von Nick Lüthi

Einfach mal in den Spiegel schauen

Keine Überraschung: Das Jahrbuch «Qualität der Medien» stellt auch im vierten Jahr seines Erscheinens einen Qualitätsverlust der Schweizer Medien fest. Das wird die Branche nicht freuen. Anstatt in der Schmollecke zu verharren, lohnt sich ein Blick in den Spiegel.

Der Aufwand ist enorm. Dutzende von Medienforscherinnen und -forschern der Uni Zürich tragen Jahr für Jahr Zahlen und Daten zusammen und werten sie aus. Als Ergebnis liegt auch in diesem Jahr ein gewichtiger Wälzer vor, zwar etwas dünner als zuletzt, aber immer noch von beachtlicher Dimension. Und auch vom Inhalt her gleicht das aktuelle Jahrbuch «Qualität der Medien» den Vorjahresausgaben. Sein anhaltender Tenor: Qualitätsverlust allenthalben.  Die wenigen Verbesserungen gehen lediglich als die Ausnahmen durch, die die Regel bestätigen.

  • Verbesserung bei der Sachlichkeit
  • Einbusse der Einordnungsleistung
  • Abnahme der Relevanz
  • Fazit: Alle Medientypen erleiden im Vergleich zum Vorjahr Qualitätseinbussen

Ein Befund, der die Branche nicht eben in Verzückung versetzen wird. Auch in diesem Jahr ist deshalb mit einer Mischung aus Abwehr und Ignoranz zu rechnen als Reaktion auf das Jahrbuch; ein gut eingeübter Reflex nach vier Jahren.

Nun darf man über Methoden und Schlüsse des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft fög geteilter Meinung sein. Das fög verkündet schliesslich keine letzten Wahrheiten. Durchaus diskutabel ist etwa die Qualitätsvalidierung anhand der Analyse von Frontseiten und Aufmacherbeiträgen. Die Titel zeigen nur einen Ausschnitt des redaktionellen Prozesses, wenn auch einen wichtigen. Mit anderen Methoden und Massstäben sähe die Qualitätsrangliste der Schweizer Medien vielleicht anders, für einzelne Akteure besser, aus.

Nicht bestreiten lassen sich dagegen die Elemente des Strukturwandels, die sich auch ohne wissenschaftliches Instrumentarium beobachten und beschreiben lassen. Die da wären:

  • ökonomische und publizistische Konzentration
  • Erlösverluste der Tages- und Sonntagspresse
  • Vielfaltsverluste bei den Abonnementszeitungen
  • territoriale Aufteilung der Absatzgebiete
  • Ausrollen von Mantel- und Kopfblattsystemen
  • geringere Titelvielfalt bei den Newssites

Ebenso unbestritten sollte es eigentlich sein, dass sich diese Veränderungen in der einen oder anderen Form negativ auf die Qualität der Medien auswirken. Nur eben wie und wie stark? Solange in tonangebenden Teilen der Branche das Credo vorherrscht, dass sich alles immer nur zum Besseren wende, egal wie tief der Wandel greift, solange wird es auch keine Auseinandersetzung um die Befunde des Jahrbuchs geben, die den Namen verdient. Das ist eine verpasste Chance, ja eine Dummheit.

Denn das Jahrbuch ist zuerst einmal eine Gratis-Dienstleistung. Der Zugang zu den Forschungsdaten kostet die Medien keinen Rappen, im Gegensatz zur Auftragsforschung privater Institute. Es gibt keine andere kontinuierliche Forschung, die sich inhaltlich so breit abgestützt mit der Entwicklung der Schweizer Medien befasst. Auflagenstatistik, TV-/Radio-Quote und Publikumsforschung liefern zwar auch wichtige Indikatoren zur Befindlichkeit der Branche. Aber nur das Jahrbuch wagt sich an das heisse Eisen der Q-Frage.

Die mitunter allergischen Reaktionen aus den kritisierten Medien auf das Qualitätsscoring sind zuerst einmal nachvollziehbar. Wer im ungebeten hingehaltenen Spiegel eine hässliche Fratze erkennt und nicht die makellose Visage, die man eigentlich zu tragen meint, wehrt irritiert ab. Wer aber deshalb gleich den Spiegel für schadhaft erklärt und sich weigert, zumindest darüber nachzudenken, wieso er sieht, was man sieht, macht es sich zu leicht. Als Debattenangebot und -plattform eignet sich das Jahrbuch ideal, gerade weil es unangenehme Befunde aufzeigt. Anstatt beleidigt in der Schmollecke zu verharren, lohnt sich ein Blick in den Spiegel.

Leserbeiträge

Beat Schwab 27. September 2013, 13:53

Ein guter Boxer teilt hart aus, ist aber auch hart im Nehmen. Fehlt letztere Qualität, so schaut eine schnell beleidigte Mimose aus dem Spiegel.
Wie schön ist es halt, vom sicheren Stuhl des Beobachters aus, im Nachhinein zu kritisieren, wer was alles hätte besser machen sollen. Ganz anders ist es natürlich, wenn journalist selbst ins Visier solcher Betrachtungen fällt.
Dann zeigt sich Grösse…. Oder eben auch nicht.
Nach meiner Einschätzung ist die NZZ eine der wenigen Blätter, die den Blick in den Spiegel wagt.