von Ronnie Grob

Was die Klicks (nicht) sagen

Seit 2003 zählt die NET-Metrix AG Nutzer von Schweizer Websites und misst, wie sie sich verhalten. MEDIENWOCHE hat jeweils den Monat Mai verglichen und ausgewertet, wie die grossen Schweizer Medienportale abschneiden. Ein Zehnjahresvergleich.

Bald ist es wieder so weit: Medienhäuser verschicken einmal pro Monat Pressemitteilungen, in denen sie ihre eigenen Klickzahlen feiern und jene Werte hervorheben, in denen sie gerade vorne sind. Das ist bedeutungslos. Aufschlussreicher sind die Unterschiede, die sich über einen Zeitraum von 10 Jahren ergeben. «Der dominante Treiber der Entwicklung ist die Mobile-Entwicklung», sagt Benjamin Freuler, Projektleiter NET-Metrix-Audit, auf die Frage nach den grossen Bewegungen in diesen zehn Jahren. Der zweite Trend sind die Bezahlmodelle: Viele Verlage werden das Unmögliche versuchen, nämlich die Reichweite trotz Bezahlschranke zu bewahren.

Die Aktionen der Nutzer werden von verschiedenen Messwerten gemessen, auf die wir genauer eingehen. Ausgewertet wurde jeweils der Monat Mai.

Visits

«Zusammengehörige Nutzungsvorgänge auf Webangeboten», mehr dazu auf net-metrix.ch/glossar

Schweizer Medienportale 2003 - 2013, Visits in Tausend im Monat Mai via Net-metrix.ch (Ronnie Grob für Medienwoche.ch)

(Grafik in grösserer Version)

Bei den Visits setzen sich seit einigen Jahren die Boulevardportale Blick.ch und 20min.ch deutlich ab von der Konkurrenz. Eine Entwicklung, die mit der Ankunft der breiten Masse im Netz einhergeht, in Deutschland ist Ähnliches zu beobachten: War das vergleichsweise seriöse Spiegel.de jahrelang Marktführer, wurde es 2009 von Boulevardkönig Bild.de überholt und dann bald abgehängt. Für die Steigerung noch wichtiger ist der zunehmende Mobile Content, also die Zugriffe mit Apps von Smartphones und Tablets. Angezogen und aufgefangen von Angeboten, die ihre Inhalte mehrmals im Tag / in der Stunde ändern, werden die sogenannten «Heavy User», die eine Website mehr als 10 oder 20 mal täglich ansteuern.

Zuletzt einen Einbruch mit leichter Erholung verzeichnete Nzz.ch (2010: 9,647, 2013: 9,844 Millionen Visits), was natürlich an der Einführung von Registrierungspflicht und Paywall liegt, die zum Absprung vieler bezahlunwilliger Leser führte. SRF dagegen fährt mit 22,35 Millionen Visits im Mai einen neuen Rekord ein.

Von der Lancierung von Newsnetz (heute: Newsnet) im August 2008 hat vor allem der Tages-Anzeiger profitiert – mit 18,5 Millionen aktuell hat er rund 2,5 mal mehr Visits als Basler und Berner Zeitung zusammen. Online keine nationale Ausstrahlung zu besitzen, dürfte vor allem die Basler Zeitung ärgern, deren MedienVielfalt Holding bekanntlich eine Förderung der Medienvielfalt beabsichtigt.

Unique Clients

«Anzahl Computer (Browser, Clients), von denen auf ein Webangebot zugegriffen wird», mehr dazu auf net-metrix.ch/glossar

Schweizer Medienportale 2003 - 2013, Unique Clients in Tausend im Monat Mai via Net-metrix.ch (Ronnie Grob für Medienwoche.ch)

(Grafik in grösserer Version)

Die Anzahl der Unique Clients hat mit der Stärke der Marke zu tun, aber auch mit den getroffenen Massnahmen, um Nutzer auf die eigene Website zu bringen (SEO, Werbung, etc). Allerdings verirren sich viele einmal pro Monat auf eine Website wie Blick.ch oder 20min.ch, die aktuell je rund 3,5 Millionen Clients aufweisen. Wenn etwas interessiert bei den Unique Clients, dann die Anzahl pro Tag, sagte uns Hansi Voigt im Interview.

Unique Clients sind eine technische Reichweite und darum ein harter, wichtiger Wert. Die Delle in der Wachstumskurve ab 2010 ist mit einer strengeren Korrektur ab Januar 2010 zu erklären. Im Report NET-Metrix-Profile versucht man, die Clients zu Usern zusammenzufassen, einsehbar sind die Zahlen pro Monat, pro Woche und pro Tag.

