«User-generated Militärputsch»
Schwer zu sagen, in welchem Mass Twitter und Facebook, die zeitweilig blockiert waren, zum Erfolg des Protests in den Strassen von Kairo und anderen Städten Ägyptens beigetragen haben. Sicher war das Internet mit ein Faktor, dass der revolutionäre Funken von Tunesien in weitere arabische Länder überspringen konnte.
In Ägypten nutzen etwa 30 Prozent der Menschen mit Internetanschluss Facebook, doch nicht die Internetdienste seien entscheidend gewesen, sondern Mund zu Mund-Propaganda und die flutartig anschwellenden Demonstrationszüge, urteilt der deutsch-ägyptische Blogger und Journalist Philip Rizk. Sicher ist, die Ägypterinnen und Ägypter haben es geschafft, in einem beispiellosen Akt innerhalb von nur 18 Tagen der 30 Jahre dauernden Diktatur von Hosni Mubarak ein Ende zu setzen, so wie das in Tunesien vor genau vier Wochen gelungen war. Viele Menschen in den Strassen kamen aus Vororten, armen Quartieren und vom Land, auch solche, die sich noch nie für Politik interessiert haben.
Nach zeitweiligen Übergriffen auf ausländische Medienschaffende, nach der Räumung etwa der Kairoer Büros von Al Jazeera durch präsidententreue Schlägertrupps wurde es schliesslich möglich, dass die Welt in den vergangenen Tagen die Revolution mitverfolgen konnte. Es ist ein grandioses und beängstigendes Schauspiel, bei dem man schier automatisch mit der Bevölkerung mitfiebert wie mit der Nationalmannschaft an der Fussball-WM. Das Bild (rechts) zeigt die Liveübertragung auf BBC Worldnews und Euronews. Die Menschenmenge kocht und skandiert in Chören auf dem Tahrir Platz, Mubarak solle endlich abtreten. Es ist der Zeitpunkt kurz vor Mubaraks Rede am Donnerstagabend.
Inzwischen hat der Diktator die geforderten Konsequenzen gezogen und der Zorn der Bevölkerung sich in Freude und Jubel verwandelt. Jetzt jubeln zu Recht auch die Medienleute mit, die zuvor von Mubaraks Schergen ungewollt in die Rolle der Verräter im Machtkampf zwischen Volk und Regime gedrängt worden waren. Man möchte meinen, in Ägypten sei soeben die Demokratie ausgebrochen. Tatsächlich hat bloss das Militär die Macht im Land übernommen. Zyniker twittern bereits vom «user-generated Militärputsch». Es wird sich zeigen, ob die Medien ihrer Berichterstattung ungehindert werden nachgehen können, wenn das Land nach dieser Euphorie wieder zur Tagesordnung übergehen muss.
Jeremias 14. Februar 2011, 18:50
ein grosses Lob für die Medienwoche – und ein wenig Nitpicking. Wie kommt es, dass sich der Terminus „Mund-zu-Mund-Propaganda“ im Sprachgebrauch durchsetzt? Mund-zu-Mund-Beatmung und Mund-Propaganda haben wenig miteinander zu tun 🙂
René Worni 15. Februar 2011, 10:50
Richtigerweise müsste man ja von Mund zu Ohr-Propaganda sprechen. Da bleibt Dir nichts anderes, als selber eine Kampagne zu starten: «Nieder mit der Mund zu Mund-Propaganda! Hört endlich hin!» (oder so ähnlich…) 😉