«Wir können uns nur behutsam verändern»
Alles gar nicht so dramatisch, findet Volker Herres (56). Der Programmdirektor von Das Erste (ARD) vertraut darauf, dass eine starke Marke auch in Zukunft vom Publikum nachgefragt sein wird. Den Schlüssel zum künftigen Erfolg sieht Herres in erster Linie in der Präsenz auf allen Plattformen: «Wir müssen unsere Qualitätsprodukte dort anbieten, wo die Leute sie haben wollen.»
MEDIENWOCHE: Gestern Abend lief im Ersten die Talksendung «Menschen bei Maischberger». Wie viele Menschen haben den Talk gesehen?
Volker Herres: Das kann ich Ihnen gerade nicht sagen. Da müsste ich zuerst nachsehen. Normalerweise weiss ich das aber.
Sie haben keinen Blackberry, der morgens mit den Quoten surrt?
Doch. Ich gucke mir die Zahlen jeden Morgen an. Nur war ich heute so beschäftigt, dass ich die Werte für Maischberger nicht mehr im Kopf habe. Ich weiss aber, dass wir gestern der erfolgreichste Sender waren.
Was ist bei einem Talk wie «Maischberger» ein guter Wert?
Ein zweistelliger Marktanteil.
Wann sind Sie mit der Quote zufrieden?
Das ist von Programm zu Programm unterschiedlich und hängt von den Inhalten ab. Natürlich habe ich an ein Spitzensportereignis oder an eine grosse Unterhaltungsshow andere Erwartungen als an ein Kulturmagazin oder eine Auslandsreportage. Für alles haben wir Grössenordnungen, von denen wir sagen können, dass sie für ein nationales Vollprogramm ein guter Wert sind.
Sie haben sich ja auch schon gewundert, dass man Sie als quotenfixiert bezeichnet hat.
Ja, da fühle ich mich falsch beurteilt. Ich habe mich mein bisheriges Berufsleben lang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen engagiert, weil ich es faszinierend finde, dass bei uns die Frage nach den Inhalten im Zentrum steht. Aber selbstverständlich will jeder Programmmacher doch möglichst viele Menschen mit seinem Angebot erreichen. Wir machen doch nicht Journalismus, damit es niemand bemerkt! Der Begriff der «Quote» wurde durch manche Diskussion kontaminiert. Die Quote drückt die Akzeptanz bei unseren Zuschauern aus, und von denen wollen wir uns doch hoffentlich nicht verabschieden.
Die Quote lässt sich in Marktanteilen und Zuschauerzahlen messen. Wie messen Sie Qualität bei der ARD?
Ich glaube nicht, dass man Qualität im klassischen Sinn messen kann mit der Präzision einer Rechenmaschine. Bei einer fiktionalen Produktion lassen sich aber sehr wohl die Relevanz des Stoffes, die Qualität des Drehbuchs beurteilen, oder die Qualität der Regie und die schauspielerische Leistung. Dafür gibt es etablierte Massstäbe. Und ebenso gibt es klare Qualitätskriterien für journalistische Sendungen.
Was erwarten die Zuschauer vom Ersten?
Die Zuschauer erwarten von uns, dass wir sie bestens informieren, das steht sicher ganz vorn. Wer Das Erste einschaltet, dem wird nichts Wesentliches auf der Welt entgehen. Aber ebenso wollen wir glänzend unterhalten, und relevante fiktionale Produktionen zeigen.
Sie sind seit fünf Jahren ARD-Programmchef. Wie haben sich in dieser Zeit die Publikumserwartungen verändert?
Bewegung gibt es immer. Aber im Fernsehen gibt es selten abrupte Bewegungen. Als Trend beobachten wir, dass die Zuschauer viel mobiler und flexibler geworden sind. Man kann auch sagen untreuer, weil sie eine grössere Auswahl haben und es gewohnt sind, sich aus einer immensen Angebotsfülle zu bedienen. Sie nehmen es nicht einfach hin, wenn man ihnen etwas vorsetzt, das ihnen nicht gefällt. Wir beobachten hier eine Verschiebung von einem Angebotsmarkt hin zu einem Nachfragemarkt, bei dem die Menschen sich das holen, was und wann sie wollen.
Vor allem die jungen Zuschauer sind untreu. Vor drei Jahren sagten Sie, die ARD müsse mehr junge Zuschauer gewinnen. Haben Sie das erreicht?
Wir sind ein bisschen jünger geworden. Ich halte allerdings das Durchschnittsalter für eine schlechte Messgrösse. Es passiert ja Folgendes in der Gesellschaft. Die Menschen werden glücklicherweise immer älter. Und je älter die Menschen werden, desto mehr gucken sie fern. Wenn sich die demografische Entwicklung nicht ändert, wird das ältere Publikum in der Nutzerzahl immer das dominante sein.
Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach, wenn Sie dem Automatismus vertrauen, dass die Leute vermehrt fernsehen mit zunehmendem Alter?
