Das Du als strategischer Vorteil
Im Zweifelsfall per Sie mit Politikern und anderen Auskunftsperson. Dafür plädierte unlängst unser Kolumnist und Bundeshausredaktor Antonio Fumagalli. Davon hält Carmen Epp wenig. Als Lokaljournalistin weiss sie, dass das Du auch Türen öffnen kann. Entscheidend ist dabei das Beharren auf einer klaren Rollenverteilung.
Ist ein Journalist mit einem Politiker per Du, gerät er schnell unter den Generalverdacht: zu nah, nicht mehr objektiv, unprofessionell. Ich verstehe zwar die Skepsis, kann ein absolutes Duzis-Verbot allerdings nicht unterstützen. Mit Auskunftspersonen per Du zu sein, bringt gerade Lokaljournalisten meines Erachtens mehr Vor- als Nachteile – vorausgesetzt, die Rollenverteilung bleibt klar.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin wohl mit schätzungsweise jeder dritten Auskunftsperson, mit der ich als Journalistin regelmässig zu tun habe, per Du. Dazu gehören auch fünf der sieben Regierungsmitglieder des Kantons Uri, der Stabschef der Kantonspolizei, der Polizeikommandant und schätzungsweise jeder vierte Landrat.
Der Hauptgrund dafür ist schnell gefunden. Ich arbeite dort, wo ich aufgewachsen bin: im Kanton Uri. Einige der besagten Personen kenne ich von früher, aus einer Zeit also, in der ich noch nicht Journalistin war. Mit einigen verbindet mich sogar ein Verwandtschaftsverhältnis. Oder sie sind Bekannte von Bekannten. Kurzum: Man kennt sich in Uri. So wird das Du hier womöglich schneller angeboten als beispielsweise in einer Grossstadt, wo sich Menschen nicht zwingend zweimal begegnen.
Dass diese Nähe ein Problem sein könnten, daran habe ich zu Beginn meiner journalistischen Karriere nicht gedacht. Im Gegenteil: Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Einsätze als Freischaffende vor nun fast neun Jahren, als ich mich durch jedes neue Du – mit dem Gemeindepräsidenten, dem Kulturschaffenden, ja sogar mit dem damaligen Bildungsdirektor – regelrecht geehrt fühlte. Auch wenn es naiv scheinen mag – und das war ich damals wohl auch: Dass man mir, der Neuen, der Unbekannten, das Du anbot, galt für mich als Zeichen der Anerkennung und des Respekts. Bestand jemand hingegen über längere Zeit und nach mehreren Begegnungen weiterhin auf dem Sie, empfand ich das als Misstrauensvotum.
So nahm die Anzahl der Personen, mit denen ich per Du bin, immer weiter zu. Ernsthafte Gedanken darüber mache ich mir erst seit meiner Festanstellung vor viereinhalb Jahren, als ich es schliesslich regelmässiger mit Max oder eben Herrn Muster zu tun bekam. Der Problematik und Brisanz des Du bei Journalisten wirklich bewusst wurde ich mir dann erst, als ich die Ausbildung am MAZ antrat. Hier war die Frage «Du oder Sie?» immer mal Thema, sei es unter Mitstudierenden oder im Unterricht. Die Dozierenden vertraten fast ausnahmslos eine Nulltoleranz, wenn es um Du-Angebote geht. Wer als Journalist ein Du annimmt, lässt sich zu Manipuliermasse degradieren – so die vorherrschende Meinung.
Da stand ich also, mit einem Rucksack voller Du’s der letzten Jahre, der auf einmal ganz verdächtig roch. Was nun? Sollte ich etwas das Sie bei allen bisher geduzten Personen wieder zurückfordern? Mit der Begründung, nicht mehr länger als Manipuliermasse, sondern als Journalistin wahrgenommen zu werden?
Es gab kein Zurück mehr. Aber wollte ich das überhaupt? Meine Antwort ist klar: Nein. Nicht weil es unmöglich wäre, ein Sie zurückzufordern. Sondern vielmehr weil ich die kategorische Skepsis gegenüber dem Du nicht teilen kann. Ich bin nicht automatisch manipulierbarer, nur weil ich mit jemandem per Du bin. Meine Fragen an Regierungsratsmitglieder sind nicht weniger kritisch, nur weil ich sie in der zweiten Person singular stelle. Und meine Rolle als Journalistin wird keine andere, nur weil man mich mit «Carmen», statt mit «Frau Epp» anspricht.
Das Du wird hinsichtlich seiner Wirkung oft überschätzt. Ein einziges Wort kann nicht ein ganzes Machtgefüge zu Fall bringen. Es sagt letztlich auch wenig aus über die Beziehung zweier Menschen. Ein Du macht aus einer Person noch lange keinen Kumpel. Umgekehrt legitimiert es auch nicht dazu, das Gegenüber weniger zu respektieren, nur weil man es duzt.
Gleichzeitig wird das Du aber auch unterschätzt. Weil es meiner Erfahrung nach mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt. So steckt mir eine Person, mit der ich auf Du und Du bin, wohl eher eine Geschichte, als wenn dieses förmliche Sie zwischen uns steht. Daraus zu schliessen, dass deswegen die professionelle Distanz fehlt, halte ich für falsch. Weil meine Rolle als Journalistin unabhängig der Ansprechform stets klar ist. Nicht weil ich die Person nun duze oder sieze. Sondern weil ich mir den Respekt als Journalistin erarbeite. Durch seriöses und faires Schaffen. Und weil ich mein Gegenüber stets respektvoll behandle – ob nun gesiezt oder geduzt.
Nicht wer duzt wird zur Manipuliermasse, sondern jene, die ihre Rolle als Journalisten von einem einzigen Wort abhängig machen.