von Nick Lüthi

Freie Fahrt für Trolle?

Das wird die notorischen Nörgler und Besserwisser in den Kommentarspalten freuen: Der Presserat hält es für einen unzulässigen Eingriff in die Informationsfreiheit, wenn Medien Störenfriede aus dem Kommentarbereich verbannen. Anmerkungen zu einem realitätsfernen Entscheid.

Lange hatte er dem Treiben zugeschaut, doch irgendwann im letzten September hatte David Sieber genug. Der Chefredaktor der Südostschweiz fühlte sich von einem regelmässigen Schreiber von Online-Kommentaren dermassen genervt, dass er dessen Nutzerkonto für das Forum auf suedostschweiz.ch sperren liess. Eine Disziplinarmassnahme, die der mitteilungsbedürftige Mann nicht auf sich sitzenliess und sich beim Presserat beschwerte. Mit Erfolg, wie gestern bekannt wurde.

Das Ethikgremium der Schweizer Medien rügt Sieber für den Ausschluss. Damit werde das Recht des geblockten Kommentators auf freie Meinungsäusserung «in einer grundsätzlichen und systematischen Art eingeschränkt» und Sieber verstosse «gegen die Grundsätze der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität und der Fairness». Das ist dicke Post, auch wenn sie rechtlich keine Wirkung entfaltet. Denn letztlich propagiert der Presserat mit seinem Entscheid freie Fahrt für Trolle.

Der Ausschluss eines Kommentators sollte immer die letzte Massnahme bleiben. Wann der Moment gekommen ist, den Riegel zu schieben, entscheidet letztlich der zuständige Redaktor, im vorliegenden Fall David Sieber. Der Chefredaktor der Südostschweiz hat nach seinem subjektiven Empfinden gehandelt, aber auch in Ausübung des Hausrechts, was ihm als «Gastgeber» auf suedostschweiz.ch zusteht.

Objektive Kriterien, wann die rote Linie überschritten ist, lassen sich nur schwerlich definieren. Gesetzeswidrigkeiten mögen noch einigermassen einfach also solche erkennbar sein. Bei der Definition von Anstand, Respekt und Rücksicht gehen die Ansichten schnell auseinander. Was der eine als direkte und ehrliche Kommunikation versteht, empfindet die andere bereits als verletzend und provokativ.

Zwar sei der geblockte Kommentator nie unflätig aufgefallen, schreibt David Sieber auf Anfrage der MEDIENWOCHE, aber er habe es geschafft, jede Aussage eines Anderen gegen diesen zu drehen. Ausserdem habe er alles wörtlich genommen und null Gespür für Sprachbilder gehabt. Das habe er ihm auch mehrmals mitgeteilt und ihn angehalten, seinen Ton und Stil zu ändern. Das anerkennt im Grundsatz auch der Presserat. Doch hätte dieses Verhalten nicht zu einer Sperrung führen dürfen. Die angemessene Reaktion wäre es gewesen, die Beiträge nicht zu veröffentlichen. Dass dies de facto auch auf eine Sperre hinauslaufen kann, nur mit anderen technischen Mitteln umgesetzt, übersieht der Presserat.

Zu seinem zweifelhaften Schluss, wonach eine Kommentarsperre die freie Meinungsäusserung einschränke, kommt der Presserat deshalb, weil er die Online-Foren von Presseerzeugnissen mit den Leserbriefseiten gleichsetzt. Nur ist das nicht dasselbe. Während früher der Leserbrief eine der wenigen Möglichkeiten war, wo sich Bürgerinnen und Bürger in öffentliche Diskussionen einbringen konnten, ist das heute auf unzähligen Plattformen möglich – und bekanntlich nicht nur auf solchen von Zeitungen und Zeitschriften. Ein Sperre auf einer Plattform bedeutet deshalb mitnichten eine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit; und wenn der Troll gleich selbst dafür sorgt, dass man ihm das Gastrecht entzieht, erst recht nicht.

Der Entscheid, so realitätsfern er auch sein mag, hat aber auch seine gute Seite. Als Folge davon will David Sieber die Verhaltensregeln für Kommentare auf suedostschweiz.ch klarer formulieren und die Zugangsschranken erhöhen. Ausserdem will sich Sieber nie mehr auf eine Diskussion mit einem Troll einlassen.

Leserbeiträge

Daniel 03. Mai 2012, 12:51

Ausserdem will sich Sieber nie mehr auf eine Diskussion mit einem Troll einlassen.

