Online-Offensive von oben
Die Journalisten der «Rhein-Zeitung» aus Koblenz setzen die sich ihnen im Web bietenden Möglichkeiten um: Sie bloggen, sie twittern, sie diskutieren mit den Lesern, sie nehmen sie ernst. Das ist anstrengend, macht aber auch Spass. Und bringt neue Informationsquellen, neue Leser, neue Werbekunden. Chefredaktor Joachim Türk erklärt, wie sowas geht: mit dezentem Zwang und aktivem Vorbild. Von oben nach unten.
Die beiden Chefredaktoren, Joachim Türk (Blog, Twitter) und Christian Lindner (Blog, Twitter), gehören zu den eifrigsten im Haus, was den Einsatz von sozialen Medien angeht. «Wenn Du bloggst, dann gehst Du anders ran als für einen Leitartikel. Du hast eine ganz andere Tonalität, du schreibst lockerer. Entscheidend ist, dass sofort kommentiert wird und Du da wieder einsteigen musst. Egal was Du tust, ob Du twitterst, facebookst oder bloggst: Das ist ein Kommunikationsmedium. Achtung! Die Leute antworten und wollen auch wieder Antwort haben. Das sind wir ja nicht gewöhnt.»
Der 53-jährige Türk (gross, Brille, grauer Bart) gibt sich alle Mühe, einen vorbildlichen Umgang mit dem Web an den Tag zu legen. Als gäbe es keine grössere Selbstverständlichkeit, als wäre jeder Zeitungs-Chefredaktor in seinem Alter so. Auch wenn seine Affinität im Umgang mit dem Web wohl manch jüngeren Kollegen in den Schatten stellt: Wie ein Online-Fanatiker wirkt er nicht. Nur wie einer, der weiss, dass die Zukunft des Journalismus dort zu finden ist. Der aber auch weiss, dass jedes Jahr Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe gemacht werden müssen, alleine um die Gehälter, Mieten, Honorare der Redaktion zu bezahlen. Gerade hat das Haus neue Druckmaschinen geordert, weil die bisherigen beim Farbdruck an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gekommen sind.
Auf der Startseite der Koblenzer «Rhein-Zeitung» findet sich kein Obama, kein Osama, keine internationale Schuldenkrise und auch keine nationale Politik. Die Headline lautet am 10. Mai: «Kleine Elfe von der Buga entführt» – eine Skulptur wurde von der dieses Jahr in Koblenz gastierenden Bundesgartenschau entwendet. Das ist kein Zufall, sondern Absicht: Das Lokale steht im Vordergrund, online und bei der Vermarktung.
Wie viele deutsche Zeitungen wurde die «Rhein-Zeitung» kurz nach dem Krieg gegründet, 1946. 1995 dann war sie als erste mit einer Redaktion online und hatte zeitweise mehr Zugriffe als «Bild». Mitte der 1990er-Jahre wurden Internetzugänge unter dem Label «RZ Online» verkauft, noch heute haben viele Leser eine E-Mail-Adresse @rz-online.de. Nach dem Accessgeschäft folgte das E-Paper-Geschäft (mit derzeit 5500 zahlenden Abonnenten). Seit ungefähr zwei Jahren drängt die 2004 gebildete Doppelspitze ihre Mitarbeiter dazu, sich aktiv mit dem Netz auseinanderzusetzen.
Das fängt unten an, sagt Joachim Türk: «Bei der Einstellung von Volontären achten wir darauf, dass die entweder bloggen oder in Social-Media-Kanälen aktiv sind. Ein lange nicht mehr benutztes StudiVZ-Konto reicht da nicht. Wir versuchen herauszufinden, welches Verständnis sie dafür haben. Damit sie wissen, warum es wichtig ist, zum Beispiel von einer Unfallstelle sehr schnell einen Tweet abzusetzen.»
Die Journalisten im Haus wurden aufgeteilt in zwei Gruppen: Reporter, die vor Ort sind und Stoffe erarbeiten. Und Contentverteiler, die Inhalte auf die verschiedenen Kanäle verteilen, sie bearbeiten und anreichern. Wer Lust hat auf Online und auch das nötige Verständnis dafür, wird speziell geschult. Und animiert dann andere Mitarbeiter zum twittern, verwaltet die lokalen Gruppen auf «Wer kennt wen» und Facebook. «Ungefähr ein Drittel der Kollegen hat von vorneherein begriffen, dass das innovativ ist und dass wir das brauchen. Bei einem Drittel haben wir festgestellt, dass sie das machen, weil wir das so wollen. Und ein Drittel sträubt sich, das sind Printkollegen, die ihre Texte nach wie vor herkömmlich abliefern.» Letztere werden nicht unnötig unter Druck gesetzt, das bringe nichts, findet Türk. «Die müssen halt für die klassiche Zeitung das Richtige liefern, das ist ja dann auch online zu lesen.»
Die Strategie trägt Früchte. Lokale Twitter-Konten wie @RZMontabaur, @RZSimmern oder @RZBadEms kommen auf über 500 Follower. Sie werden mit Tweets aus dem Alltag («damit die Leute wissen, was die Redaktion gerade macht») und Links zu erstellten Storys («mundgerechte Tweets, die mehr sind als Linkschleudern») befüllt: «Das war anfangs recht mühsam, wir mussten auch mit Mengenangaben arbeiten.» Das Twitter-Konto @rheinzeitung hat stattliche 10.000 Follower, @RZChefredakteur Christian Lindner über 5000. Bei Facebook bekennen sich rund 2500 Personen als Fans. Dagegen der Zürcher «Tages-Anzeiger», der eine vergleichbare verkaufte Auflage (200.000) aufweist: 1500 bei Facebook, 1000 bei Twitter, die beiden Chefredaktoren twittern nicht.
Doch durch den sanften Schubs ins Web haben viele Mitarbeiter Gefallen gefunden an den Möglichkeiten des Online-Journalismus und an der Kommunikation mit den Lesern. Sie drängen darauf, dass es online vorwärts geht. Denn was in Passau passiert ist, soll in Koblenz nicht vorkommen: Dort wurde nämlich die «Passauer Neue Presse» von einem Fussball-Portal ausgebootet, das ein lokaler Informatiker namens Michael Wagner gründete, als er gerade mal 16 Jahre alt war: FuPa.net (ein Bericht dazu im «Spiegel»). Das betrifft jetzt zwar nur den Fussball in der Region Passau. Sowas kann aber jeder Regionalzeitung passieren. In jedem Bereich.
Das Gespräch mit Joachim Türk wurde am 6. Mai 2011 in Düsseldorf geführt.