SF umgeht eigene Leitlinien
So kurz vor den Wahlen hätte weder Ständeratskandidat Toni Brunner noch Nationalratskandidat Martin Bäumle bei «Schawinski» auftreten dürfen. SF macht damit die eigenen Leitlinien zu Makulatur. Für Chefredaktor Diego Yanez scheint das kein Problem zu sein.
Am 26. September sass SVP-Parteipräsident Toni Brunner im Talk bei Roger Schawinski. Die Wahlen sind zentrales Thema, ebenso Brunners persönliche Kandidatur für den Ständerat. SF bietet ihm damit die perfekte Profilierungsmöglichkeit. Dasselbe eine Woche später mit dem Zürcher Grünliberalen Martin Bäumle.
Bereits Mitte September machte der Lenzburger Strafrechtsprofessor und SP-Nationalratskandidat Martin Killias mit seiner Kritik am Umgang von SF mit den internen Leitlinien im Sonntags-Blick und auf NZZonline von sich reden. Er kam als «Experte» nicht bei Schawinski zum Zuge, dafür sein unmittelbarer Konkurrent, Jung-SPler Cédric Wermuth. Im Unterschied zu Wermuth (und auch zu Schawinskis früheren kandidierenden Talk-Gästen Karin Keller-Sutter und Peter Spuhler) gilt gemäss den Publizistischen Leitlinien von SRF für Brunner und Bäumle jedoch eine verschärfte Regel im Hinblick auf den Wahltag vom 23. Oktober: «Ab vier Wochen vor dem Urnengang sind keine Auftritte von Kandidierenden oder Exponenten mehr zulässig.» Die Regel gilt auch für Auftritte in Unterhaltungs-, Talk- und Sportsendungen, da hier ein «grosses Profilierungspotenzial» besteht. Die entsprechenden Passagen sind in den Leitlinien sogar fett hervorgehoben.
Was ist ein solches Dokument wert, wenn man die eigenen Spielregeln so einfach über Bord werfen kann? Immerhin sind sie politisch hochwirksam, denn sie sollen die Ausgewogenheit der Parteipräsenz im nationalen Sender besonders im spannungsgeladenen Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen gewährleisten. Chefredaktor Diego Yanez pocht auf seinen Ermessensspielraum. Durch Aktualität diktierte und journalistisch begründete Berichte seien jederzeit möglich. Schawinski bohre nach und lege Widersprüche frei, sagt Yanez: «Die Sendung ist alles andere als eine Plattform.» Damit ist der Publizist Peter Studer, einst selber Chefredaktor vom Schweizer Fernsehen, nicht einverstanden. «Es gibt bestimmt genug Persönlichkeiten ausserhalb des Wahlkarussells, die für die Sendung in Frage kämen.»
Dem Vernehmen nach hat sich Yanez auch vor dem Publikumsrat für eine Abweichung von den Publizistischen Leitlinien stark gemacht; es gebe zu wenig attraktive Talk-Gäste, wenn man keine Kandidaten einladen könne. Obwohl der SF-Chefredaktor ein Schielen auf die Quote bestreitet, wirft diese Praxis ein schlechtes Licht auf das öffentliche Fernsehen. Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss findet solches Gebaren zumindest «ungeschickt», das man sich in Zeiten, wo das gebührenfinanzierte Fernsehen in der Kritik stehe, eigentlich nicht leisten könne: «Man erwartet von der SRG, dass sie sich an ihre Leitlinien hält. Wenn nicht, schafft das Irritation und ein Glaubwürdigkeitsproblem.»