von Markus Knöpfli

TV-Quoten: Der Ursprung der Unzufriedenheit

Warum schneiden vor allem private TV-Sender beim neuen Messsystem «schlechter» ab als beim alten? Die Stellungnahme der Mediapulse-Anwälte zuhanden des Nidwaldner Obergerichts gibt detaillierte Antworten auf die zentrale Streitfrage.

Man mag über das Hin und Her bei der Schweizer TV-Forschung denken, was man will – einen Lichtblick gibt es dennoch: Noch nie erhielten Interessierte so viel Einblick in die Funktionsweise der TV-Forschung. Die 101-seitige Mediapulse-Stellungnahme, die die Rechtsanwälte Daniel Staffelbach und Oliver Kunz (Anwaltskanzlei Walder Wyss AG in Zürich) als Antwort auf die superprovisorische Verfügung von 3+ beim Nidwaldner Obergericht eingereicht haben, trägt wesentlich zu dieser neuen Transparenz bei. Die Schrift erweist sich als wahre Fundgrube. Denn weil Mediapulse darin Punkt für Punkt auf die Vorwürfe von 3+ eingeht, enthält die Stellungnahme neben rechtlichen Erwägungen auch viele Details über das neue TV-Panel – von der Evaluation bis zum derzeitigen Streit.

Die Hauptfrage blieb bis jetzt unbeantwortet
Der Hauptgrund für den Streit um die neuen Zuschauerzahlen ist ja, dass viele private Sender gegenüber der bisherigen Messmethode «schlechter» abschneiden. Darunter auch der Sender 3+, der bisher erfolgreich eine Veröffentlichung der neuen Quote verhindert hat. Landläufig würde man mit «besseren» Zahlen rechnen, da das neue Messsystem zusätzliche Personengruppen und neue Nutzungsformen einbezieht, woraus eine Zunahme der TV-Nutzung resultieren sollte. Dem ist aber nicht so. Erklärungsversuche gab es zwar zuhauf, aber nachvollziehbare Antworten blieben bisher aus. Mit der Mediapulse-Stellungnahme ist das nun anders.

Vier bekannte Parameter mit starker Auswirkung
Das Papier listet zunächst vier Parameter auf, von denen schon länger bekannt ist, dass sie zu Quoten führen, die mit den bisherigen nicht verglichen werden können:

  • Dank neuer Rekrutierungsmethode sind nun auch jene 20% der Haushalte, die sich nicht mehr ins Telefonbuch eintragen lassen, im TV-Panel vertreten. Es sind also wieder alle TV-Haushalte repräsentiert.
  • Neu wird auch die zeitversetzte TV-Nutzung gemessen.
  • Die TV-Nutzung auf PC und Laptop wird einbezogen.
  • Das neue System misst auch moderne Hybrid-TVs und Geräte mit CI-Karten.

Weshalb nun trotz dieser Erweiterungen des neuen Systems einzelne Sender schlechter dastehen als mit der alten Messmethode, erklärt Mediapulse mit folgenden sechs Faktoren:

1. Die jungen «Neuen» sehen unterdurchschnittlich fern
Bisher – also beim alten TV-Panel – sei man davon ausgegangen, dass jene 20% TV-Haushalte, die mangels Eintrag im Telefonbuch nicht erreicht werden konnten, grundsätzlich gleich fernsehen wie die erreichbaren. Das aber habe sich aufgrund der neuen Messungen als Fehlannahme erwiesen: «Diese neu erfassten Personen sehen quantitativ weniger fern als die Durchschnittsbevölkerung», heisst es in der Stellungnahme. Insbesondere die 15-49-Jährigen unter ihnen würden «weniger fernsehen als erwartet». Deshalb habe das alte Panel «tendenziell zu hohe Reichweiten ausgewiesen».

2. Fernsehen am PC findet kürzer und zeitversetzt statt
Auch das Fernsehen auf PC und Laptop scheint auf die TV-Quoten zu drücken: Die neuen Messungen hätten ergeben, dass zwar rund ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung «gelegentlich» auf diese Art fernsehe, doch seien die Nutzungssequenzen «kürzer und zudem häufiger zeitversetzt».

