von Nick Lüthi

«Man kann dem auch Pranger sagen»

Der Schweizer Presserat macht sich nicht nur Freunde in den Medien. Das wird sich auch dann nicht ändern, wenn er künftig öffentlich auflistet, welche Medien sich weigern, die Stellungnahmen zu veröffentlichen, in denen sie gerügt werden. Am Rande der Jahrespressekonferenz des Presserats sprach sein Präsident Dominique von Burg (66) mit der MEDIENWOCHE und erklärte, wo er sein Gremium stärken will und weshalb der Presserat keine gerichtsähnlichen Befugnisse braucht.

MEDIENWOCHE: Der «Blick» hat im letzten Jahr mehrmals darauf verzichtet, mit dem Presserat zu kooperieren und darauf verzichtet zu Beschwerden Stellung zu nehmen. Sinkt die Akzeptanz des Presserats in der Branche?
Dominique von Burg: Das darf man nicht verallgemeinern. Beim «Blick» kommt es zwar regelmässig vor, dass er bei Beschwerden darauf verzichtet, Stellung zu nehmen, aber nicht immer. Es ist seine Sache, ob er mit uns zusammenarbeiten will. Das hält uns aber nicht davon ab, Beschwerden zu behandeln und Stellungnahmen zu publizieren, die den «Blick» betreffen.

Die Geringschätzung der Arbeit des Presserats drückt sich auch darin aus, dass längst nicht alle gerügten Medien die Stellungnahmen veröffentlichen, die sie betreffen. Wünschen Sie sich eine Publikationspflicht?
Es simmt nicht ganz, dass es keine solche Pflicht gibt. Es existiert zumindest eine moralische Verpflichtung dazu, die in der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten festgehalten ist. Aber der Presserat will inskünftig mehr darauf achten, wer den Mindestservice leistet und eine Zusammenfassung der Stellungnahmen veröffentlicht, die das eigene Medium betreffen. Wer da nicht mitmacht, werden wir in Zukunft veröffentlichen.

Ein öffentlicher Pranger also.
Dem kann man so sagen. Aber es gibt sicher schlimmere Pranger.

Der Presserat will stärker werden. Dazu fordert er über die direkte Medienförderung mehr Mittel, die es ihm erlauben, «Studien zu Grundsatzfragen» in Auftrag zu geben. Was wollen Sie genau?
Wir haben vorgeschlagen, eine Art Nationalfonds für Medien zu schaffen, der gewisse Aufträge erteilen könnte. Ein Teil davon würde der Presserat ausführen um gewisse Entwicklungen in den Medien näher zu untersuchen. Gegenwärtig fehlen uns dafür die Mittel.

Soll mit zusätzlichem Geld auch die Arbeit des Presserats professionalisiert werden?
Nein, darum geht es nicht bei diesen Vorschlägen. Es sollen wirklich nur spezifische Aufträge finanziert werden können, die unter der Aufsicht des Presserats erledigt würden.

Was kann der Presserat mit seiner Arbeit überhaupt erreichen, ist er doch ohne Sanktionsmöglickeiten ein zahnloses Gremium?
Uns geht es sicher nicht darum, die Medien anzuprangern. Wir wollen die Diskussion beleben und aufrechterhalten. In dem Kontext sind auch unsere Befugnisse ausreichend und es ist sogar besser, dass der Presserat kein gerichtsähnliches Gremium ist, mit dem ganzen Instanzenweg und Rekursmöglichkeiten. Uns geht es wirklich darum, die Diskussion über Medienethik in Gang zu halten.

Findet diese Diskussion statt?
Allgemein findet sie zu wenig statt. Es gibt zwar Akteure und Foren, Vereine oder auch Social Media, wo es solche Diskussionen gibt. Aber Medienethik geht nicht nur die Medien etwas an, sondern auch das Publikum.

Der Presserat hat seit Jahren ein Problem: Alle Medienschaffenden kennen ihn, aber seine Arbeit hat im Berufsalltag der Journalisten nur eine geringe Bedeutung.
Man muss sehen, dass die Stellungnahmen des Presserats zu befolgen auch nicht immer möglich ist im Arbeitsalltag. Denn es gibt einen enormen Produktionsdruck. Ich sehe die geringe Bedeutung des Presserats in der praktischen journalistischen Arbeit als Teil einer grösseren Entwicklung: Wenn die Mittel der Redaktionen noch mehr abnehmen und der Druck auf die Journalisten steigt, dann fehlt auch die Zeit, um sich noch um berufsethische Fragen zu kümmern.

In seiner Stellungnahme zum «Fall Hildebrand» hat der Presserat geschrieben, dass die Zwei-Quellen-Regel nicht in jedem Fall zu befolgen sei. Ist das eine Konzession an die schwindenden Ressourcen, die sie erwähnt haben?
Die Zwei-Quellen-Regel ist kein berufsethisches Grundgebot und sie steht auch nicht in der Erklärung der Pflichten und Rechte festgeschrieben. Sie ist zwar eine wichtige Faustregel, die mit der Watergate-Affäre eine sehr grosse Beachtung gefunden hat, aber die praktisch – wie andere Faustregeln auch – nicht immer anwendbar ist. Wenn eine zweite Quelle fehlt, müssen allerdings andere Bedingungen erfüllt sein, damit sich eine Veröffentlichung rechtfertigen lässt.