Der Wert der Medienschelte
Mit einer prominenten Medienschelte endete der Verlegerkongress am letzten Freitag in Interlaken: Bundespräsident Ueli Maurer liess kein gutes Haar an den Schweizer Medien. Die Verleger quittierten die Breitseite mit Buhrufen. Dabei müssten sie Maurer dankbar sein.
Der Medienkongress endete, wie er angefangen hatte. Mit einem Eklat. Am Donnerstag desavouierte das Präsidium des Verbands Schweizer Medien seinen Geschäftsführer. Zum Schluss des Kongresses verlor ein Teil der Anwesenden die Contenance und quittierte die Rede von Bundespräsident Ueli Maurer mit Pfiffen und Buh-Rufen.
Die Reaktion ist zwar nachvollziehbar. Denn die Rede war ein Ärgernis. Aber es geziemt sich nicht, einem Magistraten gegenüber mit lautstarken Missmutsbekundungen aufzutreten. Dass der Bundespräsident ein überaus negatives Bild der Schweizer Medien zeichnet, sei ihm unbenommen. Wenn er es dabei mit den Fakten nicht so genau nimmt, darüber darf man sich aufregen.
Wer eine Breitseite abfeuert, trifft immer irgendeinen Punkt. So auch Maurer. Tatsächlich zeigt sich in den schweizerischen Medien bisweilen ein einseitiges Meinungsspektrum. Patrik Müller nennt als Beispiel die Frage eines Schweizer EU-Beitritts. Es gibt heute keine Redaktion, die ernsthaft einen Beitritt der Schweiz zur EU fordert. Bezeichnenderweise nennt Maurer nicht das naheliegende Beispiel als Beleg für die «Denkverbote», sondern allerhand anderes von Atomenergie bis Zuwanderung.
So sagt Maurer: «Es gibt in der Schweizer Medienlandschaft so etwas wie eine selbstverfügte Gleichschaltung.» Was der Bundespräsident damit wohl meint: Schweizer Medien haben einen Linksdrall. Dabei vergisst er tunlichst zu erwähnen, dass es mit der Weltwoche, der Basler Zeitung und auch der Berner Zeitung mindestens drei grosse Titel gibt, die einen konsequent bürgerlichen Kurs fahren. Von «Gleichschaltung» kann keine Rede sein, auch wenn die Meinungsvielfalt durchaus grösser sein könnte.
Maurer macht in seiner Rede genau das, was viele Medien auch tun: Er nimmt eine These und sucht sich jene Fakten zusammen, die seine Behauptung stützen. Was seiner Annahme widerspricht, blendet er aus. Oder erfindet frei dazu. Wie etwa die Aussage, dass sich die klammen Verleger nun an den Staat wendeten und Subventionen einforderten. Passt schön ins Bild, stimmt aber nicht. Auch am Medienkongress machten Verleger erneut deutlich, dass sie keinerlei staatliche Unterstützung wünschen. Dass sie Maurers Unterstellung mit Vehemenz zurückweisen, ist nachvollziehbar.
Anstatt ihn auszubuhen, hätten die Verleger dankbar applaudieren müssen. Mit seinem halbgaren Elaborat bot der Bundespräsident eindrücklichen Anschauungsunterricht, wie man Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt, wenn man sich von Vorurteilen leiten lässt. In dem Sinn traf seine Kritik durchaus einen wunden Punkt. Nur nicht so, wie er es eigentlich gemeint hat.
bugsierer 15. September 2013, 16:01
das muss man sich mal auf der zunge zergehen lassen. die verlegergilde, oder zumindest ein teil davon, buht im noblen grand hotel den bundespräsi aus. und keiner der herren macht zumindest den versuch, sich für das schlechte benehmen seiner kollegen zu entschuldigen oder dieses zumindest etwas herunter zu temperieren. hatten die keine pr-berater vor ort? oder wie?
