Der Journalist – das neue Haustier
France Télévisions, das öffentlich-rechtliche Fernsehen Frankreichs, startete vergangene Woche mit einer neuen Nachrichtenplattform «France TV info» (FTVI) eine kleine Revolution. Auf einem Livestream mit Aktualitäten im Minutentakt verschränken sich Journalismus und Social Media kongenial. Für den Zuschauer wird der Journalist zum treuen Begleiter, der ihm auf Schritt und Tritt folgt.
24 Uhr. Journalistin Catherine Fournier verabschiedet sich von ihren GesprächstpartnerInnen, deren Fragen und Anregungen sie in den letzten Stunden online beantwortet hat: «Il va être temps de vous quitter. Mon collègue Vincent Matalon reprend la main dès 6h pour une nouvelle journée d’actualité en temps réel.» Sie gibt noch einen kurzen dreizeiligen Ausblick auf die wichtigsten Themen des folgenden Tages.
Der Abend auf www.francetv.fr/info war mit letzten Meldungen zum Filmprojekt von Regisseur Aaron Sorkin über Steve Jobs, mit der Niederlage Djokovic gegen Ferrer im Tennis, mit letzten Eindrücken der Demonstrationen auf dem Tahrirplatz in Kairo und einer allerletzten Frage von Zuschauer Alain ausgeklungen. Der wollte wissen, wer die Rolle von Steve Jobs spielen werde. Fournier nennt George Clooney bzw. Noah Wyle und verweist auch gleich auf den «Figaro» als Quelle der neuesten Gerüchte. Dann ist Pause für sechs Stunden.
Vor einem Jahr präsentierte Schweizer Radio- und Fernsehen SRF seine Social Media-Strategie. Im Vergleich mit France Télévisions nimmt sich der hiesige Ansatz geradezu steinzeitlich oder zumindst stiefmütterlich aus. Der französiche Service public dagegen etabliert mit FTVI einen Dialog zwischen Journalisten und Publikum, der unmittelbar mit journalistisch aufbereiteten Aktualitäten verknüpft ist. Das gab es bis dato nirgends. «Niemand informiert auf diese Weise», sagte vergangene Woche der Verantwortliche Bruno Patino von France Télévisions.
Es gibt keine Ressorts mehr, wie man sie von anderen Newsseiten als Erbe des traditionellen Zeitungsjournalismus kennt. «L’actu en continu», die Aktualität in Folge, gewichtet die Themen nicht. Sie erscheinen in einem ununterbrochenen Fluss von maximal zehn Zeilen langen Kurzmeldungen der Redaktion, von Fotos und Videos, von Tweets sowie Kommentaren, Fragen und Anregungen («Interventions») des Publikums.
Damit verschwindet auch der journalistische Artikel, die Grundkonstante herkömmlicher Medienerzeugnisse. An seine Stelle tritt die Kurzmeldung. Sie ist auf einen Blick erfassbar und verweist, falls vorhanden, per Link auf den vollständigen journalistischen Beitrag dahinter. Die Redaktion von FTVI schöpft dabei aus der Produktion aller 35 Redaktionen von France Télévisions. Website und App fürs Handy (iOS und Android) unterscheiden sich kaum voneinander.
Durch die Newsmeldungen hindurch fliesst wie selbstverständlich der Dialog mit dem Publikum, das sich jederzeit nach Lust und Laune einschalten kann. Erfrischend dabei: Es ist kein Spiel mit Aktion (Journalist) und Reaktion (Leserkommentar), sondern Dialog auf gleicher Augenhöhe. Die Publikumsmeldungen sind knapp und von der Redaktion vermutlich stark moderiert, damit sie angenehm kurz bleiben und den Stream nicht irritieren.
Ans Durcheinander von Fragen, Informationen, Antworten und Kommentaren gewöhnt man sich schnell. Kleine Logos erleichtern die Erkennbarkeit der Beiträge. Wer heute mit Twitter und Facebook lebt, wo bereits nach einer halben Stunde die Welt eine andere ist, der wird auf FTVI diese Gewohnheiten bestätigt finden. Doch der grosse Unterschied: Hier bürgt ein Journalist (die Redaktion des grössten TV-Veranstalters von Frankreich) für die Glaubwürdigkeit der Information. Und der findet auch bequem als App auf dem Smartphone in der Hosentasche Platz oder ersetzt das Haustier.
Gerade schlägt es 6 Uhr früh. Journalist Vincent Matalon übernimmt: «Bonjour à tous! Nous sommes jeudi 24 novembre, il est six heures, et je suis ravi de vous retrouver pour une nouvelle matinée d’information. Comme d’habitude, n’hésitez pas à me communiquer vos questions, remarques, et bons liens trouvés sur le web.»
Florian Imbach 28. November 2011, 13:23
Danke für den interessanten Artikel. Werde das Angebot testen 🙂 Aber hey, verlinke doch das nächste mal auch gleich die Accounts und Adressen in deinem Text wenn wir doch schon online sind, oder?