Schon seit «Urzeiten» (BBS, Usenet, Foren etc.) gilt: Don’t feed the trolls! (Trolle nicht füttern)…

Marco Rohner 03. Mai 2012, 13:41

Kommentare nicht zu veröffentlichen scheint mir klar die bessere Variante, weil der Nutzer trotzdem noch seine Meinung abgeben darf, zu andern Themen oder gemildert mit einem weiteren Versuch. Oft hat man ja wirklich keine freie Plattform-Wahl, besonders in der Ostschweiz. Zudem ist die Plattform der Wahl ja meist den Anstoss, etwas zu kommentieren.

Trollfeeder 04. Mai 2012, 22:26

Das große Problem bei der Sache ist doch, dass Trolling für jeden etwas anderes ist. Was die einen noch als gerechtfertigte Kritik empfinden ist für andere schon sinnloses Rumtrollen. Und genau um diese Grauzonen geht es. Nicht um die eindeutigen Trollspammings, die niemand mag. Es geht darum, wie kritikfähig man sein möchte und sein muss.

Die Idee, die Leute könnten ja einfach woanders über das Thema diskutieren ist hingegen absurd. Man muss schon am Ort des Geschehens anpacken. Wenn man gegen etwas demonstrieren will, geht man auf die Straße. Würde jeder in seiner Wohnung ein Banner entrollen, wäre es irgendwie nicht dasselbe, nicht wahr? Und wenn Zeitung A etwas schreibt, zu dem man einen Kommentar ablassen muss, dann bringt es herzlich wenig, das im Forum des Genfer Kaninchenzüchtervereins zu tun. Ob Troll oder nicht, man will mit dem Posting wenigstens den Autoren erreichen, wenn nicht sogar viele andere Leser. Und das geht nur direkt dort, wo der Artikel steht.

Ansonsten kann man nicht viel gegen Trolle machen. Sie sind eben da und gehen auch nicht weg. Manchmal geben sie (unabsichtlich?) eine neue Sichtweise der Dinge, meist nerven sie nur.

Es hilft, wenn man die Postings bewerten kann, denn dann verschwinden viele Trollpostings ganz schnell nach hinten oder werden ausgeblendet (mit Einblendfunktion aber).

T. Hürlimann 07. Mai 2012, 08:47

Der Autor sagt es korrekt: Dieser Entscheid ist realitätsfremd. Für mich ist offensichtlich, wer so entscheidet hat nicht genügend Internet-Erfahrung. Trolle gibt es in verschiedenen Ausrichtungen, seien es Fanatiker, PR-Leute (die zu eigenen Produkten/Leuten positive Berichte abgeben), Besserwisser oder einfach Spinner die es nicht lassen können Andere herunter zu machen. Nach ein oder zwei Verwarnungen muss man die betreffenden Nachrichten dokumentieren und dann den Nutzer (und seine IP) sperren können. Ich habe erlebt wie Trolle Diskussionen stören bis niemand mehr Lust hat daran teil zu nehmen. Wenn die Freiheit Anderer darunter leidet handelt es sich um einen Missbrauch und dies ist ganz klar nicht Bestandteil des Rechts der freien Meinungsäusserung. Man kann nun mal nicht ständig jeden Post überprüfen und über dessen Veröffentlichung entscheiden. Nicht in lebhaften Foren mit hunderten aktiver Benutzer. Also bleibt nur die Sperrung, was man durchaus als Strafe sehen soll.

Stefan Bosshart 07. Mai 2012, 15:57

Mit dem Grundrecht der Meinungs(äusserungs)freiheit zu argumentieren, greift hier ins Leere, denke ich (und der Presserat spricht in diesem Entscheid auch – wohlwissend? – lieber von „Grundsätze[n] der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität und der Fairness“, die durch die Sperrung des Zugangs zu Kommentar- oder Meinungsseiten verletzt würden).

Art. 15 Abs. 2 der BV erkärt zwar: Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten“. Wie alle Grundrechte ist dieses Schutzrecht aber primär eine Abwehrrecht gegenüber dem Staat, dh. es richtet sich primär gegen staatliche Massnahmen. Beispielsweise darf der Staat nicht einfach eine Vorzensur ausüben, oder er darf in unserem privatwirtschaftlichen Pressemarkt nicht einfach so mal die Gründung einer (Online-)Zeitung untersagen. Daraus lässt sich aber mitnichten ein Anspruch ableiten, dass die eigene Meinung von einem journalistischen Medium aufgenommen und verbreitet werden müsse. Redaktion sollen m. E. das Recht haben, selbst über Veröffentlichung der Meinungen und Ansichten ihrer Quellen zu entscheiden, entweder in einer milden Variante, indem sie z.B. vorab prüfen, ob die zur Veröffentlichung geposteten Kommentare rassistisch, sexistisch, ehrverletzend etc. sind, oder in einer strengen Variante (als ultima ratio), indem sie im Ausnahmefall eben den Zugang zum Kommentarraum für einzelne „Wiederholungstäter“ sperren. Das verfassungsmässige Recht auf freie Meinungsäusserung (‚Meinungsfreiheit‘) wird dadurch sowieso nicht beschnitten.

