«…erfüllt die Qualitätskriterien des professionellen Journalismus»
Die Verleihung des Pro-Litteris-Förderpreises an Oliver Classen sorgte bereits im Vorfeld für Gesprächsstoff: Ein Mediensprecher und Ex-Journalist wird mit einem Journalismuspreis bedacht. Wie geht das? Was soll das? In seiner Laudatio auf den Preisträger bringt Kurt Imhof, streitbarer Medienprofessor und Leiter des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft, Klarheit in die Begriffsverwirrung. Wir dokumentieren nachfolgend Imhofs Ansprache, die er anlässlich der Preisverleihung vom 18. Mai in Zürich hielt.
Dieser Förderpreis für Oliver Classen und sein Grund, das Buch «Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Welt», das die Erklärung von Bern herausgibt, gab zu Raunen in der Branche Anlass. Dieses ‚Raunen’ erfolgt durchaus zu recht. Aus drei Gründen:
- Empörungsraunen: Die beiden Verleiher des Pro Litteris Förderpreises Al Imfeld und Viktor Parma haben es auf dieses Raunen abgesehen. Es ist ein wesentlicher Zweck ihrer Wahl. Sie verweisen in ihrer Begründung auf den «Grat- und Grenzgang» zu dem die Medienkrise den engagierten Journalisten zwinge und als engagierten Journalisten bezeichnen sie den Preisträger, Oliver Classen, der als Mediensprecher der Erklärung von Bern tätig ist. Ausgerechnet der zum Kampagnen-Experten mutierte Journalist, erhält einen Förderpreis für Journalismus! Da kann ja jeder Interessenvertreter einen Medienpreis bekommen. Muss der gebeutelte Journalismus nun auch noch Medienpreise mit Überläufern teilen? Empörend! Raunen ist da noch eine ziemlich zivilisierte Reaktion.
- Anerkennungsraunen: Das Buch das Oliver Classen mit einem Rechercheteam verfasst und koordiniert hat, ist eine ausgezeichnete journalistische Leistung. Es beleuchtet fassettenreich ein vernachlässigtes Thema mit grossen Reputationsrisiken für die Schweiz, es ist gut geschrieben und erfüllt die Qualitätskriterien des professionellen Journalismus: Es thematisiert ein ebenso relevantes wie aktuelles Problem auf vielfältige Weise in verschiedensten journalistischen Formaten. Es ordnet die reichhaltigen Fakten der Rohstoffdrehscheibe Schweiz, ihre Geschichte, ihre schiere Grösse, ihre steuerliche Begünstigung, ihre bislang unbekannten Praktiken und Akteure sorgfältig ein, weist die Quellen detailliert aus und zieht vom ausgezeichneten Vorwort von Lukas Bärfuss «Die unangenehmen Tatsachen» bis zum Schlusswort dem Leninschen «Was tun?» einen roten Faden durch: Warum und wie muss die Rohstoffbranche reguliert und damit zivilisiert werden? Raunend äussert sich auch Anerkennung.
- Verblüffungsraunen: Der real existierende Journalismus hat das Thema vernachlässigt, die Resonanz der Rohstoffbranche in den Informationsmedien entspricht in keiner Weise ihrer Bedeutung. Der «Rohstoffplatz Schweiz ist gross – schwindelerregend gross» heisst es im Buch. Es gehört zu den Bizarritäten des globalisierten Kapitalismus in der Ära des Steuer und Standortwettbewerbs, dass in der Schweiz, die bezüglich Rohstoffe zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, die grösste Rohstoffdrehscheibe der Welt mit den reichsten Zwischenhändlern entstanden ist. Damit hat sich die Schweiz – massgeblich aufgrund ihres Unternehmenssteuerregimes, fehlender Transparenzgesetze und der Nichtanwendung des Geldwäschereigesetzes auf den Rohstoffhandel – ein veritables Klumpenrisiko angelacht: Unter den 11 umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz befinden sich gemäss «HandelsZeitung» 6 Rohstofffirmen (unter Berücksichtigung der Fusion von Glencore und Xstrata) und der BIP-Anteil erreichte schon 2008 die Grössenordnung der schweizerischen Maschinenindustrie und ist heute grösser als jener der Tourismusbranche.
Neben der Finanzindustrie, die sich in der jüngsten Zeit vor allem durch die Akkumulation von Reputationsproblemen, Steuergutschriften, Schuldeingeständnissen und Bussen auszeichnet, ist in kurzer Zeit eine Branche herangewachsen, deren Reputationsprobleme noch zahlreicher sind: Die Gewinnung von und die Spekulation mit Rohstoffen ist ultimatives Hardcore-Business: Vertreibungen, Ausbeutung, gefährliche Arbeitsbedingungen, Allianzen mit oft korrupten staatlichen und parastaatlichen Akteuren, Spekulation mit Nahrungsmitteln und Energie und weltweite Steueroptimierung durch internen Handel sind einige Stichworte. Wie die Finanzwirtschaft handelt es sich um eine Branche, die über kurz oder lang ebenfalls weltweit reguliert werden muss. Und genauso wie einst bei der Finanzindustrie diskontierten weder Politik noch Medien die Risiken, die sich der Schweiz stellen. Das Buch hat daran etwas verändert: Seit seiner Publikation im Herbst 2011 ist die reflexive Berichterstattung über die Schweizer Rohstoffbranche sprunghaft gestiegen. Das Buch bewirkte auch ein Verblüffungsraunen und die EvB nimmt dabei eine Pionierrolle ein.
Unter dem Strich steht also das Anerkennungsraunen für die journalistische Leistung und das Verblüffungsraunen durch die Wahrnehmung des Klumpenrisikos Rohstoffbranche, dem Empörungsraunen über die Be-Preisung des Mediensprechers Classen gegenüber.
Es ist so, der Journalismus unterliegt einem Brain Drain in die PR, er franst aus in Zwischenbereiche wo PR-Hüte und Journalismus-Hüte kaum mehr zu unterscheiden sind, er büsst an Dossierwissen und Ressortspezialisierung ein, ein guter Teil des Nachwuchses verdient seine Sporen mit Softnews und Listicles und managt die Social Media von Medien, der Rest ist im Stress, verliert an Unabhängigkeit in Mischkonzernen oder kehrt zum Weltanschauungsjournalismus zurück. Angesichts dieser neuen erosionsinduzierten Unübersichtlichkeit müssen erfahrene Vertreter der Branche wissen, was guter Journalismus ist. Beim vernachlässigten Thema Rohstoffbranche Schweiz ist eine NGO in die Wahrnehmungslücke gesprungen, hat Geld in die Hand genommen, ein Rechercheteam zusammengestellt, ein ‚währschaftes’ journalistisches Werk auf die Beine gestellt und die Lücke erschlossen. Al Imfeld und Viktor Parma wissen nicht nur was guter Journalismus ist, sie wissen auch wo er nötig ist. Hier war, ist und bleibt er nötig.
Oliver Classen, der das Rohstoffteam der EvB repräsentiert, erhält den Förderpreis zu Recht! Vor solchen Überläufern braucht sich die Branche nicht zu fürchten: Mehr davon! Herzliche Gratulation Oliver!
Frank Hofmann 21. Mai 2014, 08:46
Der Tag, an dem das SP-Parteiprogramm zu Journalismus „hochsterilisiert“ werden wird, ist wohl nicht allzu fern.