Das Dilemma des Presserats
Dominique von Burg, Präsident des Schweizer Presserats, geht mit der Weltwoche hart ins Gericht: Die Titelseite mit den Polizeifotos von Res Strehle sei «unverhältnismässig», der Tagi-Chefredaktor an den Pranger gestellt. Das sei eine Vorverurteilung und schmälere die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeinstanz, finden Journalisten. Der Presserat steckt in einem Dilemma.
Deutliche Worte von Dominique von Burg gestern im «Sonntag»: «Es ist völlig unverhältnismässig, Res Strehle derart an den Pranger zu stellen, wie das die ‹Weltwoche› auf ihrer Frontseite getan hat. Für mich ist das nicht zulässig.» Ohne die Beratung des Presserats abzuwarten, kommt sein Präsident bereits zu einem klaren Schluss. Gut möglich, dass auch die beratenden Kammern zu einem ähnlichen Schluss kommen werden, sollte jemand eine Beschwerde gegen die Weltwoche einreichen oder der Presserat aus eigenem Antrieb den Fall aufgreifen. Noch ist es aber nicht so weit.
Dass von Burg ohne das übliche Prozedere abzuwarten einen möglichen künftigen Fall bewertet, wirft die Frage auf, ob der Presseratspräsident damit die Glaubwürdigkeit des Gremiums in Mitleidenschaft zieht. Wie unbefangen kann die Beschwerdeinstanz arbeiten, wenn der Vorsitzende schon mal den Tarif durchgegeben hat? Das habe sich gestern auch mehrere Journalisten gefragt.
Dominique von Burg ist sich bewusst, dass er sich mit seinen wertenden Aussagen zur Berichterstattung der Weltwoche auf eine Gratwanderung begibt. Er habe sich gegenüber dem «Sonntag» als Privatperson geäussert, schreibt von Burg auf Anfrage. Dass sich die Rollen nicht sauber trennen lassen, ist ihm aber sehr wohl bewusst: «Sollte eine Beschwerde eingereicht werden, erkläre ich mich für befangen.» Das habe er in vergleichbaren Situationen auch schon gemacht. Auch Peter Studer, sein Vorgänger an der Spitze des Presserats, trat in vergleichbaren Situationen in den Ausstand; etwa beim Fall Blick/Borer, nachdem Studer in der «Arena» des Schweizer Fernsehens aufgetreten war.
Das Verhalten seines Präsidenten zeigt ein Dilemma auf, in dem der Presserat steckt: Einerseits ist es für die Branche ein Ärgernis, wenn das Expertengremium für Fragen der Medienethik erst Monate nach der Publikation eines umstrittenen Artikels Stellung nimmt. Andererseits kann der Eindruck der Befangenheit entstehen, wenn Vertreter des Gremiums aktuell intervenieren, ohne die Bearbeitung der Beschwerde abzuwarten. Für Dominique von Burg muss der Presserat diese Spannung aushalten. «Man würde es nicht verstehen, wenn die Stimme des Presserats abwesend wäre in den medienethischen Diskussionen, solange sie sich entwickeln.»
Markus Schär 11. Februar 2013, 17:34
Danke, dass ihr das Thema aufgreift. Nach der Lektüre des Artikels stellt sich nur noch die Frage: Wie dumm darf ein Presserats-Präsident sein? Kein Mensch interessiert sich dafür, was Dominique von Burg als Privatperson meint. Also…
Und wie dumm darf ein Jurist sein (was DvB meines Wissens ist)? Jedes Gericht in jedem Rechtsstaat der Welt hört einen Angeschuldigten an, bevor es sein Urteil fällt. Und kein Richter in keinem Rechtsstaat der Welt sagt einem unschlüssigen Kläger: Mach eine Klage, ich gebe dir Recht.
Das Fazit: Dieser Presserat ist (hirn)verbrannt.
