Kollektiv der Konservativen
«Das Magazin» bietet dem Internetkritiker Evgeny Morozov eine unkritische Plattform. Nichts gegen Internetkritik, doch solange die grossen, auch positiven Umwälzungen durch das Netz von den etablierten Journalisten verschwiegen werden, kann keine vernünftige Debatte stattfinden. Erst recht nicht in den Schweizer Medien, wo es keine Autoren gibt, die sich kontinuierlich mit dem Thema befassen und differenzierte Positionen entwickelt haben. Den Internet-Freunden gegenüber stehen Bewahrer des Bisherigen, die sich selbst keinesfalls als Konservative sehen möchten.
Wie muss ein Konservativer sein, damit er im Hause «Tages-Anzeiger» geschätzt wird? So wie Frank Schirrmacher: kapitalismuskritisch, technologiekritisch, etwas links. Im Januar 2012 reisten zwei Journalisten des «Magazins» nach Frankfurt und kehrten sichtlich beeindruckt zurück von Schirrmacher, nannten ihn «eine Art Grossfürst des deutschen Feuilletons». Am Samstag bezeichneten ihn zwei ebenfalls nach Frankfurt gepilgerte Journalisten des «Tages-Anzeigers» einen der «wichtigsten deutschen Vordenker». Grossfürst des deutschen Feuilletons, Vordenker, darunter geht es wohl nicht. Offenbar nicht gelesen haben die vier Journalisten diese Kritik eines Lektors an seinem Buch «Payback» – nach deren Lektüre man ganz anders blickt auf den «Grossfürst».
Aber keine Frage, Frank Schirrmacher ist eine beachtenswerte Figur des Geisteslebens, so wie Evgeny Morozov. Darum wurde dem weissrussischen Publizist und Technologie-Kritiker Morozov wohl auch von Schirrmacher angeboten, für die FAZ die Kolumne «Silicon Demokratie» zu schreiben. Sie läuft seit 2011 und setzt sich kritisch mit fehlender Kontrolle und fehlendem Schutz von Daten im Internet auseinander (zuvor schrieb Morozov auf Foreignpolicy.com). Wer sich dafür interessieren mag, wird neue Themen finden und kann über andere Standpunkte nachdenken, kurz, der der Leser wird mit Inhalten konfrontiert, die er vermutlich noch nicht kennt, wenn er nicht schon x Bücher von Morozov gelesen hat.
Kommen wir zur Handlungsweise des «Magazins». Chefredaktor Finn Canonica kontaktierte am 10. März den möglichen Gesprächspartner öffentlich:
@evgenymorozov Dear Mr. Morozov, we, the biggest Swiss weekly, would like to interview you, on your new book. Where are you?
— Finn Canonica (@finncanonica) March 10, 2013
Schon neun Tage später konnte zwar kein Interview, jedoch ein druckreifer Artikel vermeldet werden.
Evgeny Morozov über die Zukunft der Zeitung demnächst in Das Magazin
— Finn Canonica (@finncanonica) March 19, 2013
Am Karsamstag dann wurde das Stück publiziert (bereits am Karfreitag im Blog). Geschrieben hat es nicht der Chef und auch nicht einer der vielen festangestellten «Magazin»-Redaktoren, sondern David Iselin, bei der Konjunkturforschungsstelle KOF für Forschung und Unternehmenskommunikation zuständig. Ein so wichtiges Thema wie das Internet ist offenbar nicht Chefsache. Das war es auch schon 2007 nicht, als «Das Magazin» den Internetkritiker Andrew Keen 8937 Zeichen zur Verfügung stellte, um über sein Buch «Der Kult des Amateurs» zu schreiben – eine Kritik an den Amateuren, die sich heute einfach so erlauben, im Internet zu publizieren und den daraus erwachsenden, schrecklichen Folgen.
Der Text von Iselin bleibt an der Oberfläche, Gegenstimmen gibt es keine, im Grunde ist es eine grosse Werbeschrift für das Geschäftsmodell von Morozov, der, wie schon Keen, hauptsächlich von Büchern lebt und von Printmedien, die Geld dafür bezahlen, um ihren Lesern Internetkritik nahe zu bringen (im naiven Glauben, so überleben zu können?). Nichts gegen das Geschäftsmodell von Morozov, aber das «Magazin» ist eine Zeitschrift mit der redaktionellen Power eines Lamborghinis, da darf eine Auseinandersetzung auf einer höheren Ebene erwartet werden – warum hat nicht «Magazin»-Internetexperte Thomas Zaugg etwas geschrieben? Besser übrigens ist das einen Tag vorher erschienene Morozov-Interview von Henning Steier auf Nzz.ch – da geht es nicht darum, für welchen Tee sich Morozov entscheidet (Pfefferminze).