3. Längere Werbeblöcke, weniger Werbenutzung
Apropos zeitversetztes Fernsehen: Gemäss Mediapulse-Stellungnahme macht diese Art des TV-Konsums derzeit zwar nur «ungefähr 5% der gesamten Nutzung» aus, doch auch sie führe zu tieferen Quoten. Zum einen, weil bei der zeitversetzten Nutzung generell ein selektiverer und kürzerer Konsum stattfinde. Vor allem aber, weil dabei Werbung häufig überspult oder gar nicht erst gezeigt werde. Folglich seien die Zuschauerzahlen dann bei den Programminhalten höher als bei den Werbeinseln, hält Mediapulse fest. Fazit: Je häufiger und länger die Werbeblöcke, desto weniger Werbenutzung findet statt. Etwas, das auch aus andern Studien bekannt ist.

Das Mediapulse-Papier zeigt noch weitere Faktoren auf, die jene Sender mit jüngerem Publikum «schlechter» als bisher aussehen lassen:

4. Mehr kleine Haushalte, weniger Kinder
Beispielsweise basierte die Bevölkerungszahl, die dem alten Panel als Universum zugrunde lag, auf einer geschätzten Aktualisierungen der Volkszählung 2000. Das neue Panel hingegen greift auf aktuellere Studien des Bundesamtes für Statistik (BfS) zurück, die seit 2010 erhoben werden. Eine Gegenüberstellung der beiden Statistiken habe gezeigt, dass gemäss den neueren BfS-Daten die Zahl der Haushalte stärker zugenommen habe als geschätzt, so sei insbesondere die Zahl der kleinen Haushalte gewachsen. Entsprechend seien im alten Panel die kleinen Haushalte untervertreten gewesen. Anders die Haushalte mit Kindern: Von diesen gebe es gemäss BfS «deutlich weniger» als angenommen.

5. Panel mit neuer Altersstruktur
Eine offensichtlich folgenschwere Korrektur erfolgte bei der Altersstruktur der Fernsehbevölkerung: Bisher berechnete man die Fernsehdichte der Gesamtbevölkerung und ging davon aus, dass diese für alle Altersklassen gleichermassen gilt. Dem sei aber nicht so, schreibt Mediapulse, die Fernsehdichte variiere je nach Alter: Im Schnitt verfügten die 15-49jährigen am wenigsten über einen Fernseher. Deshalb sei diese Altersgruppe im alten Panel überschätzt worden. Mediapulse habe die Grundlagen im neuen Panel nun angepasst, was auch internationalen Standards entspreche, heisst es in der Stellungnahme. Weiter wird dort festgehalten: «Die Auswirkungen der neuen Altersverteilung sind für die Sender (wie 3+) als Anbieter von Werbeplätzen aus dem Grund wesentlich, weil der Werbemarkt hauptsächlich auf die Altersgruppe der 15-49 jährigen Personen konzentriert ist.»

6. Zappen wird genauer gemessen
Ein weiterer Grund für tiefere Quoten bei manchen privaten Sendern: Das neue System, das auf einem Abgleich des Tonsignals basiert («Audiomatching») basiert und sekundengenau misst, erfasst das Zappen präziser. Zwar brauche es für die korrekte Zuordnung zu einem Sender eine Tonspur von mindestens 15 Sekunden, schreibt Mediapulse. Doch wenn nun beim Zappen kürzere Tonspuren anfallen, würden diese quasi als Abfall aussortiert und keinem Sender zugeordnet. Beim alten System war es anders: Dieses mass nur alle 30 Sekunden und auch nur kurz (während wenigen Sekunden), und wies dann – basierend auf dieser Momentaufnahme – die gesamten Stücke von 30 Sekunden jenem Sender zu, der gerade erfasst worden war, auch wenn der Nutzer dort weniger lang verweilte. Fazit: Diese zufällige Bevorteilung einzelner Sender fällt im neuen System weg. In der Stellungnahme sprechen die Mediapulse-Anwälte denn auch von einer «akkuraten und wissenschaftlich korrekten, aber für 3+ nachteiligen Erfassung der effektiven Fernsehnutzung». Und weiter: «Gerade weil 3+ ihr Programm mit sehr vielen Werbeblöcken durchsetzt, mag 3+ stärker von diesem Wegzappeffekt während der Werbeunterbrechungen betroffen sein als andere Sender, welche ein weniger werbelastiges Programm als 3+ haben.»

