb und eigentlich auch den gesamten öffentlichen-rechtlichen Rundfunk in Deutschland in diesem Masse erschüttern würde, damit habe er nicht gerechnet, erklärte der «Business Insider»-Chefredaktor, Kayhan Özgenç. Entscheidend dazu beigetragen hat sicherlich auch das katastrophale Krisenmanagement von Patricia Schlesinger: Anfangs beschimpfte sie die Springer-Journalist:innen und verdächtigte ihre eigenen Mitarbeiter:innen, Informationen nach aussen zu geben. Später ist sie einer Vorladung im Brandenburger Landtag ferngeblieben und hat stattdessen Interviews in der Presse gegeben.

Danach ging alles ziemlich schnell: Man kann davon ausgehen, dass Patricia Schlesinger innerhalb der ARD nahegelegt wurde, vom ARD-Vorsitz zurückzutreten. In derselben Woche legte sie selbst ihr Amt als rbb-Intendantin nieder, ohne aber offiziell zurückzutreten. Allerdings mit dem Verweis darauf, dass die «persönliche[n] Anwürfe und Diffamierungen ein Ausmass angenommen [haben], das es mir auch persönlich unmöglich macht, das Amt weiter auszuüben». Einige Tage später trat auch der rbb-Verwaltungsratsvorsitzende, Wolf-Dieter Wolf, von seinem Amt zurück.

Wie konnte es soweit kommen?

Im Auftrag der Compliance-Beauftragten, der Revision und des Verwaltungsrats des rbb wurde zur unabhängigen Beantwortung dieser Frage zunächst eine Anwaltskanzlei eingesetzt und eine Whistleblower-Stelle eingerichtet. Zur Unterstreichung des eigenen Willens, die Affäre aufarbeiten zu wollen, gründete die rbb-Chefredaktion ein internes Rechercheteam.

Doch längst sind die Vorwürfe auch Gegenstand einer öffentlichen Untersuchung: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat aufgrund «herausragender Bedeutung» des Falls die Ermittlungen gegen Patricia Schlesinger, ihren Ehemann und den abgetretenen Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf an sich gezogen – wegen des Anfangsverdachts der Untreue und Vorteilsannahme. Unterdessen wurden auch elektronische Akten und Mail-Postfächer gesichert.

Am 15. August folgte dann der bisher letzte offizielle Schritt: In einer fünfstündigen Sondersitzung entscheidet der rbb-Rundfunkrat, Patricia Schlesinger mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt als Intendantin abzuberufen. Es ist das stärkste Signal, welches der Rundfunkrat selbst setzen kann. Über eine mögliche Abgangsentschädigung und Pensionszahlungen will der Verwaltungsrat «zeitnah» befinden.

Wie reagiert die Ex-Intendantin?

Zum grossen Erstaunen Vieler tauchte Patricia Schlesinger zu besagter Rundfunkratssitzung am 15. August auf und gab laut Manuskript eine Erklärung ab: «Vieles war im Täglichen für mich selbstverständlich geworden. Zu selbstverständlich. Ich habe manches übersehen, auch und gerade den Unmut der Mitarbeitenden. Das tut mir unendlich leid – professionell wie menschlich.»

In ihrer Rede entschuldigt sich die Ex-Intendantin zwar bei der Belegschaft, nicht aber bei den Gebührenzahler:innen. Und so bleibt denn auch der fahle Nachgeschmack, der seit langem von Kritiker:innen des öffentlich-rechtlichen Mediensystems geäussert wird: Da herrschte ein in sich geschlossener Machtapparat, der sich über Jahre selbst kontrollierte, beim Personal und Programm sparte und sich gleichzeitig selbst bereicherte.

Welche Folgen hat das für die ARD?

Längst handelt es sich hierbei nicht mehr nur um einen rbb-Skandal. Vielmehr ist mittlerweile die ganze ARD in Bedrängnis geraten. Oder wie es der WDR-Intendant Tom Buhrow, der nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger den ARD-Vorsitz interimsmässig übernommen hat, formuliert: «Diese Krise berührt auch die ARD – der rbb ist schliesslich ein Mitglied der ARD.»

Lückenlose und transparente Aufklärung wird versprochen. Doch die Problematik liegt tiefer im System begraben, angefangen bei den Kontrollorganen der öffentlich-rechtlichen Sender: Die Rundfunkräte überwachen als oberstes zuständiges Aufsichtsgremium die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrags. Dabei handelt es sich um ehrenamtliche Laien-Gremien, bestehend aus Abgesandten von Gewerkschaften, Frauenverbänden, Kirchen, Parteien und weiteren offiziellen Institutionen.

Eine aktuelle Untersuchung der Neuen Deutschen Medienmacher:innen, einer Nichtregierungsorganisation für Medienschaffende mit und ohne Migrationsgeschichte, zeigt, dass die 542 Personen in den 12 Rundfunkräten aber bei weitem nicht dem ursprünglichen Anspruch gerecht werden, die Vielfalt der Gesellschaft zu repräsentieren. Unter anderem überwachen mehr über 80-Jährige das öffentlich-rechtliche Programm als unter 30-Jährige. Von der anteilsmässigen Repräsentation der Menschen mit Migrationshintergrund oder den Personen mit einer Behinderung ganz zu schweigen.

