von Beat Rüdt

Multimedial durch den Gotthard-Basistunnel

Flug über den Gotthard, Kamerafahrt durch den Gotthard, dargestellt mit 360-Grad-Video oder Scroll-Reportage: Zahlreiche Schweizer Medien haben die bevorstehende Eröffnung des Gotthard-Basistunnels zum Anlass genommen, ihr Publikum multimedial auf das Grossereignis einzustimmen. Ein Überblick.

Was als erstes auffällt, ist die Vielfalt der Erzählformate und die unterschiedliche Gewichtung der Inhalte, die es dem interessierten Mediennutzer ermöglichen, mehrere Reportagen zu betrachten, ohne dass sich die Inhalte andauernd wiederholen. Nicht allen ist es aber gelungen, sich in der Fülle des Materials so zu orientieren, dass am Schluss eine stimmige Geschichte entstand. Und nur ganz wenige beherrschen die Kunst, Text, Bild und Bewegtbild so zu kombinieren, dass ein flüssiges Eintauchen in die Geschichte möglich ist.

Neben Medien mischen auch Behörden und Bundesbahnen im Multimedia-Reigen mit. Für das «Alptransit-Portal» hat das Bundesarchiv alle Register gezogen und mit einer privaten Agentur zusammen das wohl aufwändigste Multimedia-Format zur Eröffnung des Basistunnels realisiert.

Le Temps: Les oubliés du Gothard

srf

  • Was es ist: Le Temps fokussiert zur Eröffnung des Basistunnels auf die Dörfer, die an der Gotthardstrasse liegen. Sie fängt die Stimmung einer Bevölkerung ein, deren Ortschaften wegen der Unterquerung in Zukunft immer mehr in Vergessenheit geraten werden.
  • Wie es wirkt: Mit Übersichtsgrafiken, Videos, in denen Betroffene zu Wort kommen und Stimmungsbildern, die auf den Punkt bringen, was im Text beschrieben wird, führt diese Reportage den Leser über den Gotthard. Die Elemente sind klug eingesetzt, so dass sie den Storyfluss nicht unterbrechen.
  • Was bleibt: Diese Reportage ist sehr sorgfältig aufgebaut und verwendet qualitativ hochstehendes Material (Ausnahme: die Videos), das nicht aus dem Archiv stammt. Eine tolle Eigenleistung, für die es sich lohnt, mal wieder einen französischen Text zu lesen.

SRF: Gotthard 360°

srf

  • Was es ist: Mit einem 360°-Video erkundet ein Reporterteam den Gotthard-Tunnel und fliegt über das Bergmassiv. Nebst technischen Erklärungen, Einblicken in Rettungstunnel und weiteren Informationen zum Bau wird auch der Arbeiter gedacht, die beim Bau ums Leben gekommen sind.
  • Wie es wirkt: In der ersten Minute des Dokumentarfilms frage ich mich: Wo liegt der Nutzen, während dem Betrachten der Reportage den Blickwinkel zu ändern? Im weiteren Verlauf der Erzählung aber beginne ich die Funktion zu schätzen. Sie ermöglicht es mir, meinen Blick schweifen zu lassen und selber zu entscheiden, was ich gerade anschauen will, während mich die Erzählstimme mit Informationen versorgt.
  • Was bleibt: Im Verlauf der fast achtminütigen Reportage erfahre ich viel Wissenswertes und erhalte eine sehr konkrete Vorstellung, wie der Tunnel aufgebaut ist, wie die Sicherheit garantiert wird und erfahre viele interessante Details über die Entstehung des Bauwerkes.360°-Video ist dafür nicht zwingend notwendig, aber im vorliegenden Fall sinnvoll eingesetzt.

