von Nick Lüthi

Problematisches Pseudonym

Der Banker und Börsenkolumnist François Bloch («Inside Bahnhofstrasse» im Tages-Anzeiger) schreibt im «Sonntag» als Boris Feldmann. Diente das Pseudonym ursprünglich dazu, seine publizistische Tätigkeit vor einem früheren Arbeitgeber zu tarnen, so ist es heute nur noch eine Irreführung der Leser. «Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller hat damit kein Problem.

Wer mit verschiedenen Identitäten jongliert, kann das Publikum schon mal verwirren. Das tat auch François Bloch, als er am 8. Januar auf der Website des «Sonntag» einen Artikel kommentierte, den ein Boris Feldmann geschrieben hatte. Bloch trat dabei in der Rolle als Autor auf. Was nun? Ist Bloch Feldmann? Oder masst sich ein Dritter an, im Namen des Autors aufzutreten? Die Erklärung ist in der Technik zu finden: Der «Sonntag» nutzt das Kommentarmodul von Facebook und Bloch hat für sein Alter Ego offenbar keinen Facebook-Account eingerichtet, mit dem er als Feldmann hätte kommentieren können.

Ein Outing war das freilich nicht. Denn das Geheimnis um Blochs zweite Identität hat der Sonntagsblick bereits vor zwei Jahren gelüftet, und die Bilanz hat später die Hintergründe ausgeleuchtet. So soll Bloch deshalb unter Pseudonym beim «Sonntag» publiziert haben, weil er seine publizistische Tätigkeit dem damaligen Arbeitgeber gegenüber verschleiern wollte. Doch die Tarnung flog auf. Trotzdem lebt der fiktive Boris Feldmann weiter. Bis heute. Woche für Woche tritt er im «Sonntag» als Geldberater in Erscheinung.

Dass es sich beim Autor um einen Banker handelt, verschweigt die Zeitung seinen Lesern. Der Name Boris Feldmann erweckt den Eindruck, als handle es sich beim Autor um eine Person, die tatsächlich so heisst. Wer sich über die Identität des Journalisten kundig machen will, wird in die Irre geführt. Mit den Suchbegriffen «Boris Feldmann» und Sonntag finden sich im Web keine Hinweise auf die wahre Identität des Autors. Auch macht der «Sonntag» diese nirgends transparent. Einen entsprechenden Hinweis sucht man vergeblich.

Die Identitätsspielerei mutet vor allem deshalb sonderbar an, weil Bloch im Tages-Anzeiger unter seinem bürgerlichen Namen die Kolumne «Inside Bahnhofstrasse» veröffentlicht. Sowohl Bloch als auch «Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller begründen auf Anfrage die seltsame Praxis mit dem verbreiteten Usus unter Börsenkolumnisten, Künstlernamen zu verwenden. Bloch nennt als Beispiele LEX und Alphaphille (Financial Times), sowie «Heard on the Street» im Wall Street Journal; er hätte auch noch Frank Goldfinger von der Bilanz anfügen können.

Das macht die Sache aber nicht besser. Denn die genannten Unbekannten lassen auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um Fantasienamen handelt. Das widerspricht zwar auch dem Transparenzgebot, aber der Leser weiss wenigstens, dass ihm hier jemand die wahre Identität vorenthält. Was man bei Boris Feldmann nicht behaupten kann. Auch auf erneute Nachfrage hin verweist Patrik Müller auf die legitime Verwendung von Künstlernamen. Und: Wenn Feldmann ein Problem sei, müsste man «wenn schon (..) Pseudonyme/Künstlernamen gänzlich in allen Medien untersagen…».

In der Tat ein möglicher Ansatz. Müller könnte mit gutem Beispiel vorangehen und Bloch nur noch als Bloch schreiben lassen. Transparenz zu schaffen, wäre vor allem deshalb angebracht, weil Feldmann bisweilen sehr unmissverständliche Tipps gibt, wovon die Finger zu lassen und welche Finanzprodukte top seien. Der Leser hat ein Anrecht darauf zu erfahren, dass diese Informationen von einem praktizierenden Banker stammen und nicht von irgendeinem «Geldberater».

Es gibt durchaus Fälle, wo eine pseudonyme Autorschaft unproblematisch erscheint. Insbesondere dann, wenn um die Doppelidentität keine Geheimniskrämerei betrieben wird. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Sei dies der Basler Kolumnist -minu (Hans-Peter Hammel) oder der deutsche Blogger und Autor Rainer Meyer alias Don Alphonso. Auch kann es eine heikle Recherche rechtfertigen, nicht unter dem eigenen Namen zu publizieren. Vor allem dann, wenn der Autor mit negativen Folgen rechnen muss.

Verbriefte Spielregeln für den Umgang mit Pseudonymen gibt es nicht. Der Presserat als Selbstkontrollorgan der Branche hat sich noch nie zur Frage der Offenlegung der Autorenidentität geäussert. Martin Künzi, Sekretär des Gremiums, verweist auf die Analogie zu den Empfehlungen für Leserkommentare. In einer aktuellen Stellungnahme hält der Presserat fest, dass Kommentare im Grundsatz namentlich zu zeichnen seien. Ausnahmsweise soll es aber möglich sein, unter Pseudonym aufzutreten. Das gelte auch für Journalisten, so Künzis persönliche Meinung, «wenn sie dafür gute Gründe geltend machen können». Bloch und Müller indes können keine solchen Gründe nennen.

Leserbeiträge

bugsierer 18. Januar 2012, 19:04

bedenklich irgendwie, dass sie das beim sonntag heute immer noch so durchziehen. geht doch nicht, auf dauer. sieht doch ein blinder. seit jahren ist es absehbar, dass sowas in der netzgesellschaft nicht mehr geht. erst recht verwunderlich ist es, dass ausgerechnet der in den letzten monaten so netzaffin gewordene sonntag sowas immer noch verteidigt.

*kopschüttel*