von Nick Lüthi

Wer will schon Hämorrhoiden?

Service public im digitalen Zeitalter ist ohne Social Media nicht denkbar. Noch tun sich die öffentlich-rechtlichen Medien mit den neuen Kanälen schwer. Sie sehen darin primär eine Gefahr. So auch das Schweizer Radio und Fernsehen.

Diese Empfehlung hat es in sich: «Verbrennen Sie Ihre Social Media Guidelines!», schreibt Richard Gutjahr, Moderator beim Bayrischen Rundfunk, jungen Journalistinnen und Journalisten ins Stammbuch. Eine überflüssige Schikane, findet der Journalist. «Wenn man solche Social Media Guidelines liest [jene der ARD, Anm. d. Red.], hat man hinterher soviel Lust auf Facebook, Twitter oder Blogs wie auf Hämorrhoiden. So notwendig wie die Packungsbeilage zu einer Glasflasche, auf der die Worte stehen: Vorsicht Gift!» Nur eine einzige Regel, so Gutjahr, sei zu befolgen: «Sei kein Idiot.» So einfach geht das. Dumm nur, dass nicht alle das Gleiche unter einem Idioten verstehen. Unter anderem deshalb gibt es schriftliche Regeln.

Wenn nun ausgerechnet ein Mitarbeiter eines öffentlich-rechtlichen Senders seine abgrundtiefe Verachtung für Social Medien Guidelines kundtut, dann entbehrt das nicht einer gewissen Pikanterie. Denn der gebührenfinanzierte Rundfunk achtet besonders genau darauf, dass seine Angestellten nicht über die Stränge schlagen. Das leiten sie aus ihrem öffentlichen Auftrag ab und der Verpflichtung, politisch neutral zu berichten. Entsprechend restriktiv lesen sich die Bestimmungen dafür, was Radio und TV-Journalisten auf Twitter, Facebook oder in einem Blog veröffentlichen dürfen. Beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF lautet das oberste Gebot, abgeleitet aus den Publizistischen Leitlinien: Wir veröffentlichen «grundsätzlich keine Äusserungen zu politischen und religiösen Themen».

Gegen diese «verbindliche Richtlinie» sei jüngst «immer wieder» verstossen worden, heisst es in einem aktuellen Newsletter der Radio-Chefredaktion. Als Belege dafür werden Tweets und Facebook-Einträge genannt, wie etwa: «Unglaublich, wie Christoph Blocher die politische Agenda nach seinen eigenen Regeln bestimmt.» oder «Hildebrand muss gehen – eine schreiende Ungerechtigkeit.». Daraus die Grenzen des Erlaubten abzuleiten, ist aber nicht ganz einfach. Denn es sind Nuancen, die einen Verstoss ausmachen. So verkommen die vermeintlich klaren Regeln zu einer unsichtbaren roten Linie.

Die ebenso strengen wie auch schwammigen Bestimmungen verfehlen ihre disziplinierende Wirkung offenbar nicht. So fällt beispielsweise auf, dass sich Radio- und Fernsehleute auf Twitter – dem Social-Media-Kanal der Stunde – nur selten an den teils intensiv geführten und oft ergiebigen Mikrodebatten zu Medien und Politik beteiligen. Wie sollten sie auch, ohne gegen das interne Regelwerk zu verstossen.

In diesem engen Korsett bleibt den SRF-Mitarbeitenden nicht viel anderes übrig als harmlos belanglos zu kommunizieren und Social Media bestenfalls zur reinen Faktenvermittlung einzusetzen. Oder sie verzichten gleich ganz darauf, Twitter, Facebook oder Google Plus als Diskussionsplattform zu nutzen. Denn im äussersten Fall kann ein Regelverstoss die Kündigung nach sich ziehen. So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen. In mindestens einem Fall hat aber ein Redaktor seine Aktivitäten bei Social Media komplett eingestellt, weil er das Risiko nicht eingehen wollte, die unsichtbare rote Linie zu übertreten.