Der Beschwerdeführer 17. Mai 2012, 19:38

Schlecht recherchiert, falsche Folgerungen

Nick Lüthi kennt offenbar weder das SO-Forum noch meine Beiträge, er verlässt sich unkritisch und einseitig auf nachweislich falsche Darstellungen des Chefredaktors, er hat die Gegenpartei (mich) nie angehört, und nichtmal den Presserats-Entscheidungstext gelesen. Darum kommt er zu falschen Schlussfolgerungen über den Fall und die Presseratsentscheidung. Kurzum: Ein Lehrbeispiel für schlechten Journalismus.

Fakt ist: Weder bin ich ein Troll (*), noch gibt der Presserat „Freie Fahrt für freie Trolle“ (**).
Sondern es geht dem Presserat darum, den Meinungspluralismus zu schützen — auch in Medien mit faktischem Regional-Monopol (schon der Name „Südostschweiz“ markiert den Alleinvertretungsanspruch): Netiquette-konforme User sollen nicht zittern müssen, für immer gesperrt zu werden, bloss weil sie beim Chefredaktor in Ungnade gefallen sind. Wir wollen in öffentlichen Foren keine Verhältnisse wie beim Hexenhammer oder in totalitären Systemen, wo missliebige Personen willkürlich eliminiert werden, ohne fairen Prozess, ohne Angabe von Gründen, einfach „par ordre de Mufti“. Wie der Presserat betont, soll jeder Beitrag nach seinem Inhalt beurteilt werden, nicht Autoren eliminiert werden.
Darum sollte die Medienwoche diese Entscheidung begrüssen, statt den Presserat mieszumachen mit polemischen falschen Unterstellungen wie „Freie Fahrt für Trolle“.

(*) Seit über 10 Jahren schrieb ich substanzielle Print-Leserbriefe in der SO — von denen die meisten gedruckt wurden, zuletzt etwa monatlich. Langjährige seriöse User bescheinigten mir, dass ich kein Troll bin. Sogar meine politischen Gegner im Forum forderten die Aufhebung der Sperrung, welche weitherum auf Unverständnis stiess. Der Vorwand, ich sei ein Troll, fiel dem Chefredaktor erst viele Wochen nach der Sperrung ein, bis dahin nannte er keinen Grund. Auf meine ausdrückliche Frage, welche Verhaltensänderung er denn von mir wünsche, antwortete mir der Chefredaktor wörtlich: „Sie müssen Ihr Verhalten nicht ändern“ — ein Troll hätte weder diese Frage gestellt noch diese Antwort erhalten.
Der zeitliche Ablauf (die Print-LB-Sperre kam schon 2 Monate _vor_ der Onlineforum-Sperre; der ersten ging ein inhaltlicher Streit mit einem kantonalen Parteipräsidenten zu dessen Wahlkampfauftakt voraus) und die Inhalte der Texte legen es nahe, dass der Grund der Sperrung in politischen Inhalten lag. Ich war der Einzige im Onlineforum, der politische Missstände und Parteiwidersprüche pointiert, gut informiert, kurz & bündig aufzeigte und kritisierte — _das_ war es, was den Chefredaktor nervte!
Bei Usern auf seiner politischen Linie hingegen schaute er grosszügig über schwere Netiquetteverstösse hinweg, ja er bezahlte sogar 2 Kolumnisten mit „Fäkalsprache“, von denen einer mich so primitiv angriff, dass sogar der Chefredaktor nicht umhin kam, seinen Beitrag zu löschen. Soviel zum Thema „Bewahrer der Forenqualität“…

(**) Im Entscheidtext des Presserates steht _nirgends_, der Beschwerdeführer sei ein Troll. Sondern der Presserat schreibt ausdrücklich (in Erwägung 2b), dass der Chefredaktor das Wort „Troll“ nur im Rahmen der „weit auszulegenden“ Kommentarfreiheit benutzen darf, in einer als solche erkennbaren subjektiven Wertung (Kommentar), also als seine persönliche Meinung. (Dass die Kriterien in der vom Chefredaktor referenzierten Troll-Definition (Wikipedia) _nicht_ zutreffen, sei hier nur nebenbei erwähnt.) Im Journalismus wird ja zwischen Berichterstattung (Tatsachen) und Kommentaren (Meinung) unterschieden, wobei Letzteres nicht als Ersteres dargestellt werden darf.
In der Medienmitteilung wurde es dann verkürzt und etwas missverständlich formuliert, aber der Sinn des Entscheides ist klar: Der Presserat schützt den Meinungspluralismus auch dann, wenn eine Redaktion diesen unter dem Vorwand „Troll“ aushebeln will.