Use Time

«Mittlere Dauer eines Visits eines Webangebots», mehr dazu auf net-metrix.ch/glossar

Schweizer Medienportale 2003 - 2013, Use Time in Minuten im Monat Mai via Net-metrix.ch (Ronnie Grob für Medienwoche.ch)

(Grafik in grösserer Version)

Die Use Time ist die Durchschnittszeit pro Visit und beschreibt, wie ein durchschnittlicher Visit aussieht. Es zeigt die Zeit, in der ein Kunde klickend auf der Website verbringt. Sie muss bewertet werden angesichts des Anstiegs der Visits ab 2010 durch die erhöhte Nutzung durch Mobilgeräte. Wenn die Leute heute weniger lange bleiben, liegt das auch daran, dass sie öfters kommen.

Websites, die eher kurze bis mittellange Videos anbieten, profitieren von einer hohen Nutzungsdauer. Lange Videos dagegen nicht, denn ein Visit wird geschlossen, wenn eine halbe Stunde nicht geklickt wird. Die hellgrüne SRF-Kurve besteht aus Zahlen von sf.tv und srf.ch – drs.ch konnte nicht eingearbeitet werden. Sie ist darum nicht aussagekräftig.

Page Impressions

«Anzahl Sichtkontakte beliebiger Internetnutzer mit einem gemessenen Webangebot», mehr dazu auf net-metrix.ch/glossar

Besonders viele Seitenabrufe erreichen Websites mit Bildergalerien / Bildstrecken, zu sehen in vielen Artikeln von Blick.ch, 20min.ch und Newsnet. Zwar wirken viele dieser Klickstrecken aufgesetzt und unnötig, dem Boulevard soll es aber als Mittel der Darstellung erlaubt sein – es soll ja Leser geben, die sich von Klickgalerien in bestmöglicher Weise informiert und unterhalten fühlen.

Page Impressions sind eng verknüpft mit den Ad Impressions, den Abrufen der einzelnen Werbemittel. Viele Websites bestehen darauf, die Page Impressions im Audit zu haben, denn die werden dann als Ad Impressions verkauft an die Werbeindustrie. Leider hat die Zählung der Seitenabrufe (Page Impressions) extrem negative Einflüsse auf den Journalismus und die Usability. Sie führt direkt zu sinnlosen Klickstrecken, Bildergalerien, Splittung von Seiten und anderen Schrecklichkeiten (vgl. «Die sieben Todsünden der Nachrichtenportale»). Als ernstzunehmender Messwert gehören sie darum abgeschafft, auch wir werden uns nicht mit diesen Werten auseinandersetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die Werbeindustrie zukünftig nicht so naiv ist, sich von hohen, mit allerlei Tricks zusammengestoffelten Seitenabrufen beeindrucken zu lassen.

Es gäbe noch einen finanziellen Grund, die Seitenabrufe nicht zu maximieren, ist doch die Bemessungsgrundlage für die Bezahlung der Teilnehmer an die von Net-Metrix gemessenen Page Impressions.

Fazit

Von allen Werten sind am am ehesten die Visits beachtenswert. Mit der Einführung der Registrierungs- und Kostenpflicht einzelner Websites verändert sich aber die bisherige Vergleichbarkeit. Sollten Nzz.ch oder Tagesanzeiger.ch ihre Online-Inhalte in zufriedenstellender Weise monetarisieren können – was interessieren dann noch die Anzahl Seitenaufrufe? In der Bezahlstrategie könnte eine Abkehr von der Quote hin zur Qualität liegen, doch noch ist das mehr Hoffnung als Realität.

Die Werbetreibenden täten gut daran, genau hinzuschauen und ihre Budgets nicht einfach den grössten Klickbolzern zu vergeben, denn «Reichweite und Preis sind nicht die entscheidenden Kriterien für die Wirkung», so Urs Schneider, Inhaber der Mediaagentur Mediaschneider, an der Pressekonferenz zur Studie MediaBrands.

Wer kritischem Journalismus eine Zukunft geben will, muss als Konsument bezahlen und als Werbetreibender Etats auch an Teilnehmer vergeben, die keinen billigen Boulevard und keine SEO-Tricks machen. Wer kritischen Journalismus schätzt, sollte seine Werbegelder dort einsetzen, wo kritischer Journalismus gemacht wird.

Bild: Wikimedia Commons/Blnguyen, CC-BY-SA-3.0