Wer konnte mitreden?
Treffen all diese Faktoren zu, wird tatsächlich verständlicher, weshalb insbesondere private TV-Sender tendenziell «tiefere» Quoten aufweisen. Die Frage ist, wer entschieden hat, ob und wie diese Parameter konkret umgesetzt werden sollen – war es der Mediapulse-Verwaltungsrat allein oder konnte die Usercommission (UC) überall mitreden? Aus dem Papier geht hervor, dass die UC immer wieder involviert war. Unklar bleibt aber, ob auch alle erwähnten Details mit der UC abgesprochen waren. Fest steht hingegen, dass nicht bei allen veränderten Parametern im Voraus erkennbar war, wie sie sich auswirken würden. Bei manchen wurde dies erst mit der neuen Messung ersichtlich.

«Marginale» TV-Nutzung in PC-only-Haushalten
In der aktuellen Diskussion um das neue TV-Panel werden immer wieder die PC-only-Haushalte thematisiert – also Haushalte, die über kein separates TV-Gerät, jedoch über einen Breitbandanschluss samt PC oder Laptop verfügen und damit fernsehen könnten. Mediapulse bestätigt, dass diese Haushalte im Panel noch untervertreten sind, was derzeit durch vergleichsweise hohe Gewichtungen ausgeglichen werde. Zudem seien Nachrekrutierungen im Gang. Zudem relativieren die Mediapulse-Rechtsanwälte deren Bedeutung. Der Anteil dieser Haushalte an der TV-Nutzung betrage «selbst nach der Hochgewichtung lediglich 0.4%.» Die Endergebnisse würden also «nur marginal» beeinflusst.

Minimale Korrektur nach oben absehbar
Wie tief diese Nutzungszahlen tatsächlich sind, zeigt sich auch an einer neuen Massnahme, die Mediapulse vor wenigen Tagen angekündigt hat: In Absprache mit der Usercommission (!) werden etwa 60% der PC-only-Haushalte aus dem Panel «geworfen» – nämlich all jene, die zwar fernsehen könnten, dies aber gemäss eigenen Angaben nie tun. Entsprechend wird sich das Universum (aktuell 3,511 Millionen Haushalte) etwas verkleinern. Die Folge: Werte mit Bezug zum Universum (beispielsweise Rating in Prozent) dürften gemäss Mediapulse eine Erhöhung im einstelligen Prozentbereich erfahren.

Eine Anmerkung sei allerdings noch erlaubt: Die TV-Nutzung via PC oder Laptop mag in den PC-only-Haushalten klein sein. Das schliesst aber nicht aus, dass die TV-Nutzung via Tablet und Smartphone umso höher, vielleicht sogar überdurchschnittlich hoch ist. Doch das weiss niemand, denn Mediapulse kann diese Nutzungsart derzeit gar nicht messen.

Leserbeiträge

Monsieur Digital 26. Juni 2013, 11:24

Sauber, sauber! Danke für die Aufbereitung! Den Hammer finden wir das herausnehmen von PC HH, damit die Ratings nach oben gehen. Das Motto lautet hier wohl: „Wir basteln uns ein von allen akzeptiertes Panel“.
Frage: Ist das wissenschaftlich und mit der Ethik in der MAFO überhaupt vertretbar? Für uns nicht!
Was sagt der Quoten Tycoon Steinmann denn dazu?

Thomas Läubli 29. Juni 2013, 15:27

Quoten sind nichts weiter als ein statistisches Abbild der Kundennutzung. Sie sagen im Prinzip nichts darüber aus, was das Publikum will. Während einige mit Heroismus verteidigen, dass die Nutzung das Angebot verändern müsse, blenden sie aus, dass auch das Angebot die Nutzung beeinflusst. Nur ideologische Funktionäre sehen solche Modelle als eine Einbahnstrasse an. Wenn die Ideologen der gezielten Volksverdummung nur noch Oberflächlichkeiten anbieten wollen (und überdies mittels eingekaufter Sportanteile die Quote frisieren), dann konsumiert das Volk eben nur noch Schwachsinn, weil die Ideologen die Leute auf bescheidenem kognitivem Niveau halten möchten. Es rechtfertigt aber in keiner Weise einen Service Public.