Nick Lüthi 18. Mai 2012, 23:21

Der Titel «Freie Fahrt für Trolle» ist mit einem Fragezeichen formuliert und steht prospektiv und nicht retrospektiv. D.h. ich zeige auf, dass der Entscheid des Presserats – in extremis – bedeuten würde, dem Treiben von Trollen nicht systematisch Einhalt gebieten zu dürfen mittels Kommentarsperre, weil eine Redaktion sonst gegen die Informationsfreiheit verstossen würde. Der Entscheid im vorliegenden Fall mag hart gewesen sein, aber wie ich schreibe, obliegt es dem Gastgeber (sprich: dem Chefredaktor) zu entscheiden, wann er eine Sperre für gerechtfertigt hält. Das hat nichts mit Willkür zu tun, sondern mit Verantwortung. Man könnte das auch mit dem Kommentarverbot für gewisse Redaktoren vergleichen, wenn ihre politische Meinung nicht zur Redaktionslinie passt. Ausserdem: Auch eine Kommentarsperre braucht nicht lebenslänglich zu sein, sondern kann mit einem Klick aufgehoben werden.

Der Beschwerdeführer 21. Mai 2012, 17:28

Zitat NL: „Der Titel «Freie Fahrt für Trolle» ist mit einem Fragezeichen formuliert und steht prospektiv und nicht retrospektiv.“

Die (rhetorische) Frage im Titel haben Sie im Artikel affirmativ beantwortet, mit dem Satz: „Denn letztlich propagiert der Presserat mit seinem Entscheid freie Fahrt für Trolle.“ Auch prospektiv ist diese Darstellung falsch, da es im beurteilten Fall wie gesagt nicht um einen Troll ging, sondern dies nur ein Vorwand war. Meinungspluralismus für Trolle wäre ein Oxymoron, da Trolle ja gerade keine inhaltlichen politischen Aussagen zu bieten haben.

Zitat: „Man könnte das auch mit dem Kommentarverbot für gewisse Redaktoren vergleichen, wenn ihre politische Meinung nicht zur Redaktionslinie passt.“

Gerade der betr. Chefredaktor hat das Konzept „Parteizeitung“ immer weit von sich gewiesen und für seine Zeitung Meinungsvielfalt beansprucht. Da würde ein Kommentarverbot für gewisse Leser-„Linien“ nicht passen.

Zitat: „Ausserdem: Auch eine Kommentarsperre braucht nicht lebenslänglich zu sein“

Er hat nie angedeutet, die Sperre sei bloss temporär. Ohne den Presserat würde sie noch jetzt bestehen, zumal er ja „nicht mit Trollen diskutiert“ (und auch gegenüber anderen Usern die Diskussion seiner Entscheidung verweigerte, im Gegensatz zur Eigenwerbung seines Blogs „lässt Sie teilhaben an Entscheidprozessen und … lädt Sie zum Mitdiskutieren ein“)…

Lilly Liechtenstein 21. Mai 2012, 17:46

Ich hätte noch folgenden Link im Angebot.

Reto Derungs 21. September 2013, 03:55

Offenbar bin ich für die Leserbriefredaktion des „Tagesanzeiger“ bereits ein ewiggestriger, geistig zurückgebliebener Troll, bloss weil meine Meinung regelmässig jener der Redaktorinnen widerspricht (letztere haben sich ja kürzlich im Tagi vorgestellt, es sind linkslastige, gendersensibilisierte, teilzeitbeschäftigte Studentinnen; ihren Selbstbekenntnissen zufolge dürften sie wohl eher als missionarisch denn als politisch „engagiert“ bezeichnet werden). Da ich mit meiner Meinung (v.a. natürlich in meinem altersmässig eher fortgeschrittenen sozialen Umfeld) privat kaum anstosse, ist zu befürchten, dass durch diese systematischen Sperrungen die Meinung breiter Kreise, welche politisch durchaus ernstzunehmen sind, einfach ausgeblendet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass derlei den „Grundsätzen der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität und der Fairness“ im Pressewesen entspricht.