von Adrian Lobe

War on Facts

US-Präsident Donald Trump hat nicht nur den ihm missbliebigen Medien den Kampf angesagt, viel mehr führt er einen Krieg gegen die Fakten. Von den Gefahren einer Politik als Reality-Show.

US-Präsidenten führen bekanntlich Krieg. So rief Richard Nixon den War on Drugs aus, George W. Bush den War on Terror. Quasi als erste Amtshandlung zieht nun Donald Trump in den War on Facts – undeklariert zwar, aber dennoch deutlich wahrnehmbar. Gleich nach der Inauguration legte sich Trump mit den Fakten an und bestritt das offensichtlich schwache Publikumsinteresse an den Festivitäten rund um seine Vereidigung. Seien Beraterin kreierte für das Schönreden unbestreitbarer Fakten den Begriff der «alternativen Fakten» – als gäbe es verschiedene Lesarten von Fakten.

Natürlich gehören Lügen seit jeher zur Politik. Schon Cicero wetterte in seinen «Reden gegen Verres»: «Die Kapitäne lügen, die unbescholtenen Gemeindebehörden lügen, ganz Sicilien lügt.» Die Herrschaft der Fakten war immer ein Ideal, Politiker verdrehten Tatsachen, tischten Lügen auf und führten die Öffentlichkeit hinters Licht. Der frühere US-Aussenminister Colin Powell begründete den Irak-Krieg vor den Vereinten Nationen mit manipulierten Beweisen, was er später öffentlich bereute. Doch so dreist wie Donald Trump hat noch kein US-Präsident gelogen. Die «Huffington Post» wies ihm in einer einstündigen Rede, die er noch als Kandidat gehalten hatte, 71 Faktenfehler nach. Bei einer Pressekonferenz vor seiner Amtseinführung raunzte er den CNN-Reporter Jim Acosta an: «Dir gebe ich keine Frage, Ihr seid Fake-News!» Spätestens hier wurde deutlich, dass Fake-News ein Kampfbegriff ist, mit dem man dem politischen Gegner die Glaubwürdigkeit abspricht.

Die Behauptung von einem «postfaktischen Zeitalter» verkennt drei zentrale Punkte. Erstens: Das Phänomen ist nicht neu. Das Parlament von Connecticut verabschiedete 1893 ein Gesetz, das Personen bestrafte, die «fake» news (sic!) an Zeitungen schickten. Nachdem der US-Politiker und Aussenminister William Jennings Bryan 1896 bei der Präsidentschaftswahl unterlag, gründete er seine eigene Tageszeitung, «The Commoner», die gegen die «Epidemie der Fake-News» zu Felde zog. Zweitens: Das Problem liegt nicht nur bei der Produktion von Fake-News, die durch die monetären Anreizsysteme und die algorithmische Automatisierung der Nachrichtenauslese begünstigt wird, sondern auch in der Rezeption: Viele Nachrichtenkonsumenten sind empfänglich für montierte Berichte, weil sie einfache und eindeutige Erklärungen komplexen Abwägungen vorziehen. Und drittens: Fake-News sind nicht nur ein medientheoretisches Problem, sondern vor allem ein epistemologisches. Der neue US-Präsident führt nicht nur einen Krieg gegen die Medien, wie er kampfeslustig offenbarte, sondern auch gegen die Wirklichkeit.

Trump ist eine semifiktionale Figur aus dem Reality-Fernsehen. Die Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur geriet zur Fortsetzung der Staffel «The Apprentice»: Wie er mit seiner Frau Melania wie ein Halbgott die Rolltreppe in seinem pompösen Tower herunterfuhr, wie er mit seiner Entourage die Bühne betrat und den «Tausenden» Fans (in Wirklichkeit waren es nur ein paar Hundert) zujubelte, wirkte wie eine Seifenoper, wie Scripted Reality.

