Leidenschaft statt Larmoyanz
Der Journalismus hat eine grosse Zukunft vor sich, ist Heribert Prantl überzeugt. Doch steht er sich dabei selbst im Weg, als die grösste Bedrohung für die Pressefreiheit. Der Inlandchef der Süddeutschen Zeitung und frühere Staatsanwalt hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die Zeitung der Zukunft – ob sie auf Papier oder im Netz erscheint, ist ihm einerlei.
Wo «Zukunft des Journalismus» draufsteht, ist oft nur Science-Fiction drin: Fantastische Wunderwelten, viel Technik, schreibende Roboter und künstliche Intelligenz. Wenn Heribert Prantl von der «Zukunft des Journalismus» spricht, dann meint er zuerst die Gegenwart. Drei Vorlesungen, die der Redaktor der Süddeutschen vor einem Jahr an der Uni Wien gehalten hatte, sind nun als Buch erschienen.
Prantls Diagnose liest sich wenig erbaulich. Nicht, weil er schwarzmalt, sondern weil Prantl den Finger dorthin legt, wo es wehtut. Nur: Wer spürt das noch? Eine grössere Bedrohung als staatliche Gängelung, stellten «die geistigen Zwangsjacken» dar, «die sich der Journalismus selbst anzieht.» Die Liste der hausgemachten Hindernisse ist altbekannt, aber deshalb nicht minder aktuell: Vermischung von Journalismus und PR, fehlende Ressourcen, Generalisten ersetzen Spezialisten, Exklusiveritis und Indiskretionsjournalismus.
Damit verspiele der Journalismus den verfassungsmässig garantierten Schutz durch das Grundrecht der Pressefreiheit – und dann «verlieren Zeitungen ihre Zukunft.» Nicht die technologische Entwicklung, nicht das Internet sieht Prantl als Bedrohung für die Zeitung, sondern der Journalismus selbst. Wobei Prantl «Zeitung» nicht als bedrucktes Papier begreift, sondern als Periodikum und publizistische Plattform mit der noblen Aufgabe eine «demokratische Mittlerrolle» zu spielen, unabhängig von seiner physischen Erscheinungsform. Auf die ewige Debatte Papier vs. Online lässt sich Prantl gar nicht erst ein. Er sagt nur: «Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien. So einfach ist das.»
Anders als manche Zeitungsmacher über 50 pflegt Prantl überhaupt ein sehr entspanntes Verhältnis zum Internet, ja sogar Blogs findet er eine ganz gute Sache, da sie dort einspringen können, wo der Journalismus versagt. Bezeichnenderweise nennt er hier aber kein Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum, sondern eines aus den USA: Als die Zeitungen in der Bush-Ära «fast komplett versagt» hätten, seien Blogs «als eine demokratische Not- und Selbsthilfe» eingesprungen.
Für die wirtschaftliche Herausforderung von Medienunternehmen hält Prantl eine simple Regel parat: «Wenn die journalistische Bilanz (..) stimmt, dann stimmt langfristig auch die ökonomische.» Denn Qualität schaffe Vertrauen und damit «kommen auch Klicks, Reichweiten und Auflage.» Doch ganz so einfach verhält es sich mit dem Vertrauen nicht. Ein Teil des verloren gegangenen Vertrauens in die Medien lässt sich nicht mehr zurückgewinnen. Zu Fragen der praktischen Lebensgestaltung hat der Journalismus die Lufthoheit verloren. Welche Musik wir hören, wohin wir in die Ferien verreisen, für solchen Rat vertrauen wir vermehrt online vermittelten «Freunden» und algorithmisch generierten Geschmacksempfehlungen. Dagegen hat selbst der beste und integerste Journalismus einen schweren Stand.
Umso wichtiger, dass der Journalismus in seinen Kerngeschäft, dort wo er «systemrelevant» ist, nicht versagt. Voraussetzung dafür sei Haltung und die Bereitschaft, in einem Kommentar oder Leitartikel Partei zu ergreifen, «nicht für eine politische Partei, sondern für eine Sache.» Das erfordert Sachkunde und die Fähigkeit zu formulieren. Prantl geht hier mit gutem Beispiel voran. Seine Kritik am Journalismus der Gegenwart ist radikal und fundiert, ohne dabei in Larmoyanz oder Kulturpessimismus zu verfallen. Zu fest ist er von der Zukunft des Journalismus überzeugt. Der Optimismus, den er versprüht, wirkt ansteckend und motivierend, was auch der Eloquenz des früheren Staatsanwalts geschuldet ist. Dass es sich beim vorliegenden Bändchen um drei Reden und nicht um eine Schreibe handelt, ist bei der Lektüre nicht zu überhören.
Heribert Prantl: Die Welt als Leitartikel: Zur Zukunft des Journalismus. Theodor-Herzl-Vorlesung, Picus Verlag, Wien 2012.