Viele der Mitglieder haben bereits in der Vergangenheit eingeräumt, zum Teil von der komplexen Materie (Genehmigung der Budgets, Einschätzungen zu Programmfragen, Entscheide über Bau- und Vergaberecht, Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates, …) überfordert zu sein. Die Forderung, diese Gremien zu professionalisieren, ist nicht neu und tauchte bereits vor über zehn Jahren auf. Geschehen ist seither aber nichts.

Nebst den Rundfunkräten verfügen sämtliche öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auch über je einen Verwaltungsrat, der vom Rundfunkrat gewählt wird. Diese Verwaltungsräte sind für die Kontrolle der Budgets und Finanzabschlüsse der Rundfunkanstalten sowie die Geschäftsführung des Intendanten verantwortlich. In den vergangenen Jahren haben sich hier aber die Aufgabenprofile immer stärker vermischt – und sollen in Zukunft mit Blick auf die Themen Qualitätsstandards und Kostencontrolling weiter ausgebaut werden.

Die Verantwortlichkeiten der Gremien stärker voneinander zu trennen, könnte einer der Wege aus der Sackgasse sein: Auf der einen Seite überwacht der Verwaltungsrat als unabhängiges Kontrollgremium gestärkt mit Expertise und entsprechender Entlöhnung die strategischen, organisatorischen und finanziellen Entscheide. Auf der anderen Seite entwickelt der Rundfunkrat stärker in einen wirklich staatsfernen Publikumsrat mit echter gesellschaftlicher Repräsentation weiter.

Doch mit einer Reform der Kontrollgremien ist es nicht erledigt. Nebst anderen Baustellen bräuchte es vielmehr standardisierte Transparenz für sämtliche Unternehmens- und Finanzentscheide in den öffentlich-rechtlichen Medienhäusern. Denn die Bürger:innen sind nicht einfach nur Publikum, sondern vielmehr Auftraggeber:innen und durch ihre Rundfunkabgabe auch Teilhaber:innen der öffentlich-rechtlichen Sender. Zudem muss ganz dringend an der Arbeitskultur in den Medienhäusern gearbeitet werden: Der Anspruch auf Unfehlbarkeit, hierarchisches Denken und starre Strukturen prägen noch immer die DNA dieser Institutionen.

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Vieles, was nun durch den rbb-Skandal in Deutschland ans Licht kommt, wäre so in der Schweiz kaum denkbar. Das liegt insbesondere an den transparenteren Strukturen der SRG und ihrer breiteren Abstützung in der Gesellschaft. Da die SRG als Verein organisiert ist, steht eine Mitgliedschaft und somit aktive Teilhabe und Mitsprache allen Interessierten Bürger:innen des Landes offen. Die regional organisierten Trägerschäftsvereinee und -genossenschaften zählen heute 23’000 Mitglieder.

Das Schweizer Pendant zu den Rundfunkräten in Deutschland ist die Delegiertenversammlung der SRG. Als oberstes Vereinsorgan genehmigt das Gremium die Anträge des Verwaltungsrates. Anders als in Deutschland wird die Delegiertenversammlung nicht durch Funktionäre aus Parteien bestückt, sondern mit Vereinsmitgliedern aus den verschiedenen Sprachregionen.

Mit Blick auf die Kontrollorgane gibt es aber auch hierzulande einige Baustellen, die zum Teil schon seit Jahren benannt werden. Jüngst kritisierte die Eidgenössische Finanzkontrolle EFK das Bundesamt für Kommunikation Bakom für seine zu lasche Finanzaufsicht der SRG. Das Bakom beschränke sich darauf, sich «ein Gesamtbild über die Finanzlage der SRG» zu bilden.

Die Finanzkontrolle empfiehlt stattdessen, Prozesse und Instrumente der SRG fokussierter zu untersuchen, sowie umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen. Das Bakom argumentierte bisher stets gegen solche zusätzliche Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit dem Verweis auf die publizistische Unabhängigkeit der SRG.

In punkto staatlicher und parteipolitischer Unabhängigkeit stand auch der SRG-Verwaltungsrat immer wieder im Brennpunkt. Vor allem die historische Macht der Mitte-Partei (vormals CVP) im Gremium führte immer wieder zu Diskussionen. Zugute halten kann man dem Schweizer System, dass nach der Amtszeit von Generaldirektor Roger de Weck bei Neurekrutierungen im Verwaltungsrat stärker auf die fachliche Eignung und weniger auf das Parteibuch geachtet wird. Das Kontrollorgan wurde so gegenüber der SRG-Geschäftsleitung gestärkt.

Die Verwaltungsratsmitglieder arbeiten sich heute tiefer in die Materie ein und setzen sich in thematisch organisierten Ausschüssen eingehender mit den zu beaufsichtigenden Strukturen auseinander. Das führt zu mehr Nachfragen und kritischeren Debatten – durchaus im öffentlichen Interesse.

Die Kritik an der ARD nach den aufgedeckten Verfehlungen von rbb-Intendantin Patricia Schlesinger wird auch in der Schweiz nicht ungehört verhallen. Vor dem Hintergrund der «Halbierungsinitiative» ist die Diskussion über die öffentlich finanzierten Medien sowieso schon neu lanciert. Die SRG und ihre Führungskräfte stehen unter noch grösserer Beobachtung. Das bietet, wie schon bei «No Billag», die Chance, Rolle und Aufgabe des öffentlichen Rundfunks zu erklären. Aber man muss sie auch nützen.

Bild: Unsplash/Spencer Arquimedes