Es bleibt da nur die Frage, weshalb sich nicht das NZZ-Feuilleton diesen Fragen annimmt, denn da gehörten solche Reflexionen eigentlich hin. Gibt es überhaupt Schweizer Publizisten, die regelmässig erhellend über das Internet schreiben? In Deutschland gibt es Kathrin Passig, Marcel Weiss, Sascha Lobo, Kai Biermann, Dirk Von Gehlen, Mario Sixtus, Wolfgang Michal, Markus Beckedahl, Torsten Kleinz, Martin Weigert, Stefan Niggemeier und viele mehr, vom englischsprachigen Bereich ganz zu schweigen.
Und in der Schweiz? Findet keine Debatte über das Internet statt, nur da und dort spriesst mal ein Pflänzlein. Printpublikationen beschäftigen sich meist nicht mit den Chancen, sondern mit den Risiken des Internets. Tatsächlich lauern viele Gefahren. Vor allem für Journalisten, die eine Welt bewahren wollen, die sich grundlegend wandelt – durch das Internet. Wer glaubt, das Internet sei mehr Segen als Fluch, wird von diesen Konservativen schnell mal als «digital-religös» abgestempelt, Morozov spricht gar von «Datensexuellen», die für das Silicon Valley das seien, «was die Hipster für Brooklyn sind». Soso.
Ja, es gibt Leute, die unkritisch alles abfeiern, was digital ist. Doch die sind so sehr eine Minderheit wie jene, die unkritisch alles abfeiern, was nicht digital ist. Die Allermeisten, die sich Diensten wie Google, Facebook oder Twitter ein Stück weit ausliefern, sind sich dessen bewusst. Sie nehmen kostenlose Funktionalität und Gemeinschaft und treten dafür Daten und Rechte ab. In der Bilanz der Vor- und Nachteile überwiegen offenbar bei Vielen die Vorteile.
Statt Google ständig wiederholend als Datenkrake zu bezeichnen, Twitter als Banalitätenschleuder und Facebook als Datenmonster, sollten sich Medien endlich wirklich kritisch mit Entwicklungen im Internet auseinandersetzen. Dazu braucht es aber Fachwissen und Ausdauer, funktionieren doch Internet-Startups oft ganz anders als Betriebe, die 50 oder 100 Jahre alt sind und regelmässig Pressekonferenzen um die Ecke veranstalten. Diese Auseinandersetzung findet kaum statt, so wird der Leser dazu gezwungen, sich über internationale Blogs, unabhängige Fachmedien wie Heise.de oder im neu gegründeten Social Media Watchblog zu informieren.
Eine echte Debatte zum Thema kann in Printmedien schon deshalb nicht aufkommen, weil die Gegenseite nicht zu Wort kommt – oder kann sich jemand an einen Titel eines Printmagazins erinnern wie «Die beste Erfindung aller Zeiten: Wir feiern das Internet»? Wenn eigene Interessen tangiert sind – das war in Deutschland bei der Debatte um das Leistungsschutzrecht für Presseverleger deutlich zu sehen – kann man Printmedien nicht mehr vertrauen. Eigene Interessen gehen vor Ausgewogenheit. Und beim ehemals journalistischen Leuchtturm «Das Magazin» scheint es mehr um das Verkaufen von Waren (wie Bücher) zu gehen als um erhellende Analysen und kritischen Journalismus.
Zu den wahren Konservativen unserer Zeit gehören Journalisten, die sich dem Internet verweigern. Wahrhaben möchten das die Meisten selbstverständlich nicht, halten sie sich selbst doch für äusserst progressiv (Finn Canonica 2007: «Ich will wissen, was die Menschen jetzt und heute beschäftigt und über was man in einem halben Jahr reden wird, welche Ideen die unmittelbare Zukunft gestalten werden»).
Dabei sind alle, die einfach nur das Bewährte verteidigen, Konservative, egal, ob es sich um die Ablehnung von neuen Entwicklungen im Internet, das Bewahren von Papierzeitungen, die Akzeptanz der Homo-Ehe oder um das Rasieren von Schamhaaren geht.
Frank Hofmann 02. April 2013, 17:08
Dass das Magazin schreiben lässt, ist alles andere als neu. Dafür jede Menge narzisstische Selbstbespiegelung in Form von sog. Kolumnen. N’importe quoi, muss man nicht mehr lesen.
Winston Smith 03. April 2013, 09:34
Interessanter Artikel! In meinen Augen hinkt aber die Argumentation zeitweilen:
Morozov ist nicht einfach Internetkritiker, Morozov geht es (in seinem neuesten Buch) in erster Linie darum, die Imperative, die von Silicon Valley ausgehen, in Frage zu stellen. Er kritisiert u.a. den fast religiösen Glauben an die Kraft der Technologie, jedes mögliche Problem zu lösen, was wiederum voraussetzt, dieses Problem zuerst zu quantifizieren. Dabei würden auch mal Probleme er-/gefunden, die eigentlich gar keine sind. Natürlich hat vieles von dem mit dem Internet zu tun, ist es doch der Nährboden für die unvorstellbar grosse Datenmenge, die zum Quantifizieren und „Lösen“ der von Silicon Valley definierten Probleme gebraucht wird.