Markus Schär 11. Februar 2013, 18:43
Und nur noch dies: Der unparteiische, unbestechliche Peter Studer hielt am 6. November 2003, vom Thurgauer Regierungsrat bezahlt, an der Uni Konstanz ein Referat über Fairness im Journalismus. Am 7. November 2003 verabschiedete der von Peter Studer präsidierte Presserat seine Stellungnahme im Fall Nr. 52/2003, einer Beschwerde des Thurgauer Regierungsrats gegen einen Lokaljournalisten (nicht mich).
Peter Studer 13. Februar 2013, 00:04
Es trifft zu, dass ich – nach meiner Erinnerung eingeladen vom Rektor der Universität Konstanz – am 6. 11. 2003 einen Vortrag an der Universität hielt. Es trifft zu, dass der Presserat am 7. 11. 2003 eine Beschwerde des Thurgauer Regierungsrats Eberle gegen den Verfasser eines Zeitungsbeitrags über einen angeblichen Asyl-Skandal abschloss, die teilweise gutgeheissen wurde.Die Beschwerde war ausschliesslich von einer Kammer des Presserats behandelt worden, der ich nicht angehörte. Mit Eberle oder sonst thurgauischen Behörden hatte ich in dieser Sache keinen Kontakt.Was soll die Unterstellung, Markus Schär? immer noch sauer über eine damalige Rüge des Presserats an Sie? Peter Studer
Martin Steiger 11. Februar 2013, 20:50
@Markus Schär: Vielleicht wollte sich Herr von Burg in dieser für ihn vermutlich unangenehmen Angelegenheit schlicht aus dem Rennen nehmen?
Im Übrigen funktioniert die Selbstregulierung durch den Presserat ja nur noch beschränkt. Wer gegen einen Verlag oder Journalisten wirkungsvoll vorgehen will, beschreitet mit Vorteil den Rechtsweg …
Markus Schär 12. Februar 2013, 05:04
Das ist es ja, Martin Steiger. Am meisten würde ich mich ärgern, wenn ich Res wäre: Er kann machen, was er will – diesen Presserat nimmt niemand mehr ernst. Den Ärger von Res mildert nur, dass er zeit seines Journalistenlebens – mit zahllosen Zeugnissen aus den Achtziger- und Neunzigerjahren nachweisbar (demnächst in diesem Theater) – vom bürgerlichen Rechtsstaat nicht ganz so viel hielt wie ich vom Presserat (oder sein zeitweiliger Wohnpartner Niklaus Meienberg, mit dem er sich wegen dessen pazifistischer Haltung zerstritt, von Peter Studer).
Ich nehme deshalb Wetten an, dass es nicht zu einem Verfahren kommt, weder vor dem Presserat noch vor einem bürgerlichen Gericht. Schade, es gäbe spannende Fragen zu klären, die die Kollegen mit ihrem Gewitzel und Geheul sorgfältig vermeiden und verdrängen. Zum Beispiel: Wie lange darf man einen Terroristensympathisanten Terroristensympathisant nennen? (Oder präziser: Wie lange bleibt ein Terroristensympathisant Terroristensympathisant?)
Markus Schär 13. Februar 2013, 07:22
@pst. Was soll die Unterstellung, das seien Unterstellungen? Es sind Feststellungen, wie jeder Journalist leicht feststellen kann, auch einer, der in seinem Berufsleben vorwiegend Journalismus verwaltete. (Ich brauchte auch fünf Minuten, um die Fakten zu checken; das wäre einem ehemaligen Publizistischen Leiter von Tamedia, Chefredaktor von Fernsehen DRS und Präsidenten des Presserats zuzumuten, statt sich auf seine Erinnerung zu berufen.)
Der Artikel im St. Galler Tagblatt von 8.11.2003 beginnt so: „Anlässlich der Kooperationsveranstaltung des Kantons Thurgau und der Universität Konstanz referierte am Donnerstagabend Peter Studer…“ Zu diesen Veranstaltungen, die gemäss Artikel seit 1997 stattfanden und heute noch stattfinden, lädt selbstverständlich der Regierungsrat des Kantons Thurgau ein, normalerweise namhafte Wissenschaftler. Warum genau hätte der Uni-Rektor Sie einladen sollen?
