An ihren Taten sollt ihr sie erkennen
Was unterscheidet eine NGO, die journalistisch recherchiert, von einer Publikation, die mit anwaltschaftlichem Journalismus politische Ziele verfolgt? Gar nicht so viel: Die einen schreiben zuerst und handeln dann. Die anderen handeln zuerst und schreiben danach. Anmerkungen zu einem Disput zwischen einem Redaktor der Zeitschrift «Beobachter» und dem Medienspercher der NGO «Erklärung von Bern».
Es begann mit einer Frage: Ein Journalist wollte wissen, was ein Lobbyist an einem Journalisten-Anlass verloren hat. Die Frage war natürlich rhetorisch gemeint. Denn für den Journalisten gibt es nur eine Antwort: Nichts hat ein Lobbyist am MAZ-Recherchetag zu suchen. Denn er steht auf der anderen Seite, ist quasi der natürliche Feind der Journalisten.
Aus der Frage entwickelte sich ein Disput. Der Journalist (Otto Hostettler, Redaktor «Beobachter») und der Lobbyist (Oliver Classen, Mediensprecher «Erklärung von Bern») haben daraufhin ihren Standpunkt dargelegt. Der Lobbyist erklärt, wieso sich seine Arbeit eigentlich gar nicht so stark von derjenigen recherchierender Journalisten unterscheide. Auch darum habe er am MAZ-Recherchetag teilgenommen. Es gehe ihm um «Erfahrungsaustausch in Sachen Quellenschutz, Öffentlichkeitsgesetz, Durchleuchtung nicht börsenkotierter Unternehmen und Verwendung von Justizdokumenten als News-Quellen», schreibt Classen.
Das wiederum lässt der Journalist nicht gelten. Er zieht in seiner Replik einen klaren Trennstrich: «Warum ich mich gegen PR abgrenze», lautet der Blogeintrag von Otto Hostettler. Lobbyisten und PR-Leute hält er grundsätzlich für «Informationsverhinderer». Besucht ein Lobbyist einen Journalistenanlass, dann nur aus einem Grund: wegen der Kontaktpflege. «Selten versammeln sich in der Schweiz so viele neugierige, motivierte Journalistinnen und Journalisten an einem Ort. Gegen 80 an der Zahl konnte er am Recherche-Anlass auf einen Schlag treffen.»
Da sind sie wieder, die altbekannten Frontlinien und Feindbilder. PR gegen Journalismus und vor allem umgekehrt. So weit so langweilig. Die x-te Neuauflage des identitätsstiftenden Abgrenzungs– und Umarmungsrituals. Spannend wird es im konkreten Fall bei einem genaueren Blick auf die beiden Protagonisten und ihre Arbeitgeber.
Otto Hostettler arbeitet beim «Beobachter». Das ist nicht irgendein Springer-Heftli, sondern eine traditionsreiche und erfolgreiche Institution in der Schweizer Medienlandschaft. Der «Beo» setzt sich nach eigener Definition gegen staatliche Willkür und andere gesellschaftliche Missstände ein. Sein politisches Programm nährt sich weniger aus einem weltanschaulichen Selbstverständnis. Es sind die Sorgen und Nöten der Leser, deren sich die Redaktion anwaltschaftlich annimmt. Und das nicht nur mit Text und Bild.
Regelmässig greift der «Beobachter» zu ganz handfesten politischen Instrumenten. Seit der Gründung vor bald 90 Jahren zählen dazu Kampagnen, Petitionen und Volksinitiativen. So ging es 1928 gegen die Todesstrafe, 1933 fand eine Kleidersammlung für Bergbauernkinder statt. Später folgten die erfolgreichen Begehren für eine Opferhilfe und den Gen-Schutz. Aktuell steht die Rehabilitierung der sogenannt administrativ Versorgten auf dem politischen Programm. Auch dieses Anliegen wird der «Beobachter» aller Voraussicht nach als Erfolg abbuchen können. Das geht natürlich nicht ohne Lobbyarbeit. Damit die «administrativ Versorgten» rehabilitiert und entschädigt werden, müssen Kontakte zu Politikern gepflegt und hinter den Kulissen Fäden gezogen werden. Darüber liest man natürlich nichts im Heft. Journalisten können genauso als Lobbyisten auftreten, wie Lobbyisten imstande sind, eine journalistische Recherche auf den Boden zu bringen, zumal dann, wenn sie früher selbst im Journalismus tätig waren.
Im Vergleich zum politischen Aktivismus des «Beobachter» nehmen sich die journalistischen Aktivitäten der NGO gar nicht so grundlegend anders aus. Wenn sich eine «Erklärung von Bern» daran macht, den Rohstoffplatz Schweiz zu auszuleuchten, dann tut sie das natürlich auch mit dem Interesse, politische Regulierung in ihrem Sinn zu forcieren. Die Recherchen sind deshalb nicht minder akkurat und gehen genauso als Journalismus durch, wie eine «Beobachter»-Recherche.
Die Verwandtschaft von publizistischem Aktivismus und journalistischer NGO-Arbeit gefällt nicht allen. Es sei «völlig vermessen (…), den ‹Beobachter› als Lobbyorganisation herbei zu argumentieren mit dem Ziel, die ‹Erklärung von Bern› als journalistische Kraft zu definieren», schreibt «Beobachter»-Redaktor Otto Hostettler in seinem Blog-Eintrag. So kann nur argumentieren, wer die Rolle des «Beobachters» bewusst (?) kleinredet. Nur so lässt sich eine Trennlinie ziehen zwischen «unabhängigem» Journalismus und manipulativer Lobbyarbeit einer NGO. Doch dieser Vorwurf fällt auf den «Beobachter» zurück. Wer einem politischen Anliegen zum Durchbruch verhelfen will, kriegt automatisch Schlagseite. Das wertet die Qualität des Journalismus überhaupt nicht ab. Im Gegenteil. Nur eine einwandfreie Recherche dient als glaubwürdige Grundlage für eine erfolgreiche Kampagne. Aber blinde Flecken bleiben. Eine harte Gegenrecherche zu einem Kampagnethema wird man nie lesen.
Das Beispiel zeigt: Die Trennlinie zwischen Journalismus und Lobbyarbeit, respektive politischem Aktivismus, verläuft längst nicht so deutlich, wie sie manche Journalisten gerne ziehen möchten. Der nüchterne Blick auf hybride Modelle an der Schnittstelle zwischen Journalismus und politischem Aktivismus könnte helfen, die oft mit untauglichen schwarz-weiss Schablonen geführte Debatte zu versachlichen. Das Festhalten an lieb gewonnenen Glaubenssätzen führt nicht weiter. Vielmehr gilt es genauer hinzuschauen, wer was mit welchem Interesse macht. Denn an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.