Es geht auch sicher nicht darum, sich dem Internet an sich zu verweigern, sondern seine Gestaltung mit intellektuellem Output soweit zu beinflussen, dass es nicht in schiefe Bahnen gerät (und es ist gerade dabei, dies zu tun: Netzneutralität, LSR, Datenschutz, Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, digitale Ungleichheit,…).
Morozov’s Internetkritik deswegen mit der Tendenz von hiesigen Journalisten, das Internet zu verteufeln, gleichzusetzen, greift dann schon ziemlich kurz.
Es stimmt schon: Wirklich Spannendes über das Internet liest man hier selten, vergleicht man den Output von den grössten Zeitungen des Landes mit dem von z.B. der ZEIT oder des Guardians. Dort werden regelmässig auch interessante, neue Entwicklungen thematisiert wie z.B. die Maker-Szene oder Plattformen wie Kickstarter.
Bei der hiesigen Verdrossenheit mit dem Thema Internet hat Ronnie Grob somit definitiv recht: Wenn man die Medienlandschaft Schweiz betrachtet, fällt es wirklich schwer, auch nur die kleinste kritische und intellektuelle Auseinandersetzung mit aktuellen Trends auszumachen. Vor nicht allzu langer Zeit waren z.B. in der Sparte „Digital“ des Tagesanzeigers vor allem Apple’s Pressemitteilungen und Katzenvideos zu lesen, was sich in der Zwischenzeit vielleicht ein bisschen gebessert haben mag (ich persönlich hole mir meine Informationen längst bei auswärtigen Blogs/Newsportalen).
Ganz allgemein stelle ich in der Schweiz eine Verdrossenheit mit allem, was die sozialen Auswirkungen der digitalen und technologischen Zukunft betrifft, fest. Geht es um die neuesten Gadgets und teuersten Geräte, ist der Schweizer stets vorne dabei, aber fragt mal einen Bürger auf der Strasse wie er zur Netzneutralität steht oder ob er sich bewusst ist, dass seine Daten Gesetzes wegen 6 Monate gespeichert werden. Während z.B. die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland seit Jahren ein riesiges Thema ist, hat sie es hierzulande nie über die „Digital“-Sparten hinausgeschafft. Die einzigen, die solche Themen bemühen, sind zwei politische Parteien (Piratenpartei und neuerdings die Grünen), doch diese werden von den Medien kaum erhört.
Wieso dies so ist bleibt offen, aber ich finde es ein bisschen übertrieben zu sagen dass Journalisten in der Schweiz kaum über das Internet berichten, weil sie es als Gefahr für ihren Lebensunterhalt ansehen. Vielmehr müsste man danach fragen, wieso die politische Debatte um das Netz hier nie richtig warm geworden ist und welche Rolle die Medien dabei spielen.
Ronnie Grob 03. April 2013, 09:42
Das ist doch genau das Problem. Auch wenn die etablierten Medien irgendwann merken (sollten), dass sie das Thema Internet sträflich vernachlässigt haben, werden das die möglichen Leser gar nicht mehr merken, weil sie sich schon längst darauf eingestellt haben, dass dort keine vernünftigen Informationen zu holen sind und sie nun Alternativquellen beziehen. Irgendwann wird man diese Leser zurückgewinnen wollen, das ist dann aber viel schwieriger als sie einfach zu halten.
Das gilt übrigens nicht nur für das Internet, sondern für sehr viele Themen, die Menschen unter 50 oder 60 beschäftigen.
Fred David 06. April 2013, 12:59
Halloooo! Ich bin über 60 und mich interessiert das! Die erste Computergeneration sind dann bitteschön noch wir…
Peter Herzog 03. April 2013, 16:10
Da morozov zwar kritisch, aber relativ differenziert argumentiert, ist eine solche plattform wohl auch ohne direkte gegenstimmen durchaus gerechtfertig. Dass sich aber die schweizer medien mit netzpolitischen Aspekten zu wenig auseinandersetzen, ist sicher richtig und andere artikel sollten ergänzend andere aspekt anders beleuchten.
Die sache mit dem leser zurückgewinnen seh ich weniger skeptisch. Gute texte, gerade zu digitalen themen, finden heute über twitter etc. immer den weg zu interessierten, ganz plattform-unabhängig. (Ich persönlich lese zb die medienwoche auch nicht regelmässig, die für mich spannenden texte nehm ich aber trotzdem wahr). Sollte da jemand plötzlich öfters positiv auffallen, sind die leser schnell gewonnen.
Lahor Jakrlin 12. April 2013, 12:40
Ich ärgere mich und kanns nicht ändern, dass ich mich JEDEN Samstag nach dem Aufwachen freue, den Briefkasten zu leeren und das MAGAZIN in die HÄNDE zu bekommen. Trotz Binswanger, trotz Roten, trotz rauswurf der Leserbriefe ins Internet … es ist die SUCHT nach der wöchentlichen PROVOKATION durch die (Zitat, Ronnie Grob:) „Zeitschrift mit der redaktionellen Power eines Lamborghinis“.