Dass Sie (formaljuristisch) am Entscheid nicht beteiligt waren, habe ich auch gecheckt. Aber: Sie personifizierten damals den Presserat, weit stärker als es der heutige Präsident tut. Ihre Ausflüchte zeugen also vom fundamentalen Mangel an Menschenverstand und Rechtsempfinden, der den Presserat bis heute auszeichnet. Den inkriminierten Fall, den ich in meinem Artikel auch erwähnte, hatte ich übrigens bei meinen eigenen Recherchen mit Eberles Vorgänger Philipp Stähelin diskutiert.
Gemäss Berichterstattung sagten Sie in Konstanz (in meiner Abwesenheit): „Ein negatives Beispiel (für Unfairness) fand sich vor einigen Wochen in der Weltwoche (mein Artikel erschien am 24.10.2002!). Der Artikel des betreffenden Artikels, ein Thurgauer, habe Quellen verschwiegen, aus anderen Medien abgeschrieben und schwere Vorwürfe an die Schweizerische Flüchtlingshilfe erhoben, diese aber nicht angehört.“ (Das war eine höchst unpräzise Zusammenfassung des Entscheids gegen mich, aber das spielt ja auch keine Rolle mehr.)
Ja, ich war sauer (Surprise, Surprise), und ich werde es heute noch, wenn ich Sie lese. An meinem Artikel von 2002 arbeitete ich als Freier mindestens drei Monate, unterstützt von Kollegen in der Redaktion, die nach Erscheinen des Artikels nichts mehr damit zu tun haben wollten und die heute auf verantwortungsvollen Posten beim TA arbeiten. Einen Anstoss bekam ich von den Erfahrungen meiner verstorbenen Frau, die zeitweise als Asylantenbetreuerin und Fürsorgerin arbeitete. In einer politökonomischen Analyse wollte ich die perversen Anreize im Asylwesen aufzeigen. Meine Erkenntnis ist heute Allgemeingut: Die grössten Chancen, in der Schweiz zu bleiben, hat, wer der Schweiz die grössten Probleme macht. Mein Artikel war also – was der Presserat nicht verstand – eine Fundamentalkritik an der Asylpolitik des Bundesrates (die heute in die richtige Richtung korrigiert wird). Ich setzte mich aber auch gründlich mit der Asylindustrie auseinander. Dafür wertete ich die Jahresberichte aller Hilfsorganisationen aus, die die SFH tragen, und erduldete einen einstündigen, nicht unterbrechbaren Monolog des Verantwortlichen beim SRK, dem wichtigsten Player der SFH. Seine Zitate konnte er selbstverständlich gegenlesen. Als einziger nennenswerter Vorwurf blieb in Ihrem Entscheid schliesslich jener, ich hätte die Flüchtlingshilfe nicht angehört. Aber Sie können gerne weiter darüber staunen, dass ich vermute, beim Presserat stehe das Urteil von Anfang an fest.
Inzwischen bin ich vermutlich Rekordhalter mit drei Rügen und einer abgewiesenen Beschwerde (die zu abstrus war, als dass sie der Presserat hätte gutheissen können). Die beiden anderen Rügen fing ich wegen Artikeln zum Schleudertrauma ein, aufgrund von Klagen von Juristen aus der Schleudertraumaindustrie. (Ich habe an anderer Stelle gezeigt, dass in den Journalismus-Überwachungsgremien, gerade auch der UBI, Juristen sitzen, die in ihren Kanzleien mit Vertretern der Schleudertraumaindustrie zusammenarbeiten.) Die Linie, die ich in meinen Artikeln vertrat, gilt inzwischen beim Bundesgericht und im Gesetz.
