von Nick Lüthi

Schlechter Stil

Detailreich hat Heribert Prantl in einem Zeitungsartikel eine Szene beschrieben, die er nur vom Hörensagen kannte. Ein Fehler? Prantl, der Journalist gewordene Jurist, meint klar: nein. Das trägt ihm Spott und Häme ein.


Es sind Sätze wie diese, die den Eindruck erwecken könnten, dass sich der Journalist tatsächlich in der Küche von Andreas Vosskuhle aufgehalten hatte: «Bei Vosskuhles setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, was aufgetragen wird. Eine Einladung bei dem kinderlosen Juristenpaar (…) beginnt in der Küche.» Doch Prantl war nie Gast beim Präsidenten des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Was er schreibt, kennt er nur vom Hörensagen. In seinem Porträt vom 10. Juli hat das Prantl das aber nirgends deklariert.

Solche Unterlassung kann mitunter gravierende Folgen haben. Vor einem Jahr musste das «Spiegel»-Reporter René Pfister erfahren. Weil er – ähnlich wie jetzt auch Prantl – den Einstieg zu seinem preisgekrönten Porträt des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ohne eigenen Augenschein verfasst hatte, wurde ihm der zuvor verliehene Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage aberkannt. Ein harter Entscheid, der umso unverständlicher ist, weil die Jury den Text gar nicht in den Wettbewerb hätte aufnehmen müssen, wenn sie so strenge Massstäbe anlegen will.

Die Journalisten Prantl und Pfister haben nicht das Publikum getäuscht mit fabrizierten Fakten und frei erfundenen Begebenheiten. Mit ihren Schilderungen, die auf Beobachtungen Dritter basieren, kommen sie der Realität vielleicht sogar näher, weil sie sich nicht nur und auf ihre eigene subjektive Wahrnehmung abstützen. Die Krux: Je plausibler sich eine solche Schilderung liest, desto stärker geht der Leser von der Anwesenheit des Reporters am Schauplatz aus – und reagiert irritiert bis empört, wenn er das Gegenteil erfährt.

Dessen war sich wohl auch die Redaktion der Süddeutschen Zeitung bewusst. Sie bedauere diesen «Fehler», schreibt die Redaktion. Derweil verteidigt Prantl sein Vorgehen: Aus dem Text gehe hervor, dass er nicht selbst in der Küche des Gerichtspräsidenten anwesend gewesen sei. Schliesslich habe er seine Person an keiner Stelle eingeführt. Das stimmt. Wobei Journalisten grundsätzlich nur ungern in der ersten Person schreiben. Insofern könnte das «man» in Prantls Schilderungen durchaus als Platzhalter für das verpönte «ich» gelesen werden.

Aber ist das ein Fehler? Oder nur schlechter Stil? Gemessen an den öffentlichen Reaktionen muss Prantl etwas ganz Schlimmes gemacht haben. Aus vielen Kommentaren trieft die Schadenfreude nur so. Ätsch-bätsch, jetzt hats ihn erwischt, selber schuld! Oder im O-Ton: «Verdiente Häme für seinen Narzismus.» Dieser Unterton ist auch in der satirischen Retourkutsche in der «Welt» nicht zu überlesen, wo der Autor eine Küchenszene im Hause Prantl schildert – vom Hörensagen. Das liest sich lustig, bringt aber die Diskussion nicht weiter. Vielleicht eignet sich der Fall Prantl auch gar nicht, um die einwandfreie Machart der Reportage zu verhandeln, weil die Prominenz des mutmasslichen Missetäters einer sachlichen Debatte im Weg steht.

Leserbeiträge

René Zeyer 05. August 2012, 11:00

Ich hoffe, mit O-Ton ist nicht orthografieloser Ton gemeint, denn Narzissmus hat zwei s. Oder es ist Nazismus gemeint, aber das wäre dann wieder etwas anderes. Wie auch immer, das ist nicht mal schlechter Stil, sondern sondern schlechte Rechtschreibung …

Armin Wertz 06. August 2012, 09:46

Lieber Herr Lüthi,

„von unserem ins Archiv entsandten Sonderkorrepondenten“ spotten Redakteure regelmässig, wenn sie die oft nur aus Zeitungsclippings zusammengeschusterten Artikel aus dem Ausland etwa im Spiegel oder Stern kommentieren. Warum also nun die Aufregung um die Wiedergabe von Eindrücken Dritter in einer Reportage des Herrn Prantl? Jeder Spiegel-Leser weiss doch, dass der Spiegelautor bei seinen Recherchen etwa über die Debatte um die Kanzlerkandidatur der SPD nicht unter Herrn Gabriels Tisch gesessen hat, auch wenn es sich so liest.

Die Debatte scheint mir doch much ado about nothing, oder?

Mit freundlcihen Grüßen,

Armin Wertz