Ich glaube schon, dass sich auch in Zukunft das Medienverhalten mit dem Älterwerden verändert. Wenn Menschen ins Erwachsenenalter kommen, Familie haben, dann spielt klassisches Fernsehen eine grössere Rolle, als wenn man 17 oder 18 ist. Diesen Effekt gibt es. Gleichzeitig beobachten wir, dass die Internet-Nutzung zunimmt, während die Fernsehnutzung stabil bleibt. Das Netz hat dem Fernsehen bisher nichts an Aufmerksamkeit genommen. Dennoch: Das Fernsehen wird sich verändern müssen. Wir bieten unsere Inhalte längst nicht mehr nur linear an. Jeder kann in den Mediatheken unsere Sendung auch nach der Ausstrahlung gucken, wann und wo er will, auf dem Smart-TV, dem PC, dem Tablet oder dem Smartphone. Wir müssen unsere Qualitätsprodukte dort anbieten, wo die Leute sie haben wollen.
Bewegtbild ist längst kein Exklusivangebot mehr des Fernsehens. Was unternehmen Sie, dass die TV-Programme in der Videoflut nicht untergehen?
In der künftigen Fernsehwelt werden Marken ganz entscheidend sein. Für uns heisst das, dass wir starke Marken über die lineare Verbreitung hinaus erweitern auf alle Plattformen. Nehmen Sie die Tagesschau: Die läuft bei uns ungefähr im Stundentakt im Ersten mit der Hauptausgabe um 20 Uhr. Sie läuft in den Spartenkanälen und in mehreren dritten Programmen. Wir haben mit «Tagesschau24» einen Nonstop-Nachrichtenkanal. Dazu kommen die Website und die «Tagesschau-App». Das macht alles die Redaktion in Hamburg. Da haben wir eine Marke so aufgestellt, dass sie als die seriöseste und bestgemachte Nachrichtensendung Deutschlands jederzeit allen und überall zur Verfügung steht.
Online-Video hat neue Sehgewohnheiten hervorgebracht. Wie reagieren Sie darauf?
Ein klassisches Vollprogramm, wie Das Erste, kann sich nur behutsam verändern, weil wir sonst einen Teil des Publikums sofort verprellen würden. In unseren Spartenkanälen können wir dagegen experimentieren. Es gibt ja eine Diskussion über die Einführung eines Jugendkanals. Und es spricht vieles dafür, dass ARD und ZDF sich einigen, gemeinsam so ein Angebot zu machen, das von vornherein nicht allein lineares Fernsehen wäre. Man würde eine ganzheitliche Welt für die junge Zielgruppe schaffen.
Für solche Entwicklungsschritte steht Ihnen nicht endlos viel Geld zur Verfügung. Trotz neuer Medienabgabe erhält die ARD in den nächsten Jahren unter dem Strich weniger Mittel als heute. Wo sparen sie?
Überall wo es geht. Natürlich werden alle Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt, die wir haben. Insbesondere neue Technologien bringen Erleichterungen und Einsparungspotenzial. Aber auch im Programm sparen wir. So haben wir die Etats für Sportrechte in den letzten Jahren sukzessive zurückgefahren und auch das eine oder andere nicht erworben, weil wir uns das nicht mehr leisten können, wenn andere Wettbewerber sehr viel mehr zahlen. Die Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft etwa wird man künftig bei RTL sehen.
Wie weit ist man bei der ARD mit der Konvergenz zwischen Radio, TV und Online?
Das wird in den einzelnen Häusern sehr unterschiedlich umgesetzt. Aber es gibt einen allgemeinen Trend zur Konvergenz. Der Bayrische Rundfunk, in dessen Haus wir hier sitzen, arbeitet daran, das Unternehmen mehr oder weniger vollständig trimedial umzustellen. Ein Ziel ist es natürlich auch, damit Einsparungen zu erzielen, jedoch ohne die Qualität unserer Angebote anzutasten.
Apropos Sparen: Sie haben einmal gesagt, fünf Talks im Ersten sei einer zu viel. Wann fliegt einer raus aus dem Programm?
Wir werden 2014 den Talk mit Reinhold Beckmann verlieren, weil er seine Sendung nicht fortsetzen wird. Diesen Platz werden wir nicht mehr mit einem Talk ersetzen und werden damit automatisch nur noch vier Gesprächsformate im Programm haben.
Sie sagten einmal: «Die Wege in der ARD sind oft kompliziert und verschlungen, aber die Ergebnisse in der Regel beeindruckend.» Wieso geht es nicht direkter und einfacher?
Die ARD ist ein komplexes föderales Gebilde, so wie die Bundesrepublik auch. Aber ich bin zutiefst überzeugt, so wie der Föderalismus die richtige Staatsform für Deutschland ist, so ist er auch in der ARD eine Stärke und nicht eine Schwäche. Das macht manches schwerfälliger, dafür sind wir näher bei den Menschen und tiefer in den Regionen verwurzelt.
Das Gespräch fand am 25. September in München statt.