von Nick Lüthi

Die Grössten sind die Besten

Bei der bedeutendsten Auszeichnung für Lokaljournalismus in der Schweiz haben die nationalen Medienunternehmen gross abgeräumt. Die Lokalmedien waren, wie schon in früheren  Jahren, die prominenten Abwesenden. Das sieht unschön aus, wird sich aber kaum ändern lassen.

Machen Lokalmedien auch Lokaljournalismus? Im Prinzip ja, aber nicht den besten. Frei nach Radio Eriwan kommt zu diesem Schluss, wer die Liste der Gewinner des 3. Schweizer Medienpreises für Lokaljournalismus anschaut. Mit einer einzigen Ausnahme arbeiten die ausgezeichneten Medienschaffenden für die grossen Unternehmen der Branche. Dorfanzeiger, Lokalradio oder Regionalfernsehen? Fehlanzeige. Das ist kein neues Bild. Bereits bei den früheren Ausgaben des Wettbewerbs dominierten die nationalen Medienhäuser.

In den Kategorien Radio und Fernsehen ging diesmal die «Diamant»-Trophäe und ein Preisgeld von je 20’000 Franken an Mitarbeiter der SRG, das grösste Rundfunkunternehmen im Land. In der Kategorie Print erhielt die Auszeichnung ein Tamedia-Journalist und bei den Pressebildern schwang ein Fotograf der nationalen Bildagentur Keystone obenaus. Nur Online vermochte sich ein Lokalmedium durchzusetzen. Doch auch die Tageswoche gehört gewissermassen zu den Grossen – unter den Neugründungen gehören die Basler mit ihren Stiftungsmillionen zu den Krösussen. Das Bild sieht nur geringfügig anders aus, wenn man noch nominierten Beiträge hinzuzieht. Ein eigentliches Lokalmedium kam mit Ausnahme von TeleZüri und der späteren Preisträgerin TagesWoche kein Einziges in die Kränze.

Die nahe liegendste Erklärung für die Abwesenheit von Lokalmedien im Kreise der Preisträger sind die fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen. Nur SRG und Grossverlage können es sich überhaupt noch leisten, Journalisten für aufwändige Recherchen freizustellen. Aber auch sie immer weniger. Im Fall des Siegerbeitrags in der Kategorie Print trifft das Ressourcenargument mit Bestimmtheit zu. «Das Magazin» verfügt über die Mittel und Möglichkeiten, seine Leute länger an Geschichten arbeiten zu lassen, als sich das die meisten Redaktionen heute noch leisten können. Doch selbst dieses Budget reichte Rico Czerwinski nicht für seine Recherche über die Missstände in der Betriebskultur der Zürcher Verkehrsbetriebe. Er habe auch einiges an Freizeit investiert, erklärte er bei der Entgegennahme der Auszeichnung.

Auch die Gewinnerin des Fernsehpreises profitierte letztlich von einer gut dotierten Redaktion; aber nicht nur. Eine Zeitungsnotiz brachte einen Produzenten von «Schweiz aktuell» auf die Idee, Reporterin Corinne Eisenring loszuschicken. Sie sollte in einer Gemeinde im Kanton Graubünden jene Person finden, die als Einzige von 75 Stimmberechtigten bei einer Abstimmung an die Urne gegangen war. Gesagt, getan. Am Morgen raus, am Abend den Beitrag in der Sendung. Klassischer Tagesjournalismus. Der Produktionsaufwand lag zwar im Rahmen dessen, was auch ein Regionalsender hätte leisten können. Aber eben: Die Notiz muss zuerst jemand lesen, und auf die Idee muss kommen, dass sich daraus etwas machen lässt. Und mehr Köpfe haben mehr Ideen. Aber mehr Köpfe kosten mehr Geld.

Die erdrückende Dominanz von SRG und Grossverlagen widerspiegelt die (Qualitäts)hierarchie in der schweizerischen Medienlandschaft. Lokalmedien erfüllen in vielen Fällen eine wichtige Funktion als Ausbildungsredaktionen. Gerade bei Radio und Fernsehen bieten sie willkommene Einstiegsmöglichkeiten in den praktischen Journalismus. Mit zunehmender Berufserfahrung wechseln viele zur SRG. Nicht viel anders läuft es auch bei der Presse. Bei Dorfblättern, Quartieranzeigern und Regionalzeitungen machen die späteren Journalismus-Preisträger ihre ersten Schritte.

Auf den ersten Blick mag es irritieren, wenn nicht Lokalmedien, sondern nationale Titel für herausragenden Lokaljournalismus ausgezeichnet werden. Gleichzeitig zeigt es aber auch, wie der Begriff des Lokalen im Journalismus noch nie an einen bestimmten Medientyp gebunden war; auch Weltblätter sind Lokalzeitungen. Für die leer Ausgegangenen mag das ein schwacher Trost sein. Aber Hoffnung besteht durchaus, dass auch die Kleinen in die Kränze kommen. Manchmal reicht eine zündende Idee, um Publikum und Jury zu begeistern, und nicht nur aufwändige und wochenlange Recherche.

Oder vielleicht ist auch alles ganz anders und die Lokalmedien draussen im Lande haben einfach noch nicht mitgekriegt, dass es jedes Jahr ein stolzes Preisgeld zu holen gibt. Dann wäre es höchste Zeit für sie, die Perlen auszugraben und zur Bewertung vorzulegen. Denn die Jury beurteilt nur, was sie eingereicht erhält und spielt nicht selber Trüffelschwein.

Der Autor ist Mitglied der Jury für die Online-Kategorie des Medienpreises für Lokaljournalismus.

Leserbeiträge

Vinzenz Wyss 16. April 2013, 21:04

Als einer, der doch einige Jury-Erfahrung hat, möchte ich widersprechen. Das differenzierende Ressourcenproblem gibt es, das sehe ich auch so. Dennoch: Oft sind es nicht die aufwändigen Recherchen, nicht das lupenreine Handwerk, und nicht die elaborierte Schreibe, die ausgezeichnet werden. Nein, es sind die guten journalistischen Ideen für eine Geschichte. Und die haben zunächst mal nichts mit Ressourcen zu tun, wage ich zu behaupten. So ja auch in diesem Fall: „Die Notiz muss zuerst jemand lesen, und auf die Idee muss kommen, dass sich daraus etwas machen lässt.“ Genau diesen journalistischen Zugriff vermisse ich oft bei Redaktionen, die weniger oft in die Kränze kommen. Dabei handelt es sich aber nicht primär um ein Ressourcenproblem, denn meist ließen sich solche Ideen auch ohne Mehraufwand realisieren. Es fehlt aber an Selbstbewusstsein, dem Mut, aus dem courant normal des 0815 herauszutreten.