von Nick Lüthi

Tamedia lässt Fremde an seine Daten ran

Das Medienhaus Tamedia will einen Schritt auf die Software-Welt zu machen und lädt Anfang März zu einem Entwicklerwettbewerb ein. Nach einem ersten Aufruf musste Tamedia massive Kritik einstecken: Der Milliardenkonzern wolle sich auf fremde Kosten bereichern und von der Gratisarbeit Dritter profitieren. Ein Missverständnis, sagt Mike Herter, der bei Tamedia für «Open Development Projects» verantwortlich ist.

MEDIENWOCHE: Herr Herter, sind Tamedia die Ideen ausgegangen?
Mike Herter: Nein, überhaupt nicht. Bei den «Open Development Projects» geht es ja auch nicht darum, irgendwo Ideen abzukupfern, wie uns das anfänglich unterstellt wurde. Vielmehr wollen wir uns öffnen und Software- und Projektentwicklern die Möglichkeit geben, mit unseren Daten zu arbeiten.

Wie ist die Idee zu «Open Development Projects» entstanden?
«SonntagsZeitung»-Redaktor Barnaby Skinner kam eines Tages mit der Idee auf mich zu. Er kennt von seiner Arbeit als IT- und Multimediaredaktor solche Veranstaltungen aus dem Silicon Valley und von anderen Medienhäusern.

Gibt es ein Vorbild?
Kein konkretes, wir haben uns verschiedene Modelle angeschaut und daraus nun eine Veranstaltung entwickelt, die zu den Gegebenheiten von Tamedia passt. Im Gegensatz beispielsweise zu «Media Entrepreneurs» von Axel Springer sind unsere Ressourcen viel kleiner. «Open Development Project» verstehen wir in erster Linie als Versuchsballon. Es geht vor allem darum, den Anschluss an die kreative IT-Szene zu finden und uns enger mit dieser zu vernetzen und auszutauschen. Wenn wir diese erste Veranstaltung im März für beide Seite gewinnbringend gestalten können, ist beispielsweise eine jährliche Durchführung der „Open Development Projects“ durchaus denkbar.

Die erste Ankündigung im November ist vielen in den falschen Hals geraten. Was hat Tamedia falsch gemacht?
Wir haben mehrere Fehler gemacht. Da war zuerst einmal der Name: «Open Development Projects» impliziert offene Projekte. So offen war das dann aber nicht in der ersten Ausschreibung, weil wir nur zwei vordefinierte Projekte ins Rennen geschickt haben. Der zweite Fehler waren die Teilnahmebedingungen. Wir haben die viel zu restriktiv formuliert, was auch damit zu tun hat, dass die Inhalte von Tamedia urheberrechtlich geschützt und nicht offen im Sinn von «open data» sind. Das haben wir nun wo weit wie möglich korrigiert. Und schliesslich lief auch die Kommunikation nicht ideal. Wir hätten klarer informieren müssen, dass es sich um einen Testlauf handelt.

Konnte das Vertrauen wieder hergestellt werden?
Wir sind auf alle Kritikpunkte eingegangen und haben versucht so viel Offenheit in das Projekt reinzubringen, wie das möglich ist. Mit 20 Minuten Online, search.ch und Doodle stellen drei weitere Bereiche Daten zur freien Entwicklung zur Verfügung. Auch die Teilnahmebedingungen haben wir signifikant geändert. Die Rechte an den Projekten gehören vollumfänglich den Entwicklern. Ausser natürlich bei den Daten, die Tamedia zur Verfügung stellt.

Wie waren die Reaktion auf die Kurskorrektur?
Bis jetzt sind mir keine negativen Rückmeldungen bekannt. Aber viele Twitterer mit grosser Follower-Schar haben unsere Ankündigung retweeted, was ich als sehr positive Reaktion werte.

Mit wie vielen Teilnehmern rechnet Tamedia?
Aus praktischen Gründen gibt es eine Beschränkung auf 50 Personen. Ich gehe davon aus, dass so viele kommen werden. Zur Zeit haben sich bereits rund zwanzig Personen angemeldet, ohne dass wir gross Werbung für den Anlass gemacht hätten.

Was kann die Motivation sein, an der Veranstaltung teilzunehmen? Gibt es gut dotierte Preise für die Siegerprojekte?
Wir haben sicher adäquate Preise, sie sollen aber nicht im Zentrum stehen. Wir wollen Leute anziehen, die mit Leidenschaft am Wettbewerb teilnehmen und die Interesse haben, sich mit diversen Exponenten von Tamedia direkt auszutauschen.

Als börsennotierter und renditegetriebener Konzern hat Tamedia sicher nicht die besten Voraussetzungen, um als Partner im Bereich freie Software-Entwicklung ernst genommen zu werden.
Das mag so sein. Aber mich haben die heftigen Reaktionen auf unsere erste Ankündigung im November trotzdem überrascht: Tamedia als böser Goliath, der die Software-Entwickler abzocken will. Ich bin dann auf jede Kritik einzeln eingegangen und hatte das Gefühl, dass man mich ernst nimmt. Vielleicht konnte ich so gewisse Vorurteile abbauen.

Bisher hat Tamedia im Online-Bereich vor allem Unternehmen gekauft, etwa search.ch oder doodle.ch. Will man nun vermehrt selbst entwickeln?
«Open Development Projects» darf nicht überbewertet werden. Die Initiative ist nicht Teil einer übergeordneten Strategie von Tamedia. Vielleicht ist es ein erster kleiner Schritt eines Wandels hin zu mehr eigener Entwicklungen. Es kann aber auch sein, dass dieser Anlass eine einmalige Angelegenheit bleibt. Ich bin gespannt, was die Initiative bringt und freue mich auf jeden Fall auf den Austausch mit der Community.