Otto Kunz-Torres 16. September 2013, 10:24
Welche Medien hätten Sie den gerne Herr Bundesrat Maurer? Vermutlich haben Sie bei Ihrer Standpauke ja kaum an die Wochenzeitung WOZ, an die Gewerkschaftszeitung work oder an den Beobachter gedacht. Diese Zeitungen machen als Beispiele bei der medialen Gleichschaltung nicht mit. Wahrscheinlich dachten Sie an die Weltwoche, die Schweizerzeit oder allenfalls an die BaslerZeitung BaZ. Bei der Weltwoche ist mit Köppel aber kein politisch motivierter Überzeugungstäter am Schreiben, sondern einfach ‚His Master’s Voice‘ (nachzulesen heute in der NZZam Sonntag). Und in der BaZ kommen ‚leider‘ Linke und Grüne auch noch zu Wort. Sonst wäre der Leserschwund noch grösser und würde jener der Einheitsmedien bei weitem übertreffen!
Zwar sind bei Ueli Maurer auch einige gute Gedanken dabei. Aber die Medienlandschaft verändert sich laufend. Wie viele Leute sehe ich morgens im Tram noch eine Abo-Zeitung lesen, wie viele lesen ’20 Minuten‘ und wie viele sind am iPad oder iPhone? Wie gross sind die Zeitungsstapel noch bei der Altpapiersammlung? Der Werbekuchen teilt sich immer mehr auf zwischen Print-, Online- und elektronischen Medien. Und die Zeit der Parteiblätter ist schon lange Geschichte. Ich teile einige Befürchtungen von BR Maurer. Aber wohl in eine andere Richtung, nämlich eine Murdochisierung der Medien. Sein Parteikollege Blocher ist da ja schon am werkeln… Was das bedeutet, wurde jetzt in Australien spürbar. Nicht der Erzkonservative Kevin Rudd hat eigentlich die Wahlen gewonnen, Gewinner ist Rupert Murdoch! An dieser Entwicklung der Medien kann auch eine bundesrätliche Schelte nichts ändern, wenn sie es in diesem Falle denn überhaupt möchte…
Ueli Custer 17. September 2013, 17:04
Ich sehe nicht ein, warum ich der Rede eines als Bundespräsident verkleideten und offensichtlich frustrierten Parteifunktionärs noch hätte applaudieren sollen. Seine Rede war mieser Boulevardjournalismus frei von irgendwelchen Fakten und voll von viel schlechten Gefühlen. Anstand gilt für beide Seiten und wer sich als Gast unanständig benimmt, muss damit rechnen, dass sich auch der Gastgeber „unanständig“ benimmt.
bugsierer 17. September 2013, 18:39
es geht nicht um diese olle und scheinheilige rede von ueli maurer, es geht um die zur schau gestellte und doch nicht vorhandene grandezza dieses honorigen zirkels. nicht buhen oder eine elegante entschuldigung wäre ein zeichen von grösse gewesen. nach dem motto: unternehmer jammern nicht. jedenfalls nicht auf diesem tiefen niveau. – aber dafür sind sie als „Verfasser eines jährlich aktualisierten Dossiers Medienlandschaft Schweiz für den Verband Schweizer Medien“ wohl zu sehr ein ratloser interessenvertreter.
Ueli Custer 18. September 2013, 07:22
Um was es mir geht, ist ja wohl noch meine Sache.
bugsierer 18. September 2013, 17:12
aber selbstverstänlich dürfen sie das, keine frage. ich wollte nur aufzeigen, um was es wirklich geht, meiner meinung nach. nämlich darum, dass maurer in den letzten 15 jahren massgeblich dazu beigetragen hat, unziemliches verhalten im öffentlichen leben salonfähig zu machen. bis hin in die salons von interlaken hat er es nun offensichtlich geschafft. das ist das traurige und das ist der punkt. mit schlechtem benehmen holt man wohl stimmen beim wahlvolch, aber sicher keine neuen kunden für die medienindustrie von morgen.
Johannes M. 17. September 2013, 19:15
Dass die Medienleute die Schelte des Herrn Maurer mit Buh quittieren, kann ich verstehen. Niemand schätzt es, wenn er coram publico getadelt wird. Man müsste sich aber auch einmal fragen, warum Herr Maurer dazu gekommen ist, seine Schelte vorzubringen.
Ich habe nicht den Eindruck, man gehe von Medienseite her sonderlich pfleglich mit ihm um. Es ist sonnenklar, dass man nicht die gleiche Meinung wie er haben muss. Man kann auch jederzeit an seinen Aussagen und auch an seinen Entscheiden Kritik üben; man muss aber auch im Stande sein, andere Standpunkte zu respektieren, auch wenn sie von einem Vertreter der Landesregierung kommen.
irgendeiner 18. September 2013, 09:54
Darauf kommt es doch längst nicht mehr an? Und es ist ein offensichtliches Eingeständnis dass Gegenargumente fehlen.