Blick: Der Mythos vom Gotthard

blick

  • Was es ist: In einer vierteiligen Scroll-Reportage beleuchten die Redaktoren den Mythos Gotthard, bevor er die drei Tunnelprojekte (Bahn, Strasse und Basistunnel) unter die Lupe nimmt. Der Fokus wird stark auf die Geschichte des Baus der drei Tunnel gelegt.
  • Wie es wirkt: Der rote Faden durch die drei Kapitel ist der Text. Es gibt zwar viel Bild- und Videomaterial aus dem Archiv, aber oft wird es eher zufällig in die Geschichte eingestreut; als Beispiel: Bevor über die Strasse über den Gotthard berichtet wird, kommt ein Filmausschnitt aus «Mein Name ist Eugen». Gut verarbeitet sind die Grafiken zum Tunnelbau, die teilweise animiert wurden und so auch für den Laien einfach verständlich sind.
  • Was bleibt: Wer Zeit hat und das eine oder andere über den Bau der Tunnel am Gotthard erfahren will, ist hier sicher nicht falsch. Insgesamt ist es aber über weite Strecken eine eher zufällige Anordnung von Fakten, Geschichten und multimedialen Elementen.

Swissinfo: Eine Reise über dem längsten Tunnel der Welt

SWI

  • Was es ist: In dieser Scroll-Reportage begibt sich der Autor in fünf Kapitel auf eine Reise über den Gotthard, von Erstfeld bis Pollegio. Auf der gut beschriebenen Route trifft er Menschen, die über die Gebiete und ihre Geschichten erzählen und blickt anhand von Bauten auf viele interessante Geschehnisse zurück, etwa die Zeit der Säumer oder die militärische Befestigung des Gotthard-Massivs.
  • Wie es wirkt: Ein toller Text, der sich dem Thema Gotthard auf überraschende Weise annähert und mit vielen guten Bildern und Videos ergänzt wird. Es ist aber eher zufällig, welche Teile der Geschichte im Video erzählt werden und welche im Text, zudem ist störend, dass die Videos immer mit einer Einleitungssequenz mit Musik beginnen, die den Fluss der Geschichte stört. Statt die Bilder an passender Stelle zu veröffentlich hat sich die Redaktion entschieden, pro Kapitel eine Bildstrecke zu machen.
  • Was bleibt: Bild, Text, Video und 360°-Panorama-Bilder geben zusammen eine Multimedia-Geschichte, aber noch nicht unbedingt eine multimedial erzählte Geschichte. Hier packt mich der spannende Text, das Tolle Bild- und Videomaterial nehme ich nur als Beigemüse wahr.

Newsnet/tagesanzeiger.ch: Das Tunnelsystem der Rekorde

newsnet

  • Was es ist: In dieser Multimedia-Story erfährt man die wichtigsten Fakten zum Tunnelbau, während man sich optisch durch den Tunnel scrollt. Während Informationen zum Bau als Text und Grafiken erscheinen, werden die zurückgelegten Kilometer gezählt so wie die Kilometer verlegter Kabel, die Anzahl Leuchten, Weichen, Querverbindungen und Notrufsäulen.
  • Wie es wirkt: Ich erhalte in einer relativ kompakten Form sehr viele Informationen rund um den Basistunnel. Die Geschichte ist ansprechend gestaltet und die Macher haben es vielerorts geschafft, die richtige Visualisierungsform zu finden. Die Abwechslung zwischen sich wiederholenden Elementen (Temperatur im Fels, Orte wo Arbeiter gestorben sind) wechseln sich mit einmaligen Erklärungen ab.
  • Was bleibt: Kompakt, übersichtlich und relativ schnell gelesen. Für mich eine sehr gute Art, die wichtigsten Informationen zum Basistunnel zu abzuholen.

RTS: Ferdinand Rochat auf Facebook

-1  Ferdinand Rochat

  • Was es ist: Die fiktive Figur des Journalisten Ferdinand Rochat von der Gazette de Lausanne erzählt auf einem eigens dafür erstellten Facebook-Seite, was er vor und und während des Baus des ersten Gotthardtunnels so alles erlebt. Seine Beiträge berichten über Fortschritte am Bau, Treffen mit den Akteuren und zeigen historisches und aktuelles Bild- und Videomaterial. Die ersten Posts wurden am 1. Mai 2016 veröffentlicht, für Ferdinand Rochat ist es der 14. April 1873.
  • Wie es wirkt: Es macht Spass, sich durch die Facebook-Einträge zu scrollen. Allerdings sind es heute schon so viele, dass man sich in den Geschichten verlieren kann. Wäre ich «Ferdinand Rochat» früher gefolgt, hätte ich mich über die täglichen Info-Häppchen freuen können.
  • Was bleibt: Das Experiment, die Geschichte des Baus des Gotthard Eisenbahntunnels auf Facebook zu erzählen, als würde sie jemand live begleiten, gefällt mir nicht schlecht – zumal die Umsetzung wirklich gut gemacht ist. Die Frage, die ich mir stelle, ist wie viele Leute genug lange dranbleiben wollen, zumal das Thema zurzeit der neue Tunnel ist, und nicht der alte.

