Wer hat, dem wird gegeben
Die beiden Tamedia-Nachrichtenportale 20 Minuten Online und Newsnetz wirken wie Magnete: Dank ihrer Grösse und Marktmacht erhalten sie nun sogar Artikel zur Veröffentlichung geschenkt. Sowohl Infosperber, eine gemeinnützige Plattform, als auch Clack, ein Online-Magazin für Frauen, überlassen den Branchenleadern Texte zur Gratisveröffentlichung. Als Gegenleistung geben sie sich mit Links auf ihre Websites zufrieden.
Ein Geschenk lehnt man natürlich nicht ab. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um Qualitätsware handelt. Das müssen sich auch die Verantwortlichen der Online-Portale 20 Minuten Online und Newsnetz gedacht haben. Sie befinden sich in der glücklichen Lage, dass sie von externen Plattformen journalistische Beiträge zur kostenlosen Zweitveröffentlichung erhalten. Zwar handelt es sich in beiden Fällen erst um einen Testbetrieb, was aber dieses Kooperationsmodell nicht weniger problematisch macht.
Der Deal läuft folgendermassen: 20 Minuten Online veröffentlicht ausgewählte Artikel von Infosperber und bedankt sich mit einem Link auf die Website der gemeinnützigen Plattform für unabhängigen Journalismus. «In der Zusammenarbeit zwischen Infosperber und 20 Minuten Online sind keine Geldflüsse vorgesehen», teilt Hansi Voigt, Chefredaktor von 20 Minuten Online, auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Eine komfortable Situation: Voigt erhält hochwertige Texte für sein Portal und muss dafür keinen Rappen bezahlen, obwohl es sich das rentable Portal locker leisten könnte, den Autoren ein anständiges Honorar für die Zweitverwertung ihrer Texte zu entrichten.
Nicht anders sieht es bei der – vorerst auf die Sommermonate beschränkten – Kooperation von Clack mit dem Newsnetz aus. Auch hier fliesst kein Geld, erklärt Nicole Althaus, Gründerin und Autorin des «Online-Magazins für Frauen». Ein Link als Entschädigung muss reichen. Die Macherinnen und Macher von Clack hätten einstimmig gefunden, dass es sich lohne, auf diese Weise das eigene Magazin bekannter zu machen, so Althaus weiter. «Nach zwei Monaten werden wir eine erste Bilanz ziehen, und schauen, was die Zusammenarbeit beiden Seiten bringt.»
Bei Infosperber und 20 Minuten Online hat die Zusammenarbeit eben erst begonnen; sie läuft vorerst bis Ende Jahr im Rahmen einer Testphase. Dann wollen die beiden ungleichen Partner ihre Zusammenarbeit evaluieren. Um eine geldwerte Entschädigung dürfte es auch dannzumal nicht gehen. Für Infosperber liegt der Kern der Kooperation bei der Werbung für das eigene Angebot auf einer gut frequentierten Plattform. «Die Zusammenarbeit mit 20 Minuten Online macht einzelne Artikel einem breiteren Publikum bekannt und die mehrfache Verlinkung auf Infosperber wird unseren Bekanntheitsgrad erhöhen», teilt Urs P. Gasche, Initiator und Autor der unabhängigen und gemeinnützigen Online-Plattform, auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit.
Was die Finanzierung von unabhängigem Online-Journalismus angeht, zeigt man sich bei Infosperber pragmatisch. So sind die Autorinnen und Autoren frei, ihre Beiträge anderen Medien gegen Honorar anzubieten. Infosperber besteht nicht auf der Erstpublikation. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es aber anders aus, wie Urs P. Gasche weiss: «Unsere Autorinnen und Autoren gehen aufgrund ihrer Erfahrungen davon aus, dass ihre Beiträge wegen des Inhalts oder der Form in der Regel keine zahlenden Abnehmer finden würden.»
Wenn nun als Konsequenz dieser Erfahrungen ausgerechnet Tamedia journalistische Leistungen geschenkt erhält, ein Verlag, der in den letzten Jahren die Budgets für freie Mitarbeiter zusammengestrichen hat, entbehrt das nicht einer gewissen Tragik. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich Infosperber als «gemeinnützige Plattform» versteht, «deren Inhalte unverändert und mit Quellenangabe der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.» 20 Minuten Online ist erst in zweiter Linie «Öffentlichkeit». Zuerst ist es Teil eines börsennotierten und gewinnorientierten Medienunternehmens. Dem verlagsunabhängigen Journalismus, der seit ein paar Jahren im Netz eine neue Blüte erlebt und nach tragfähigen Finanzierungsmodellen sucht, erweisen solche Gratis-Partnerschaften einen Bärendienst.
Urs P. Gasche, Stiftung SSUI (Infosperber) 16. August 2011, 15:35
Im Namen der Schweizerischen Stiftung zur Förderung unabhängiger Information SSUI, welche hinter der Plattform Infosperber steht, möchte ich folgende Punkte festhalten:
1. Infosperber will andere Medien mit relevanten Informationen ergänzen.
2. Wir sind überzeugt, dass ein immer grösseres Publikum auch im Internet Qualitätsjournalismus sucht und lesen will. Bezahlmodelle haben jedoch wenig Chancen, weil der Deutschschweizer Markt zu klein ist.
2. Wenn der Erfolg von Infosperber zeigt, dass für Qualitätsjournalismus ein Publikumsinteresse besteht, profitieren davon alle recherchierenden Journalistinnen und Journalisten – und vor allem auch die Leserschaft.
3. Dank der Zusammenarbeit mit «20minuten online» finden unsere Autorinnen und Autoren eine breitere Leserschaft und Infosperber wird einem weiteren Publikum erst bekannt.
4. Sobald Infosperber genügend Spenden oder Banner-Einnahmen generiert, hat unsere Stiftung die erklärte Absicht, unabhängigen Journalismus speziell jüngerer Profis finanziell zu fördern.
Urs P. Gasche
Fred David 18. August 2011, 13:22
Das Engagement von Urs Gasche find ich toll. Infosperber ist eine gute Sache. Ich finde allerdings, alternative Online-Dienste sollten ihre Kräfte jetzt bündeln – ohne ihre Selbständigkeit aufzugeben.
Ein kraftvoller gemeinsamer Internet-Auftritt mit ca. 6 knalligen Front Pages auf der Auftaktseite unter einem noch zu erfindenden Sammelbegriff , der in der Dynamik ruhig über „Tageswoche“ hinausgehen darf…
Ich könnte mir darauf infosperber, medienwoche, medienspiegel und drei vier einschlägige Weitere vorstellen. Die einzelnen Angebote würden sich gegenseitig Konkurrenz machen – das schadet gar nichts. Das tun sie jetzt schon. Sie würden sich aber nichts wegnehmen, sondern zusätzliche Clicks generieren. Auch für Anzeigen könnte dieses „Sammelportal“ attraktiv werden und irgendwann vielleicht mal einen Pay-Status erreichen.
Es wäre sozusagen ein aktiver Heimathafen der „anderen Stimmen“. Es besteht nämlich einfach die Gefahr, dass sich die einzelnen Stimmen im web „versenden“. Das Konzept – Professionalität ist Voraussetzung – könnte dann step by step weiterentwickelt werden, zu etwas Eigenständigem, das man zur Kenntnis nehmen und vielleicht auch gelegentlich ein wenig fürchten muss.
Es braucht aber jemanden, der vorangeht. Wie wärs, Urs Gasche?