Bin ich deswegen sauer? Nein, ich kann den Presserat – seit ungefähr zehn Jahren – einfach nicht mehr ernst nehmen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich dem Presserat ungebrochen mehr Hochachtung entgegenbringe als Res Strehle dem bürgerlichen Rechtsstaat.
Vladimir Sibirien 13. Februar 2013, 08:56
Wir nehmen mit: Sie haben alles richtig gemacht und der Presserat und im Besonderen Herr von Burg sind doof.
Lahor Jakrlin 13. Februar 2013, 08:48
Diese „Akte“ beschäftigt mich – es ist einer jener Fälle von Presse gegen Presse. Oder noch besser: Weltwoche gegen den Rest, oder David gegen Goliath.
Schon das allein zeigt, dass es so etwas wie Unbefangenheit gar nicht wird geben können, denn Goliath ist in diesem speziellen Fall nicht der Böse, sondern der Mainstream. Ergo wird es nicht nicht um die Sache, sondern um politische (nicht gesellschaftliche!) Belange gehen.
Was mich auch beeindruckt: Beide Seiten betreiben einen leidenschaftlichen Journalismus. Die WeWo ist so etwas wie das letzte staatskritische Medium (was bis vor einer Generation als „links“ galt), während Res Strehle für die institutionalisierte Linke steht – seine Kritik richtet sich gegen bürgerliche Werte.
Was mir auffällt: Kritik an der WeWo, und sie ist alltäglich und immer mit einem süffisanten Unterton vorgebracht, ist ein Allgemeingut, niemand stört sich daran. Hingegen folgt Kritik an Strehle bzw. der von ihm repräsentierten Medienarbeit jeweils ein Aufschrei. Ist das gut?
Folgenden Fragen muss sich jeder liberale Geist und auch ein unabhängiger Presserat bei er Beurteilung des Falls stellen:
– Ist Res Strehle eine Person des öffentlichen Interesses?
– Hat Res Strehle die Möglichkeit, gezielt politischen Einfluss zu nehmen (z.B. Themenselektion?) und welche Relevanz hat das für die Öffentlichkeit?
– Hat Res Strehle die Möglichkeit, in einer WEIT höheren Auflage zu reagieren?
– Erhält Res Strehele die Möglichkeit einer Replik in der WeWo?
– Sind die Fotos Fakes oder echt?
Und schliesslich noch dies: Sowohl Joschka Fischer als auch Daniel Cohn-Bendit leben in best besoldeten Ämtern und hohen Würden. Dies trotz einer allgemein bekannten Vergangenheit als Rebellen und Steinewerfer in ihrer Jugend. Ergo wird diese WeWo-Causa Res Strehle mit Sicherheit nicht schaden, sondern seinen Bekanntheits- und Akzeptanzgrad erhöhen, seine berufliche Ausgangslage verbessern.
Lahor Jakrlin 14. Februar 2013, 11:54
>http://www.persoenlich.com/news/medien/strehle-hat-sich-vom-militanten-linksdenken-nie-distanziert-304475#.URy-zei2Jwk
Hoch interessant – vor allem die Kommentare. Wie soll eine Gesellschaft in Harmonie und Respekt funktionieren, wenn die Meinungsbildner in ihrer Mehrheit gegenüber dem sozialistischen Terror blind sind?
Mittlerweile sind jene, die 1989 – im Jahr des Mauerfalls – geboren wurden, 24 Jahre alt! Doch vom Mauerfall und der zuvor 70 schreckliche Jahre dauernden Tragödie in Osteuropa wissen sie nichts.
Insofern hat Köppel recht: Man muss die Medien-Scheinwerfer auf die Verbrechen des sozialistischen Systems und seine Sympathisanten richten. Mit gleicher Kraft wie auf jene, die den Horror des Nationalsozialismus leugnen.
Res Strehle muss sich fragen lassen: Wo und wofür stehst Du?