von René Worni

Das Werkzeug der Narzissten

Sind die sozialen Netzwerke wie Facebook dabei, unser Leben grundlegend zu verändern? Ob wir es wollen oder nicht: Wer die Netzwerke nutzt, schafft sich neue Gewohnheiten. In ihrem anekdotenreichen und radikalen Buch «Facebook m’a tuer» erklären die beiden Franzosen Alexandre des Isnards und Thomas Zuber, wie Facebook als Werkzeug einer narzisstischen Generation die sozialen Beziehungen unter Freunden, Liebenden, im Familienkreis und so fort revolutioniert. Mit zum Teil fatalen Folgen.

Weltweit zählt die Facebook-Gemeinde 600 Mio. Nutzerinnen und Nutzer, in Frankreich sind es 20 Mio. und in der Schweiz 2 Mio. «Facebook m’a tuer» (in Anspielung an einen aufsehenerregenden Mord, der in den faits divers der französischen Medien vor Jahren die Runde machte) ist keine statistisch gestützte Abrechnung mit Facebook, sondern eine Sammlung von Anekdoten und typischen Dialogen des Netzwerkes und spiegelt die Befindlichkeiten und die neuen Gewohnheiten seiner Gemeinde.

Bereits vor drei Jahren haben sich die beiden Autoren mit «L’open space m’a tuer» die Welt der schrankenlosen Kommunikation und permanenten Verfügbarkeit der Menschen in der Bürowelt à’l américaine vorgenommen. Für ihr neues Werk haben sie sich in ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis umgesehen. Fazit: Facebook hat das soziale Leben revolutioniert. Und zwar nicht erst seit den Volksaufständen in Nordafrika. Früher war ein privater Abend etwa unter Freunden noch ein privater Abend. Heute sind diese Freunde zu Fotoreportern geworden, die minutiös die Ereignisse mit den krassesten Bildern im Internet dokumentieren. Gestern war ein Wochenende mit dem/der Geliebten oder die Geburt des ersten Kindes eine intime Angelegenheit. Heute verbreitet die transparente Generation jede Einzelheit darüber im Netz – weil es schick ist, weil es nichts zu verbergen gibt und weil alle das tun.

Es erstaunt, wie weit die Leute im Internet zu gehen bereit sind und alltägliche Gesten und Verrichtungen abbilden: Da nimmt zum Beispiel jemand eben mal den Gratin aus dem Ofen und stellt davon ein Bild ins Netz, um dann den Applaus seiner Gemeinde abzuwarten. «Sich daran zu gewöhnen, andauernd sein Leben auszustellen, ist eine neue Form der Sozialisation» sagt des Isnards. Man ist dabei exhibitionistisch und voyeuristisch zugleich. Laut des Isnards und Zuber funktioniert Facebook für viele Nutzerinnen und Nutzer wie eine Droge. Ihr Vorteil: Facebook erlaubt es, nie mehr allein sein zu müssen. Wenn man allein zuhause ist, dann bleibt man mit seinen Freunden am Bildschirm verbunden. Doch das Problem ist damit nicht gelöst, sondern schafft neue Zwänge und Stress: Im eigenen Leben muss zwingend etwas passieren, das publizierbar ist. Hinzu kommt der Zwang, immer glücklich zu sein, denn der in der Regel überschwängliche Umgangston verträgt keine Schattenseiten und Probleme. Man zeigt sich nur von seiner positiven Seite. Der Besuch der Disco, die Ferien auf Bali oder die besagte Geburt sind die unabdingbaren Beweisstücke dieses Glücks.

Damit steigert sich der Kreis der Problematik um einen weiteren Aspekt. Unter dem ständigen Druck, die Glücksmomente den Facebook-Freunden rapportieren zu müssen, zersplittert das eigene Erleben. Man ist an einem Konzert über lange Strecken damit beschäftigt, es für seine Freunde zu filmen und es möglichst in Echtzeit online zu stellen, anstatt es selber zu geniessen. Oder man verpasst an Neujahr den Augenblick des Jahreswechsels und schreibt sms oder filmt, anstatt sein (ebenfalls filmendes) Gegenüber zu umarmen und zu küssen.

Bei der Inszenierung des glücklichen Lebens ist Facebook alles andere als neutral. Bereits die Bedienung ist so angelegt, dass keine Schatten die positive Stimmung trüben. Neue Freunde werden auf der ersten Seite vermeldet, die Abgelehnten erscheinen nirgends, sie erfahren es nicht einmal selber. Beim Bruch einer Liebesbeziehung, wenn der/die Ex aus dem Profil verschwindet, dann taucht er/sie paradoxerweise nach einer bestimmten Zeit wieder in der rechten Spalte als automatisch vorgeschlagene/r Freund/in auf. Erst dann könnte theoretisch die Frage auftauchen, warum jemand gelöscht wurde. Das Netzwerk managt auf diese Weise die Beziehungen und unterdrückt die negativen Aspekte, die zweifellos zum Leben gehören.

Bei den Recherchen zu ihrem Buch, bei denen die Autoren zeitweise selber Facebook-süchtig geworden seien, stiessen sie immer wieder auf paradoxe Situationen. So wollten ihre Bekannten den Autoren zur Wahrung ihrer Privatsphäre zunächst keine Auskünfte geben, obwohl die privaten Details in ihren Facebook-Profilen bereits leicht zugänglich waren. Offensichtlich fehlt das Bewusstsein, dass Dritte sich der Angaben in sozialen Netzwerken problemlos bedienen, um zum Beispiel Persönlichkeitsprofile zu erstellen, die karriereentscheidend sein können. Einem Bonmot des amerikanischen Präsidenten Barack Obama zufolge müsse man sich deshalb bereits als Neunjähriger vorsehen, welche Daten man veröffentlichen wolle, um seiner späteren Karriere nicht zu schaden. Und der muss es ja wissen.

Alexandre des Isnards und Thomas Zuber: «Facebook m’a tuer.» 288 Seiten, Editions NiL. (in französischer Sprache). Interaktive Website zum Buch:  http://facebookmatuer.com/

Leserbeiträge

Vladimir Sibirien 14. April 2011, 13:24

René,

sehr interessanter Artikel – Danke! Dann gibt es aber auch noch den Motz-Blogger, der endlich sich die Seele aus dem Leib querulieren kann, um eigentlich nur eine Reaktion von aussen herauszufordern. Früher musste man dazu auf den Marktplatz und wurde wenn’s dumm läuft mit Tomaten beworfen. Heute geht das ungestraft per Blog. (Wär ne hübsche Idee für ein Startup, die iTomate…)

Völlig OT und aus dem Zusammenhang: Wo ist eigentlich Bobfried?