Sein Start in die Politik war eine einzige Inszenierung, ein Fake. Trump bestellte bei der Agentur Crowds on Demand ein paar Claqueure, die ihm für 50 Dollar drei Stunden lang in weissen T-Shirts mit der Aufschrift «Make America Great Again» zujubelten. Sie waren nur die Statisten einer Show. Trump haftete von Anfang an etwas Fiktionales an: Seine Wahlversprechen waren fiktiv, und auch sein Habitus vom kompromisslosen Self-Made-Man, der mit der Faust auf den Tisch haut und Deals aushandelt und nebenbei die politische Klasse in Washington verschrottet, war fingiert – genauso wie die Zahl der Stockwerke in seinem Tower, die den Bewohnern eine Höhe suggeriert, die es realiter gar nicht gibt.

Für Trump ist Politik eine Reality Show, in der er die Wirklichkeit nachbildet und seine Wirklichkeit erfindet. Seine Tweets sind lediglich das Skript. Für den US-Präsidenten gibt es auch keine reale Freiheit, sondern lediglich die grosse Geste und Erzählung. Als Trump die skurrile Pressekonferenz vor seinem Amtsantritt mit dem Satz «You’re fired» (der Spruch aus der TV-Show «The Apprentice» wurde zu seinem Markenzeichen) beendete, fragte sich der Zuschauer: War das nun die Fortsetzung des Reality TV? Scripted Reality? Oder schon Realsatire? Kein Wunder, dass mancher Fernsehkritiker ins Grübeln über das echte und gespielte Leben kommt.

Der Facebook-Investor Peter Thiel, der Donald Trump im Wahlkampf als einer der wenigen Digital-Unternehmer aus dem Silicon Valley unterstützte, sagte im Oktober bei einem Auftritt vor dem National Press Club in Washington: «Eine Sache, die man unterscheiden muss, ist, dass die Medien Trump wörtlich nehmen. Ich denke, dass viele Wähler, die für Trump stimmten, ihn ernst, aber nicht wörtlich nahmen.» Ein feiner Unterschied. Deshalb läuft auch jeder Fakten-Check ins Leere, weil er an der falschen Ebene ansetzt. Jeder weiss, dass Scripted-Reality-Shows wie «The Apprentice» oder Wrestling-Events, an denen Trump teilnahm, gestellt sind. Jeder Versuch, diesen Plot zu dekonstruieren und in seine faktischen Einzelteile zu zerlegen, wirkt lächerlich. Trump als Lügner zu demaskieren ist so erkenntnisstiftend wie zu schreiben, bei der Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» gehe es gar nicht darum, einen Superstar zu finden. Insofern wirken die Bemühungen der «New York Times» und anderer Medien, Trumps «alternative Fakten» zu widerlegen, auch reichlich hilflos.

Trumps Krieg gegen die Wirklichkeit besteht darin, dass er seine Politik der Logik der Reality TV unterwirft, in der etablierte und bewährte Spielregeln des politischen Betriebs (Verfassungstreue, Respektierung der Grundrechte, Achtung von Minderheiten) nicht mehr gelten und Medien nur noch Zuschauer sind. Die Folge ist, dass die Lüge gar nicht mehr sanktioniert wird, weil sie als akzeptiertes Stilmittel und Schmiermittel seiner Show-Politik quasi mit dazugehört.

Der Journalist Ned Resnikoff schrieb in einem brillanten Beitrag für den News-Blog «Think Progress:» «Wenn Bush [und sein Berater, Anm. d. Red.] Rove eine Fantasy-Welt mit einer klaren internen Logik konstruierten, hat Trump so etwas wie einen niemals endenden Albtraum geschaffen. In seinem politischen Universum sind Fakten unstet und vergänglich.» Es sei mehr Kafka als Herr der Ringe. «Wenn Fake-News omnipräsent werden, werden alle Nachrichten verdächtig», so Resnikoff: «Alles sieht zunächst aus wie eine Lüge.»

Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, indem man Fake-News mit dem Staubsauger filtert und dabei riskiert, auch Satire und missliebige Meinungen zu entsorgen, sondern indem man Politik in einen Raum zurückführt, in dem der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge sowohl sprachlich als auch inhaltlich geschärft wird. Trumps Aussagen sind als das zu begreifen, was sie sind: Fiktion.

«Trumps Einsatz von Fiktion als Regierungswerkzeug kann Künstler nur verzweifeln lassen», schrieb Justin Davidson kürzlich im «New York Magazine». «Er hat fremdartige Plot-Drehungen in blasse Nachahmung verwandelt und lässt jede imaginierte Groteske weich erscheinen.» Der Autor konstatiert ernüchtert: «Es gibt da keine Position, keine Ideologie, keine Strategie. Es gibt nur Donald Trump, ein erfundener Charakter, der über Jahre öffentlicher Darstellung geschliffen wurde. Diese Person hat keine Verwendung für Realitäten hinter der Kulisse.» Trump lehne den Klimawandel nicht deshalb ab, weil es seine kurzfristigen Interessen zuwiderläuft, sondern weil es Wissenschaft ist.

Der Philosoph und Physiker Eduard Kaeser schrieb in der NZZ: «Die Zersetzung der Demokratie beginnt mit der Zersetzung ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen.» Trumps War on Facts dürfte noch einen viel grösseren Schaden hinterlassen als Bushs «War on Terror».

Leserbeiträge

Fritz Huber 27. Januar 2017, 19:53

Postulat:
es gibt keine größeren Kriege ohne Hochfinanz und den ihnen gehörigen Medien, ohne den (korrupten) Politikern und ihren Verwaltungen. Wenn nur einer der genannten Parteien die Mitwirkung versagen würde, wären die Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts nicht möglich gewesen.

Um Völker gegeneinander in den Krieg zu hetzen, bedarf es der Mainstreammedien – insofern ist das Wort Lügenpresse gerechtfertigt und Misstrauen gegen deren Berichterstattung überlebensnotwendig.
Fakten habe Journalisten noch nie interessiert, man möge sich hier nur mal an die Hetzjagd gegen unseren ehemaligen Bundespräsidenten erinnern – das kostete ihm den Job und die Ehe!
Nun ja, was nun das angeblich schwache Interesse an seiner Vereidigungsveranstaltung betrifft, es sind Aufnahmen zu Beginn einer sich füllenden Veranstaltung, Obamas Antrittsrede war einem Sonntag, die von Trump an einem Werktag, an dem wohl die meisten Menschen zur Arbeit sind.
Trump hat recht, wenn er sagt: „the mainstream media lie, lie, lie“ und es ist noch untertrieben er hätte genauer gesagt, die Mainstream Medien lügen und hetzen.
Blickt man beispielsweise zurück auf die Berichterstattung der beiden Golfkriege, die allesamt auf nachgewiesenen Lügen beruhten, so erkennt man immer wieder dasselbe Schema: verteufle den aktuellen Regierungschef, mache ihn zum zweiten Hitler, solange, bis es dann alle glauben, dieses Schema wurde gegen Gaddafi, Assad und auch gegen Putin angewandt. Die Medien hetzen eskalierend gegen Russland, für Sanktionen und Militärpräsenz an der russischen Grenze- aber was sind die möglichen Konsequenzen? Wenn die Notlage im russischen Volk unerträglich werden würde, oder das gefühlte Gefährdungspotential zu groß wird, könnte sich das russische Militär zu einem Präventivschlag genötigt sehen – und der würde das Ende von Deutschland bedeuten.
(Der Angriff auf Pearl Harbour entstand übrigens aus der Sanktionspolitik der USA gegen Japan und damit der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki )
Die logische Konsequenz aus der Geschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts kann nur lauten: schafft die Mainstream Medien ab, bevor sie dabei helfen die Welt zu vernichten!