Nicht nur beim Verband sondern auch bei Hr. Lüthi!
Die unerfreuliche Gleichschaltung besteht nicht (mehr) in einem Linksdrall, sondern in sehr vielen anderen Punkten. Und Maurer machte es eben nicht genau so wie die Medien, sondern belegte seine Einwände Punkt für Punkt.
Das passte schön ins Bild eines professionellen Schreibers, stimmt aber nicht. Und wie ist es mit dem besonders günstigen Porto für den Zeitungsversand? Das war ein staatlicher Zuschuss oder??
Halbgar ist dieses Elaborat von Nick Lüthi, was er Ueli Maurer unterstellt trifft vorwiegend auf ihn selber zu!
Und die Gleichschaltung der Presse hat man hier wieder einmal gesehen: Bashing der SVP ist nicht nur bei Linken ein beliebtes Sujet…
Ueli Custer 18. September 2013, 10:02
Waren Sie dabei oder haben Sie nur den Text gelesen? Das sind zwei völlig verschiedene Welten. Im gesprochenen Wort waren keine Argumente sondern nur Verallgemeinerungen zu hören. Ich bin gegenüber den Leistungen der Presse durchaus kritisch eingestellt – vor allem im Bereich der Lokalberichterstattung. Aber eine solche Pauschalverurteilung wie sie eben nur zu hören war, ist eines Bundespräsidenten unwürdig.
irgendeiner 18. September 2013, 13:27
@U. Custer:
Ich habe ’nur‘ das Manuskript auf admin.ch gelesen und dieses hat mich überzeugt. Wenn im Vortrag stark abgewichen wurde müsste man dem Redner empfehlen, bei derart heiklen Themen möglichst nahe am Skript zu bleiben, denn in der Hitze des Gefechts können nur besonders begabte Redner sich solche Freiheiten unbeschadet leisten.
Hanspeter Spörri 18. September 2013, 17:39
«Es gibt heute keine Redaktion, die ernsthaft einen Beitritt der Schweiz zur EU fordert.» – Ich finde, Nick Lüthi hat mit diesem nüchternen Satz das monumentalste Denkverbot in der Schweiz und der schweizerischen Medienlandschaft beschrieben. So, wie das Thema behandelt wird, können auch die Beitrittsgegner ihre Argumente nicht schärfen, und der autonome, fast automatische Nachvollzug von EU-Regulierungen wird zur Regel.
Fred David 20. September 2013, 23:41
Ja. Alledings sind Journalisten, die sich solche Denkverbote gefallen lassen, selber schuld, wenn mit ihnen Schlitten gefahren wird, dass es nur so pfeift.
Hermann T. Meyer 22. September 2013, 16:37
Zu „So sagt Maurer: «Es gibt in der Schweizer Medienlandschaft so etwas wie eine selbstverfügte Gleichschaltung.»“:
Diese gibt es wirklich, beim Thema Alkoholproblem. Und da ist Maurers SVP dominant dabei. Kaum ein Medium hat aus Überzeugung, nach eigenen Recherchen das neue Alkoholgesetz unterstützt oder sogar noch bessere Massnahmen gefordert. König Alkohol regiert bei uns praktisch unangefochten, wie der Nationalrat bewiesen hat. Die Medien existieren höchstens scheinheilig im Nachhinein. Siehe auch bei http://www.alkoholpolitik.ch
Peter M. Linz 10. Oktober 2013, 11:35
Die meisten Leute lesen keine oder nur eine Zeitung. Die SRG bringt keine kritischen Beiträge über den Staatsfeminismus, über die Energiewende, die ausufernde verfehlte Entwicklungspolitik und schon gar nicht irgend etwas Positives über die amerikanischen Republikaner. Selbst, wenn es noch 3 Publikationen gibt, die andere Meinungen veröffentlichen, genügt das nicht zur Meinungsbildung. Jede Zeitung und die SRG müssten die Vielfalt der Meinungen reflektieren. Das wird eben nicht getan.