Ein moderner Service public verpasst einen wichtigen Schritt in die Zukunft, wenn er Social Media als Gefahr betrachtet. Denn Twitter & Co. haben sich als Plattformen der medialen Selbstbeobachtung und -kontrolle etabliert. Und wer, wenn nicht die gebührenfinanzierten Medien wären ihrem Publikum gegenüber zu grösstmöglicher Transparenz verpflichtet? Nun braucht man nicht gleich die Social-Media-Leitlinien zu verbrennen, wie Richard Gutjahr das propagiert. Es würde schon reichen, wenn die Mitarbeitenden zuerst einmal ermuntert werden und ihnen nicht mit einem Verbotskatalog die Lust genommen wird, in Social Media aktiv zu werden. Dass das auch bei öffentlichrechtlichen Medien geht, zeigt der Norddeutsche Rundfunk mit seinen Social-Media-Regeln: «Ungeachtet solcher eventuellen Fallstricke ermuntert der NDR Redaktionen und Mitarbeiter, den Austausch mit dem Publikum verstärkt zu pflegen und so – direkt oder indirekt – für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu werben.»

Leserbeiträge

Manuel Puppis 07. Februar 2012, 19:44

Ich stimme DIr ja zu, dass gerade der Service public auch auf neuen Plattformen präsent sein muss (wobei natürlich gilt, dass gewisse Qualitätsstandards einzuhalten sind).

Doch die Vorsicht ist ja politisch durchaus zu verstehen, jedenfalls so lange jede Aktivität im Onlinebereich mit Argusaugen beobachtet wird. Zudem sind die öffentlichen Sender auch gesetzlich eingeschränkt. Am Absurdesten finde ich das ORF-Gesetz, dass dem ORF jegliche Verlinkung und Aktivität in sozialen Netzwerken verbietet. (siehe http://derstandard.at/1328162361795/Online-Praesenz-Oe3-bis-ZiB-Medienbehoerde-verbietet-ORF-39-Facebook-Seiten)

bugsierer 08. Februar 2012, 17:05

ich verstehe die zurückhaltung eigentlich auch, immerhin sind die journalisten noch am üben. zumindest die, die sich in die social media kanäle vorgewagt haben, was immer noch eine kleine minderheit ist und von dieser minderheit sind die meisten noch kaum ein jahr dabei. und die meisten sollten tatsächlich den tipp von gutjahr (sei kein idiot) beherzigen, denn vielen schurniaccounts sieht man nicht an, dass sie was mit medien machen.

das problem an den reglementen ist natürlich, dass sie von leuten gemacht werden, die die kanäle auch nicht kennen. dabei ist es doch heutzutage unbestritten, dass man social media nur verstehen, beurteilen und strategisch ins eigene unternehmen einbetten kann, wenn mans selber gemacht, gelernt und begriffen hat. statt es selber zu machen, haben die chefs die neuen kanäle zuerst ignoriert, dann verdrängt, dann schlechtgeredet, dann unter dem druck der massenhaften verbreitung halbherzig mit gefälltmirbuttons eingebunden und dann reglemente formuliert, in denen sie ihr grösstes kapital (journalisten) an die kurze leine nehmen.

das wird genausowenig gut kommen, wie das bankgeheimnis gut kam.

Nick Lüthi 12. Februar 2012, 22:12

Was auch auffällt in diesem Zusammenhang: Leitende SRF-Mitarbeiter gibt es praktisch keine, die Social Media aktiv nutzen, geschweige denn, sich in die interessanten Debatten reinhängen. Bei den Zeitungsverlagen dagegen twittern zahlreiche Chefredaktoren und ihre Stellvertreter. Und das wiederum wirkt sich positiv auf die Redaktionen aus, die in ihren Vorgesetzen ein Vorbild für die Nutzung von Social Media haben. Bei SRF fehlt diese Kultur.