SBB: App Gottardo 2016

gottardo

  • Was es ist: Die Gottardo2016-App lässt den User auf spielerische Art den Basistunnel entdecken. Mit verschiedenen Arbeitsgeräten (Pickel, Dynamit, Tunnelbohrmaschine etc.) treibt man mit Tippen auf den Bildschirm den Tunnel voran und entdeckt unterwegs Informationen. Gleichzeitig erhält man für jeden Baufortschritt Geld, um mehr Geräte zu kaufen. Ab 1. Juni gibt es zusätzlich Virtual Reality-Funktionen, so dass man während der Durchfahrt an der passenden Stelle mit Informationen versorgt.
  • Wie es wirkt: Ich arbeite mich zuerst mit Pickel, dann mit eine Pressluftbohrer durch das Gestein vor. Mit diesen Geräten geht der Vortrieb nur langsam voran. Trotz intensivem Tippen auf den Bildschirm verbuche ich nur millimeterweise Fortschritte, und entsprechend selten lege ich einen Kristall frei, der zu weiterführenden Informationen führt. In der App wird der Inhalt nur kurz angerissen, dann wird man auf eine externe Website verwiesen.
  • Was bleibt: Nach einer Viertelstunde beginnen sich die Hände zu verkrampfen, und ich bin immer noch nicht bis Amsteg vorgedrungen und habe erst eine Information erhalten. Die Spielerei ist für mich zu wenig unterhaltsam, um weiterzumachen.

Bundesarchiv: Alptransit-Portal

Alptransit  Geschichte erleben

  • Was es ist: Eine umfangreiche Dokumentensammlung zur historischen Perspektive um die Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT. Beleuchtet werden dabei Politik, Gesellschaft, Planung und Bau. Jeder einzelne Bereich ist chronologisch entlang von Schlüsselereignissen gegliedert. Auf einem vertikalen Zeitstrahl werden sämtliche Ereignisse wieder zusammengeführt. Dies dürfte wohl die umfangreichste Sammlung an Bild-, Video-, Ton- und Textmaterial sein, die im Hinblick auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels als Multimedia-Arbeit veröffentlicht wurde.
  • Wie es wirkt: Die Archive wurden gründlich durchforstet, die Inhalte verschlagwortet und für jeden Inhalt scheint es mindestens drei unterschiedliche Zugänge über die verschiedenen Navigationselemente zu geben. Oft sind aber die Beschreibungen der Inhalte so marginal, dass sich der Betrachter selbst vorstellen muss, was er gerade vor sich hat.
  • Was bleibt: Wer möglichst viel Material sichten will und sehr viel Zeit hat, ist hier am richtigen Ort. Wer aber gezielt informiert werden möchte, geht das Risiko ein, sich in irgendeiner Subnavigation zu verlieren und nie mehr aus dem Portal herauszufinden.

FM1today: Gotthard? Nä-ä! Wir sind beim richtig wichtigen Tunnel!

Alptransit  Geschichte erleben

  • Was es ist: Eine Persiflage auf die Gotthard-Multimedia-Geschichten. Bericht über die 90-Sekunden-Fahrt durch den Mühleggtunnel, den „kürzesten Tunnel der Ostschweiz.
  • Wie es wirkt: Im Text wird einiges an Wissenswertem über die Mühleggbahn vermittelt. In einer Videoreportage berichten die Autoren über ihre Fahrt und holen Stimmen von Passagieren ein. Das multimediale Highlight ist die Aufnahme der Fahrt mit einer 360°-Kamera.
  • Was bleibt: Viel Aufwand für einen gelungene Persiflage über die Gotthard-Multimediareportagen wie auch über das Genre Multimediareportage als solches. Die Autoren zeigen, dass sie das technische Know-How hätten, auch seriös eine Story umzusetzen.