Nicht meine Zeitung
Seit Ende November kann man in Deutschschweizer Städten MyNewspaper abonnieren. Ein Jahr lang will die Schweizerische Post testen, ob es für eine personalisierbare Tageszeitung einen Markt gibt. Die MEDIENWOCHE hat MyNewspaper angeschaut und neben den Kinderkrankheiten vor allem grundlegende Mängel entdeckt.
Was ist MyNewspaper eigentlich genau? Die Zeitung der Zukunft oder eine weitere Spielerei mit den technischen Möglichkeiten des modernen Nachrichtenwesens? Es sei ein «zusätzlicher Absatzkanal» für Verlage und ihre Zeitungen, sagt die schweizerische Post, unter deren Leitung das Projekt läuft. Von einem «Nischenangebot» spricht man bei Tamedia. Das Zürcher Medienhaus stellt sechs seiner Zeitungen für den individuellen Nachrichtenremix bereit. Mit dieser Einordnung dürfte Tamedia vermutlich richtig liegen. Darauf weisen auch die angestrebten Nutzerzahlen hin für den einjährigen Markttest von MyNewspaper. Die Post möchte 900 Leute erreichen mit dem neuen Angebot; wahrlich eine Nische.
Wie das Zielpublikum aussieht, lässt sich an den Eckwerten des Projekts ablesen: Ein Abonnement der gedruckten Ausgabe kostet je nach Blattumfang zwischen 720 und 1320 Franken im Jahr, nur als E-Paper gibt es MyNewspaper für rund einen Drittel des Printtarifs. Es muss also schon ein grosser Freund des heimischen Zeitungsschaffens sein, wer bereit ist, so tief in die Tasche zu greifen. Umso mehr, als dass sich die Titelauswahl bisher, abgesehen von ein paar Ausnahmen, auf Regionalzeitungen beschränkt. Das soll sich noch ändern. Mit weiteren Verlagen fänden derzeit Verhandlungen statt, sagt Post-Sprecher Mariano Masserini. Der «Blick» von Ringier komme demnächst dazu, bestätigt Caroline Thoma, Geschäftsführerin Blick-Gruppe.
Mit anderen musste gar nicht erst verhandelt werden, weil sie den Sinn des Projekts nicht sehen. So zeigt etwa die Neue Zürcher Zeitung keinerlei Interesse an MyNewspaper. Marius Hagger, Leiter Verlage NZZ, sagt es kurz und bündig: «Ich sehe weder ein Kundenbedürfnis noch ein erfolgreiches Geschäftsmodell hinter diesem Versuch.» Während sich diese Einschätzung erst noch bewahrheiten muss, nennt Hagger auch grundsätzliche Einwände gegen die personalisierbare Tageszeitung: «Wir erachten es aus Gründen der Positionierung und der Markenführung als wenig sinnvoll, unsere Premium-Brands unter dem Label ‚MyNewspaper‘ mit irgendwelchen anderen Marken und Inhalten zu vermengen.»
In der Tat: Wer durch eine Ausgabe von MyNewspaper blättert, verliert schnell den Überblick, welche Seite nun aus welcher Zeitung stammt. Zwar wird das Originallayout übernommen, aber es fehlt beispielsweise der Zeitungskopf, der als zentrales Identifikationsmerkmal der Marke dient. Stattdessen prangt der Schriftzug von Mynewspaper auf der Titelseite. Als Einbundzeitung verschwindet zudem die ursprüngliche Blattarchitektur; es bleibt der nackte Content.
Auch anderweitig vermag die Anmutung der Zeitung nicht zu überzeugen, wobei die Post die Probleme teilweise erkannt hat. Etwa bei der Druckqualität. Die ist zurzeit noch unbefriedigend. Mit einem bleichen Schleier überzogen, erscheinen die einzelnen Zeitungsseiten. Laut Post-Sprecher Masserini soll das Druckverfahren optimiert werden.
Keinen Spielraum gibt es dagegen bei der Zustellung. «Meine Zeitung» kommt erst mit der regulären Postzustellung im Laufe des Morgens. Eine Frühzustellung sei aus logistischen Gründen «fast nicht möglich», heisst es bei der Post und sei auch nicht vorgesehen. Ebenso gibt es keine Papierausgabe am Samstag. Ein Ärgernis. Ausgerechnet an einem Tag mit grossem Zeitbudget erscheint das Blatt nicht. Für diesen Fall verweist die Post auf das E-Paper, das im Abonnement inklusive angboten wird.
Allein die technische und logistische Fähigkeit, Zeitungen auseinanderzudröseln und neu zusammenzustellen, bedeutet noch lange nicht, dass diese Art der Nachrichtendarreichung auch sinnvoll ist. Ausserdem ist es mit der Personalisierung nicht weit her, weil sie in einem engen Korsett steckt. Die Post versucht die Möglichkeiten des Web zu imitieren, scheitert aber an den starren Rahmenbedingungen des Print. «Auf ihre Interessen zugeschnittenen Lesestoff» gibt es online schon lange, im Netz lesen die Leute ihre «Zeitung nach Mass», nicht mit einer Kopfgeburt wie MyNewspaper.
Vladimir Sibirien 08. Dezember 2011, 16:03
Die Post hat doch bereits in der jüngeren Vergangenheit (gefühlte 2008/2009) einen derartigen Feldversuch durchgeführt. IIRC in Zusammenarbeit mit einer deutschen Firma und einer Schweizer Fachhochschule. Allerdings wurde dort das Branding des jeweiligen Hauses beibehalten.
Wie ist eigentlich die Bewertung dieses Feldversuches ausgefallen? Gab es da ein offizielles Statement?
Nick Lüthi 09. Dezember 2011, 02:36
Genau. Personalnews, hiess dieser Machbarkeitstest. Das neue Projekt hat damit nicht mehr viel zu tun, deshalb habe ich auch nicht so weit ausgeholt. MyNewspaper ist ein kostenpflichtiger Marktpilot, Personalnews war gratis. Deshalb musste die Post auch mit den Verlagen neu verhandeln und konnte nicht einfach die Zeitungen übernehmen, die bei Personalnews dabei waren. Mit der Folge, dass die Titelauswahl zum Start sehr dürftig ausfiel. Wer liest schon Südkurier oder La Voz de Galicia, die beiden «internationalen» Titel im Angebot.
Vladimir Sibirien 09. Dezember 2011, 07:52
Hehe, in der Tat nicht gerade das Gelbe vom Ei. Bei PersonalNews waren zumindest Blätter wie Herald Tribune mit am Start…
Grundsätzlich ist das Produkt ein Rohrkrepierer. Denn das Zusammenstellen von Informationen ist die ureigenste Aufgabe einer Redaktion. MeineZeitung baut nochmals eine Metaebene oben drauf – ein Konzept, das man überall wiederfindet (Meta-Suchmaschinen, Jobportale…). Überall dort, wo Inhalte vorhanden sind, kommt einer und versucht, einen Zusatzwert draufzupappen und abzukassieren. Aber: Eine Zusammenstellung einer Zusammenstellung braucht es nicht und läuft wie im Artikel erwähnt den Marketingstrategien der Zeitungen diametral entgegen. Bin mal gespannt, wie lange die Post für diese Erkenntnis braucht…
Jan Zuppinger 09. Dezember 2011, 07:40
Interessanterweise habe ich mir genau solch eine modulare Zeitung lange gewünscht. Die Aufgliederung ist hier jedoch fast zu spezifisch. Ich dachte meist an ein Abonnement einzelner Faszikel, den Internationalen/Schweiz Bund der NZZ, den Regionalbund vom Lokalblatt, den Sport vom Blick, Wirtschaftsbund – nein danke etc. Die Kritikpunkte, die du anbringst, sind aber deutlich und schon der Preis schreckt wirklich enorm ab. Ich teste es jedenfalls erst wenn der Blick dazustösst, wegen dem Sport ;p Und die NZZ müsste halt schon mit am Start sein.
So, und wenn wir schon bei Wünschen sind, was ich mir jetzt in der Schweizer Medienlandschaft noch wünsche ist ein Blatt wie Internazionale (Italien) oder Courrier International (Frankreich), in dem kritische und gut recherchierte Longreads aus der internationalen Presse thematische gebündelt und übersetzt werden. Das ist cool.
http://www.internazionale.it/
http://www.courrierinternational.com/
Patrick Gluck 09. Dezember 2011, 09:50
Ich freue mich über das innovative Produkt. Es ist jetzt gerade mal 10 Tage auf dem Markt und ich bin sicher, dass die Post aus dem Kundenfeedback lernen und Konsequenzen ziehen wird. Zugegeben: die Optik und der Preis können verbessert werden.
Aber schauen wir uns doch mal an, was da geleistet wurde: Konkurrierende Verlage schicken ihre Inhalte zeitgleich an einen Dritten (Post) um dort aufbereitet und gedruckt zu werden. Wohlgemerkt: redaktionelle Inhalte und nicht irgendwelche Collections von Online-Portalen. Und dies gleichzeitig wie das Originalprodukt auf die Druckmaschinen läuft. Alleine hierfür gebührt der Post Anerkennug.
Die Einbindung von sicheren Zahlungsabläufen und einem hochflexiblen Logistikprozess (Änderung von Inhalt und Lieferadresse am Abend wird noch in der gleichen Nacht entsprechend produziert), ist etwas wo noch lange nicht jeder traditionelle Verlag in Topform ist.
Jetzt kommt es darauf an, wie gut die Post das Kundenfeedback einfliessen lässt und aus dem ersten Versuch ein echtes, „sexy“ Produkt macht. Ich schätze die Chancen als intakt ein.
Ueli Custer 09. Dezember 2011, 17:56
Ich kann die Einschätzung von Nick Lüthi nur teilen. Die Post wird nicht einmal 100 Abonnenten finden. Auch die Einschätzung von Marius Hagger ist korrekt. Oder wäre es vorstellbar, dass man sich regelmässig Kosmetika von verschiedenen Marken in einem Paket liefern lassen könnte? Ich glaube kaum, dass sich die betreffenden Hersteller bzw. Importeure eine solche Verwässerung ihrer Marke auch nur überlegen würden. Die Bezeichnung Kopfgeburt trifft den Nagel jedenfalls auf den Kopf.
Interessant wäre, wie dies Jan Zuppinger erwähnt, in der Tat ein schweizerischer Courrier International – mit den interessantesten Artikeln der Weltpresse in deutscher Übersetzung. Da würde ich sofort Geld dafür ausgeben.